12.09.2012

The Five Obses­sions

Who's That Knocking at My Door
Who's That Knocking at My Door (1967)

Zur Martin-Scorsese-Retro­spek­tive, noch bis zum 22.12. im Film­mu­seum München

Von Michael Haberlander

Im Artikel Das Hindernis als künst­le­ri­sches Prinzip habe ich anläss­lich der Lars von Trier-Retro­spek­tive bereits auf die einzig­arte Chance einer solchen Werkschau hinge­wiesen. Im kompakten Betrachten (wenn schon nicht aller so doch) vieler Werke eines Film­schaf­fenden lassen sich wieder­keh­rende Motive und stilis­ti­sche Eigen­heiten erkennen. Bei manchen Regis­seuren lassen sich durch­gän­gige Konstanten tatsäch­lich nur im Rahmen einer solchen Veran­stal­tung ausmachen. Bei anderen sind die Konstanten so augen­fällig, dass eine entspre­chende Retro­spek­tive zum Zeugnis ihrer Obsession(en) wird. Aktuelles Beispiel hierfür ist die gerade laufende Retro­spek­tive mit allen Werken von Martin Scorsese im Film­mu­seum.

Bereits in seinem aller­ersten Spielfilm Who's That Knocking at My Door (auch bekannt unter dem Titel I Call First) von 1967 sind alle fünf Obses­sionen des Martin Scorsese muster­gültig vorhanden: da ist die Musik, die Religion, der Film, die Gewalt und die männliche Beses­sen­heit. In den kommenden 45 Jahren sollten ihn diese Themen nicht mehr von der Seite weichen. Unmöglich ist dabei zu sagen, welche seine größte Leiden­schaft ist.

Intuitiv würde man vermuten der Film, schließ­lich ist das sein Medium. Und natürlich ist Scorsese der (fast schon sprich­wört­liche) Inbegriff des film­ver­rückten Filme­ma­chers, dessen Werk so voll­ge­packt mit cine­as­ti­schen Anspie­lungen, Verweisen, Einflüssen und Refe­renzen ist, dass sich noch Gene­ra­tionen von Film­stu­denten an diesem filmi­schen Destillat werden abar­beiten können. Film(geschichte) ist die Basis auf der Scorsese aufbaut, aber sie ist nicht seine alleinige Obsession.

Mindes­tens genauso leiden­schaft­lich ist er der Musik ergeben. Kein Scorsese-Film ohne massiven Einsatz von eigens kompo­nierter Filmmusik oder sicher ausge­wählter Popmusik. Noch öfter als der Film ist die Musik zentrales Thema eines seiner (Doku­mentar)Filme, etwa in New York, New York oder The Last Waltz oder Shine A Light.
So besessen Scorsese auch in der Film­ge­schichte gräbt, wird er ein Stil­mittel, das vor ihm schon viele andere Regis­seure gewählt haben, wohl nie auspro­bieren. Einen Film ohne Musik würde Scorsese kaum durch­stehen.

Ein Film ohne religiöse Bezüge und Symbolik dagegen ist möglich, das hat er schon bewiesen. Trotzdem bleibt die Beschäf­ti­gung mit der Religion (nicht nur der christ­li­chen) und den damit zusam­men­hän­genden Fragen nach den letzten Dingen ein zentraler Aspekt. Das reicht von seinen offen­sicht­lich reli­giösen Filmen wie Kundun oder Die letzte Versu­chung Christi über die zahllosen katho­lisch christ­li­chen Anspie­lungen und (manchmal arg aufdring­li­chen) symbo­li­schen Bilder (Kreu­zi­gung, Pieta, etc.) vor allem in seinen New York- bzw. Gangster-Filmen, bis hin zu den immer wieder behan­delten Fragen nach Gut und Böse, Schuld und Vergebung.

Sehr eng damit verbunden ist die Gewalt, die sich in so vielen von Scorseses Filmen Bahn bricht. Die Gewalt in Good­fellas oder Kap der Angst oder Gangs of New York ist berühmt und berüch­tigt, doch auch in seinen weniger krimi­nellen Filmen wie The King of Comedy oder Bringing Out the Dead flammt sie immer wieder auf bzw. schwelt knapp unter der Ober­fläche. Typisch ist dies­be­züg­lich auch die psycho­lo­gi­sche, emotio­nelle Gewalt, die viele zwischen­mensch­liche Bezie­hungen in den Filmen Scorseses prägt. In Die Zeit der Unschuld wird zwar niemanden der Kopf in einen Schraub­stock geklemmt (wie in Casino), dafür wird manch freier Wille zwischen Konven­tionen und Moral zerquetscht, was weniger hässlich aussieht aber nicht minder weh tut.

Bleibt als fünfte Obsession, gewis­ser­maßen als Meta-Obsession, die Obsession selbst, die bei Scorsese nahezu ausschließ­lich männlich ist. Da Scorsese selber ein Multi-Beses­sener ist, versteht er nur zu gut, wie es in anderen Beses­senen aussieht und warum sie ihr Leben etwa dem Boxen (Raging Bull), dem Fliegen (Aviator), der Kunst (die Episode Life Lessons aus New York Stories), dem Billard (The Color of Money), der Rettung einer Frau bzw. der ganzen Welt (Taxi Driver) oder eben dem Film, der Musik, der Religion und der Gewalt (s.o.) verschreiben und sich darin voll­s­tändig verlieren und verrennen können.

Martin Scorsese hat im weltlich filmi­schen Bereich so ziemlich alles erreicht, was es zu erreichen gibt, selbst den Oscar, den man ihm so lange verwehrte, hat er mitt­ler­weile (ausge­rechnet für den in diesem Œuvre ziemlich mittel­mäßigen The Departed). Die letzte Heraus­for­de­rung, die jetzt noch bleibt, ist offiziell zum kirchlich aner­kannten Schutz­pa­tron und Nothelfer aller beses­senen, leiden­schaft­li­chen und obses­siven Menschen zu werden. Auf der Leinwand ist er dies bereits, zu über­prüfen ist dies noch bis 22.12.12 im Film­mu­seum München.