The Five Obsessions |
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Who's That Knocking at My Door (1967) |
Im Artikel Das Hindernis als künstlerisches Prinzip habe ich anlässlich der Lars von Trier-Retrospektive bereits auf die einzigarte Chance einer solchen Werkschau hingewiesen. Im kompakten Betrachten (wenn schon nicht aller so doch) vieler Werke eines Filmschaffenden lassen sich wiederkehrende Motive und stilistische Eigenheiten erkennen. Bei manchen Regisseuren lassen sich durchgängige Konstanten tatsächlich nur im Rahmen einer solchen Veranstaltung ausmachen. Bei anderen sind die Konstanten so augenfällig, dass eine entsprechende Retrospektive zum Zeugnis ihrer Obsession(en) wird. Aktuelles Beispiel hierfür ist die gerade laufende Retrospektive mit allen Werken von Martin Scorsese im Filmmuseum.
Bereits in seinem allerersten Spielfilm Who's That Knocking at My Door (auch bekannt unter dem Titel I Call First) von 1967 sind alle fünf Obsessionen des Martin Scorsese mustergültig vorhanden: da ist die Musik, die Religion, der Film, die Gewalt und die männliche Besessenheit. In den kommenden 45 Jahren sollten ihn diese Themen nicht mehr von der Seite weichen. Unmöglich ist dabei zu sagen, welche seine größte Leidenschaft ist.
Intuitiv würde man vermuten der Film, schließlich ist das sein Medium. Und natürlich ist Scorsese der (fast schon sprichwörtliche) Inbegriff des filmverrückten Filmemachers, dessen Werk so vollgepackt mit cineastischen Anspielungen, Verweisen, Einflüssen und Referenzen ist, dass sich noch Generationen von Filmstudenten an diesem filmischen Destillat werden abarbeiten können. Film(geschichte) ist die Basis auf der Scorsese aufbaut, aber sie ist nicht seine alleinige Obsession.
Mindestens genauso leidenschaftlich ist er der Musik ergeben. Kein Scorsese-Film ohne massiven Einsatz von eigens komponierter Filmmusik oder sicher ausgewählter Popmusik. Noch öfter als der Film ist die Musik zentrales Thema eines seiner (Dokumentar)Filme, etwa in New York, New York oder The Last Waltz
oder Shine A Light.
So besessen Scorsese auch in der Filmgeschichte gräbt, wird er ein Stilmittel, das vor ihm schon viele andere Regisseure gewählt haben, wohl nie ausprobieren. Einen Film ohne Musik würde Scorsese kaum durchstehen.
Ein Film ohne religiöse Bezüge und Symbolik dagegen ist möglich, das hat er schon bewiesen. Trotzdem bleibt die Beschäftigung mit der Religion (nicht nur der christlichen) und den damit zusammenhängenden Fragen nach den letzten Dingen ein zentraler Aspekt. Das reicht von seinen offensichtlich religiösen Filmen wie Kundun oder Die letzte Versuchung Christi über die zahllosen katholisch christlichen Anspielungen und (manchmal arg aufdringlichen) symbolischen Bilder (Kreuzigung, Pieta, etc.) vor allem in seinen New York- bzw. Gangster-Filmen, bis hin zu den immer wieder behandelten Fragen nach Gut und Böse, Schuld und Vergebung.
Sehr eng damit verbunden ist die Gewalt, die sich in so vielen von Scorseses Filmen Bahn bricht. Die Gewalt in Goodfellas oder Kap der Angst oder Gangs of New York ist berühmt und berüchtigt, doch auch in seinen weniger kriminellen Filmen wie The King of Comedy oder Bringing Out the Dead flammt sie immer wieder auf bzw. schwelt knapp unter der Oberfläche. Typisch ist diesbezüglich auch die psychologische, emotionelle Gewalt, die viele zwischenmenschliche Beziehungen in den Filmen Scorseses prägt. In Die Zeit der Unschuld wird zwar niemanden der Kopf in einen Schraubstock geklemmt (wie in Casino), dafür wird manch freier Wille zwischen Konventionen und Moral zerquetscht, was weniger hässlich aussieht aber nicht minder weh tut.
Bleibt als fünfte Obsession, gewissermaßen als Meta-Obsession, die Obsession selbst, die bei Scorsese nahezu ausschließlich männlich ist. Da Scorsese selber ein Multi-Besessener ist, versteht er nur zu gut, wie es in anderen Besessenen aussieht und warum sie ihr Leben etwa dem Boxen (Raging Bull), dem Fliegen (Aviator), der Kunst (die Episode Life Lessons aus New York Stories), dem Billard (The Color of Money), der Rettung einer Frau bzw. der ganzen Welt (Taxi Driver) oder eben dem Film, der Musik, der Religion und der Gewalt (s.o.) verschreiben und sich darin vollständig verlieren und verrennen können.
Martin Scorsese hat im weltlich filmischen Bereich so ziemlich alles erreicht, was es zu erreichen gibt, selbst den Oscar, den man ihm so lange verwehrte, hat er mittlerweile (ausgerechnet für den in diesem Œuvre ziemlich mittelmäßigen The Departed). Die letzte Herausforderung, die jetzt noch bleibt, ist offiziell zum kirchlich anerkannten Schutzpatron und Nothelfer aller besessenen, leidenschaftlichen und obsessiven Menschen zu werden. Auf der Leinwand ist er dies bereits, zu überprüfen ist dies noch bis 22.12.12 im Filmmuseum München.