Frauen, Philosophie und die Erschütterung der westlichen Identität |
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Spring Breakers – was sonst! |
»I follow you... I follow you deep sea baby« – der latent trashige, aber eben auch großartige Ohrwurm »I follow rivers« von der Schwedin Lykke Li ist zwar alles andere als neu, und unsereins schon von den Championsleague-Übertragungen vor zwei Jahren vage vertraut – trotzdem wird er mich in Zukunft immer an dieses Jahr, an Cannes 2013 und an diesen Film erinnern, ganz einfach weil man ihn danach nicht mehr aus dem Kopf bekommt.
Der Film La vie d’Adèle, auf Deutsch BLAU IST EINE WARME FARBE vom in Tunesien geborenen Franzosen Abdellatif Kechiche – erst kurz vor Weihnachten in den deutschen Kinos gestartet – ist fraglos einer der unumstrittenen Höhepunkte des vergangenen Kinojahres. La vie d’Adèle ist jenseits von allem anderen, was man an Gutem und Schlechten über ihn hört, ein reines Vergnügen – in Cannes gewann er im Mai mit der Goldenen Palme den wichtigsten künstlerischen Filmpreis des Jahres. Ein typisch französischer und doch universaler, also uns alle angehender Film über Frauen, über die Liebe und über Philosophie, zum Beispiel in einem wunderbaren Gespräch über Jean Paul Sartre.
Frauen und Philosophie – das sind so etwas wie zwei zentrale Leitthemen dieses Jahres. Immer wieder sah man das eine oder das andere oder beides zusammen auf der Kinoleinwand. Zum Beispiel auch in einem anderen französischen Film, Die wilde Zeit, in dem Olivier Assayas auf sehr einfühlsame Weise seine Jugend im Post-68er-Frankreich wieder aufleben lässt.
Eine ungewöhnliche Frauenfigur bot auch Zero Dark Thirty von der Amerikanerin Kathryn Bigelow: Jessica Chastain, einer der Shooting Stars dieses Jahres, spielte darin eine US-Geheimagentin, deren Weg sie durch diverse Folterkeller und illegale Geheimgefängnisse, über Recht und Gesetz, aber auch über zahlreiche Kollegenleichen hinweg bis in jenes ominöse Domizil in den pakistanischen Bergen führt, wo ein Kommando der US-Army am Ende des Films Osama Bin Laden ermordet.
Zero Dark Thirty war zugleich einer der umstrittensten Filme dieses vergangenen Kinojahres. Handelt es sich hier nun um üble Propaganda oder geschickte Kritik an Obamas Fortsetzung von George W Bushs Krieg gegen den Terror? Um beides, möchte ich meinen, das erste beabsichtigt, das zweite, weil es sich nicht vermeiden lässt, wenn es um Kathryn Bigelow geht – diese Regisseurin ist nicht nur politisch ein bisschen reaktionär, und durch ihre Ästhetik eine der besten Filmemacherinnen der USA, sie hat auch diesen Ernst-Jünger-Blick, dieses ungerührte Hingucken gerade dann, wenn es weh tut, und wenn es auch der eigenen Sache schaden würde. Wäre Bigelow nur Propagandistin, würde sie moralisieren statt zu zeigen.
Gerade zu Beginn dieses Jahres zeigte sich immer wieder in amerikanischen Filmen die Erschütterung des amerikanischen Selbstbildes und damit ein wenig auch der Identität des übrigen Westens: Ob in Quentin Tarantinos Django Unchained oder, ungleich braver, gefälliger aber auch langweiliger in Steven Spielbergs Lincoln. Später dann im Independent-Film The East und in Robert Redfords Erinnerung an den linken Untergrund Amerikas The Company You Keep.
Für das deutsche Kino war 2013 dagegen ein Jahr zum Vergessen. Zwar gab es OH BOY, der im April noch einmal eine Handvoll Filmpreise gewann und das auch verdient. Aber Jan Ole Gersters Film stammt eigentlich von 2012. Davor und danach kam nur geschmackliche Wüste: Filme wie Schlussmacher und jetzt Fack ju Göhte mögen 16-jährige zu Lachsalven inspirieren, aber auch deren Geschmack kann verdorben werden – und gutes Kino in irgendeiner Hinsicht ist das nicht.
Am stärksten in Erinnerung blieben da die alten Meister: Edgar Reitz' erstaunlich frische vierte Zeitreise in sein Lebenswerk um das Hundsrück-Dorf Schabbach, Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht und Margarethe von Trottas Hannah Arendt – Barbara Sukowa als die Titelheldin in dem Drama um intelligente Erwachsene – und einmal mehr das Thema des Jahres: Frauen und Philosophie.
Darum dreht sich auch Spring Breakers – der echte große Überraschungsfilm des Jahres von der Legende des US-Independent-Films-Harmony Korine: Wer nun glaubt, darin ginge es wirklich nur – wie das Filmplakat suggeriert – um leichtbekleidete Mädchen, die Unsinn machen, sollte Spring Breakers nochmal angucken: Eine philosophische Meditation über die Freiheit und die Popkultur:
Alle diese Filme kann man übrigens natürlich auch auf DVD kaufen und wieder ansehen. Amerika kommt also 2013 zurück, jenseits aller Hobbits und Superhelden, und stellt mit stilvollen, überraschenden Kinowerken das sonst so ästhetische asiatische Kino in den Schatten, das deutsche sowieso. Was bleibt jenseits von Hollywood, sind nur die Franzosen.