Besser verstört |
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Ein Kinojahr, mit dem man sich anfreunden kann – hier: Apatows Immer Ärger mit 40 |
Wieder ein Jahr vorbei, wieder eine nicht zu bewältigende Flut von Filmen, wieder eine unendliche Vielfalt, wieder nur einen Bruchteil gesehen. Sich unter diesen Vorzeichen hinstellen zu wollen und zu behaupten, man gestalte einen (wie auch immer) objektiven und allgemeinen Rückblick auf das Filmjahr 2013, ist absurd und / oder lächerlich. Alles, was man tun kann, ist zurückzublicken auf den kleinen Teil des riesigen Angebots, der absichtlich oder zufällig in die eigene Aufmerksamkeit geraten ist und dabei einen positiven Eindruck hinterlassen hat.
Wenn es auch sinnlos ist, nach einem allgemeinen, durchgängigen Thema, einem weitverbreiteten Trend, einer großen Klammer für das Filmjahr 2013 zu suchen, so zeigt sich bei mir doch rein subjektiv ein Geschmacksmuster, das sich in der Vorjahren schon abgezeichnet hat und das in den abgelaufenen 12 Monaten nun besonders markant zu Tage trat.
Es waren in erster Linie die widersprüchlichen und mehrdeutigen Filme, die mich begeisterten, während mich das Eindeutige und
Offensichtliche überwiegend langweilte und nervte. Gerade bei einigen von der Kritik hochgelobten Filmen mit politischer bzw. sozialer Brisanz und Relevanz, die sich nach außen hin wahnsinnig vielschichtig und reflektiert gaben, erkannte ich (formal wie inhaltlich) nur die immer gleiche Eindeutigkeit, für die ich 2013 weniger empfänglich war als je zuvor.
Ob es in diesem Jahr (zufällig?) sehr viele Filme in der von mir gewünschten Geschmacksrichtung gab oder ob ich mir aus
dem unergründlichen Angebot nur glücklicherweise die entsprechenden Werke herausgesucht habe, sei dahingestellt.
Der einzige Film aus der Gruppe der „politischen Filme“, bei dem der Gesamteindruck trotz einiger Schwächen positiv blieb, war Zero Dark Thirty, dessen Erzählweise erfreulich uneinheitlich war und gekonnt zwischen höchster Spannung und totalem Stillstand pendelte.
Ein Meister des Uneindeutigen ist und bleibt Paul Thomas Anderson, das hat er mit seinem wunderbar verstörenden The Master einmal mehr bewiesen. Wer hier wem was antut, was die Figuren antreibt und warum die Dinge so sind wie sie sind, wird man mit Sicherheit nicht feststellen können.
Auch von David O. Russell gibt es einige schön komplizierte Filme, nach seinem zu geradlinigen The Fighter von 2010 und in Anbetracht der Ausgangssituation (Besetzung, Story) von Silver Linings hatte ich diesbezüglich so meine Bedenken, musste dann aber erfreut feststellen, wie zielsicher dieser Film immer eine halbe Note neben der Melodie des üblichen Hollywood-Beziehungsdramas liegt, was ihn in jeder Hinsicht angenehm »unharmonisch« und somit mir sympathisch machte.
Obwohl Immer Ärger mit 40 ebenso fein zwischen Ernst, Humor und Irrsinn austariert war wie Silver Linings, war hier die allgemeine kritische Beurteilung viel schlechter und Preise (bzw. Nominierungen) regnete es dafür auch nicht. Den Regisseur Judd Apatow hält man fälschlicherweise immer noch für einen eindimensionalen Hau-drauf-Komiker, was eigentlich kein vernünftiger Mensch behaupten kann, wenn er etwa Immer Ärger mit 40 mit offenen Augen gesehen hat.
Aus Apatows „Schule“ kommen die Macher und Darsteller des absurden Weltuntergangsfilms Das ist das Ende, der allerdings einige sehr krasse Komik bereithält, der aber auch immer wieder sehr klug über das Thema Freundschaft nachdenkt, was ihn für diese Liste der widersprüchlichen Filme qualifiziert.
Um Freundschaft ging es auch in Frances Ha, der durch seine zwangsläufig ambivalente Melancholie und seine schlichten filmischen Mittel verzauberte.
Während Frances Ha im schönsten Schwarz-Weiß vom neurotischen New York erzählte, verschlug es Woody Allen mit Blue Jasmine ins sonnig bunte San Francisco. Nach Match Point mochte ich keinen von Allens Filme mehr wirklich, gerade die zotigen Fremdenverkehrsprospektgroßstadtfilme der letzten Jahre fand ich fürchterlich belanglos. Blue Jasmine ist trotz Bilderbuch-San Francisco und trotz einiger inszenatorischer Schwächen erstaunlich gut ausgefallen, was vor allem daran liegt, dass hier vieles nicht so ist und so kommt, wie es zuerst erscheint bzw. wie man es erwartet. So ist der Film auch (absichtlich!) kaum lustig, obwohl man ständig das Gefühl hat, er müsse es sein.
Dieses Gefühl kennt man nur zu gut von den Coen Brüdern, in deren Filme die Skurrilität und Absurdität nur selten zum Lachen reizt, jedoch immer wieder verstört und dabei erstaunlich gut unterhält. Inside Llewyn Davis, der einem auf narrativer wie emotioneller Ebene laufend den Boden entzieht, ist ein überwältigender weiterer Beleg hierfür.
Nicht immer war ich so angenehm und gekonnt verstört wie bei den Coen Brüdern, manchmal war die Verstörung auch unbequem, wenn nicht gar schmerzhaft, etwa bei Ridley Scotts The Counselor, einem schaulustigen Blick in das menschliche Verderben oder bei Park Chan-wooks Stoker, einer Mischung aus Addams
Family, 70er Jahre Horror und sarkastischem Mördermärchen oder bei Nicolas Winding Refns rauschhaft brutalem Only God Forgives, in dem Logik und Verstehen hinter reine Form und Stilisierung zurücktreten. Neben ihren (z.T. wortwörtlich) augenfälligen Stärken gibt es in jedem dieser Filme etwas, das mich stört. Dass ich nicht genau benennen kann, was dieser Störfaktor ist, macht
sie in jedem Fall interessanter als die, bei denen ich mein Unbehagen sehr präzise formulieren kann.
So ist es etwa bei The Place Beyond the Pines, der zu Anfang eine großartig undefinierte, lakonische Bankräuber-Sozialdrama-Geschichte ist. Mit dem unerwarteten und verstörenden Ableben der von Ryan Gosling gespielten Hauptfigur ändert der Film aber in jeder Hinsicht sein Gesicht und
seine Qualität und alles wird plump, offensichtlich, konstruiert, was nach diesem Anfang wirklich bedauerlich ist.
Mit Only God Forgives und The Place Beyond the Pines hat sich zumindest bestätigt, dass Ryan Gosling der perfekte Schauspieler für die von mir so geschätzte Mehrdeutigkeit
ist.
Sehr angestrengt um Verstörung bemühte sich Drecksau, der mit seinen Provokationen und Anstößigkeiten oft peinlich antiquiert wirkte. Insgesamt hat es aber schon gepasst, denn ein Film, der auf die Zwölf zielt und dabei knapp daneben trifft, ist mir immer noch lieber als vorsichtiges Gefälligkeitskino.
Ebenfalls auf die Zwölf zielte (und traf) Der Tag wird kommen, der dem unsterblichen Punk mal wieder zu filmischen Ehren verhalf. Eine sehr schräge Geschichte von zwei sich annähernden Brüdern (einer davon gespielt vom wieder einmal wunderbaren Benoît Poelvoorde), die aus der Hölle eines Gewerbegebiets ausbrechen und eine Spur der Ver- und Zerstörung hinter sich herziehen.
Ähnlich bizarr aber mit einer ganz anderen Stimmungslage und Thematik präsentierte sich Berberian Sound Studio, eine Hommage an das Genre des italienischen Giallo-Films. In diesem Film ist nichts, wie es scheint und klingt, sonderbare Dinge gehen vor sich, die Logik muss weichen, wenn die Spannung einen Film regiert bzw. dominiert.
Jenseits der Logik bewegte sich auch Camille – Verliebt nochmal!, der eine Frau ohne größere Erklärungsansätze und dröge Diskussionen zum Raum-Zeit-Kontinuum in ihre Pubertät zurückschickt, um dort alles besser oder doch wieder genauso falsch zu machen. Ein schöner Film über (Vorher-)Bestimmung, der seine Unwahrscheinlichkeiten offen zur Schau trägt, anstatt sie – wie im Kino sonst oft üblich – als Realität zu verkleiden.
Der Häufung von Unwahrscheinlichkeiten begegnet The Broken Circle mit einer Tendenz ins Märchenhafte. Hier geht es eben nicht darum, realistisch von einem Musikerpaar und ihrem sterbenden Kind zu erzählen, sondern darum, eine betont emotionelle Geschichte vor- bzw. aufzuführen. Das bewegt sich zwar stellenweise arg nahe am Tearjerker und anderem Gefühlsoverflow, aber wo viel Musik im Spiel ist, da ist es selten einfach, sachlich zu bleiben.
Apropos märchenhaft. Unter dem Regenbogen stellte Märchen auf den Prüfstand der Realität, das Ergebnis ist ein für Agnès Jaoui typischer Mix aus Witz, Ernüchterung und verfahrenen Gefühlen. Für mich lohnte sich der Besuch des Films in jedem Fall, da ich Jean-Pierre Bacri immer gerne beim gepflegten Herumgranteln zusehe.
Eine märchenhafte Basis hatte auch ein deutscher Low-Budget-Film, der aus Hans im Glück einen Hans Dampf machte. Dieser ist weniger in allen Gassen als auf einer wechselhaften Reise nach Italien, wo er das wahre Glück vermutet. Als reiner Tor durchlebt er gut gelaunt manches Abenteuer, das Ende des Films ist völlig unvermutet und durchaus verstörend.
Die spanische Schneewittchen-Adaption Blancanieves hatte ebenfalls ein überraschendes, gar nicht märchenhaftes Ende. Leider war dieses Ende das einzige angenehm Unerwartete in einer sonst ziemlich vorhersehbaren Handlung, weshalb ich insgesamt nur mäßig begeistert war, auch wenn der Film durchgehend schön anzuschauen ist. Dass mich die (erwachsene) Hauptfigur Carmen regelmäßig an Miley Cyrus erinnerte, hat mein Verhältnis zu dem Film sicher nicht verbesserte.
Überaus kontrovers wurde das Feuilleton-Prachtstück Finsterworld aufgenommen, mir waren die ganzen Diskussionen darum (vor allem zu seinem Deutschlandbild) herzlich egal. Vor allem wegen einigen sehr fein gezeichneten Charakterbildern und einem im deutschen Kino selten zu sehenden Zynismus fand ich ihn im Großen und Ganzen sehenswert.
Zu den wenigen »geradlinigen« Filmen des Jahres 2013, die mir gut gefielen, zählte das virtuose Rennfahrer-Biopic Rush (der zumindest in der Charakterzeichnung seiner beiden Hauptfiguren vielschichtig war) und die äußerst amüsante Komödie Wir sind die Millers, die dem Drogenschmuggel aus
Mexiko eine ganz andere Seite als The Counselor abgewinnen konnte.
Überraschend geradlinig fielen auch die beiden Abschiedsfilme von Steven Soderbergh aus, etwa der souverän inszenierte Side Effects, der mich trotz der angestrebten Verwirrungen und Fallstricke »nur« solide unterhielt. In
jeder Hinsicht fulminant war dagegen Liberace, in dem Soderbergh noch einmal fast alles zeigte, was er als Regisseur kann. Das einzige was fehlte, ist sein Talent fürs Abwegige und Unangepasste, das mir zum Jahresende Dank eines geschenkten Stapels alter VHS-Kassetten in Form seiner frühen Werke Gray's Anatomy und Schizopolis wiederbegegnete.
Schade, dass damit für immer Schluss sein soll.
Bei Dokumentarfilmen ist die Frage danach, ob sie eindeutig oder uneindeutig sein sollen, ganz schwer zu beantworten. Dokus wollen die Realität (manche sagen auch Wahrheit dazu) abbilden, darüber ob diese eindeutig oder uneindeutig ist, streiten Philosophen seit ein paar tausend Jahren.
Entsprechend uneinheitlich fällt dann auch die Auswahl von Dokus aus, die mir 2013 gefallen haben, das zeigt sich etwa schon an den sehr unterschiedlichen Filmen über zwei sehr
unterschiedliche Schlagzeuglegenden, einerseits dem freundlich gewitzten Portrait des netten Jimmy Carl Black Where's the Beer and When Do We Get Paid? andererseits das überbordende Panoptikum zum genialisch manisch notorischen Ginger Baker Beware of Mr. Baker. Ähnlich extrem sind die
Unterschiede im superrealistische Sofia's Last Ambulance über den tristen Alltag einer Krankenwagenbesatzung in Bulgariens Hauptstadt und Wochenendkrieger, einem aufwendig gestalteten Ausflug in die Parallelwelt der Live-Rollenspieler.
Würde man mich fragen, ob 2013 ein gutes Film- bzw. Kinojahr war, könnte ich angesichts der vorstehenden Liste guten Gewissens antworten: Für mich auf alle Fälle!