Endlich an der Reihe |
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The Iranian Film – Gelungenes Beispiel für die blühende iranische Filmproduktion |
Von Natascha Gerold
Sie wollten ihrer Lebensfreude Ausdruck verleihen und tanzen. Genau wie Millionen anderer junger Menschen, die ihre eigenen Versionen von Pharell Williams Feelgood-Stück „Happy“ per YouTube durch wie Welt schickten. Mittlerweile sind die sechs Tänzer, drei junge Männer und drei junge Frauen aus Iran, wieder auf freiem Fuß, nachdem sie von der örtlichen Polizei nach Veröffentlichung des „vulgären Clips im Cyberspace“ inhaftiert wurden. »‘Happy‘ war ein Vorwand, glücklich zu sein. Wir haben jede Sekunde der Dreharbeiten genossen«, war im Abspann des Videos zu lesen.
»Wir wollen frei sein. Frei in der Wahl, was wir glauben, was wir für Kleidung tragen, das Recht auf Lebensfreude.« Diese Worte Arash Sobhanis, dem Sänger und Frontmann der iranischen Bluesrockband Kiosk, klingen wie ein Kommentar der aktuellen Ereignisse um die tanzenden Jugendlichen. Sie stammen aus dem Dokumentarfilm Kiosk – A Generation Destroyed by Madness (Fr., 30.5. 19.30 Uhr) von Ala Mohseni, in dem die Geschichte der sozial- und regimekritischen Gruppe nachgezeichnet wird: von ihren Underground-Anfängen in den provisorischen Räumlichkeiten in Teheran und ihrer Popularität trotz unmöglicher Arbeitsbedingungen, bis zur Emigration der Bandmitglieder und ihrem heutigen Schaffen im Exil.
Wie unfrei iranische Künstler im Alltag sind, erfahren wir aus den Nachrichten. Wie frei und voller Ideen sie in ihren Köpfen sind, sprich welche Schaffenskraft und welcher Einfallsreichtum sie auszeichnet, sehen wir beim iranischen Filmfestival CINEMA IRAN, das zum ersten Mal in München stattfindet. Höchste Zeit wurde es für eine solche Reihe, sind iranische Filmemacher schon seit Jahrzehnten für ihre oft bahnbrechenden Werke bekannt. Dokumentar- und Spielfilme aus und über Iran, sowie Videokunst und eine Ausstellung von Samira Eskandarfar – die Macher von CINEMA IRAN packen vier Tage voll mit einer sorgsam ausgewählten, abwechslungsreichen Mischung, die gleichzeitig eine klare thematische Struktur aufweist.
Die Islamische Revolution ist Schwerpunkt einiger Dokumentarfilme, die zu sehen sein werden. In ihnen hält die Generation Rückschau, die 1978/79 noch klein oder gerade geboren war. Dazu gehören die Mitglieder von Kiosk, die im oben genannten Film unter anderem auch von ihrer Kindheit in Iran erzählen, oder die fünf jungen Erwachsenen aus Jaška Klockes Film Omid ist mein Name – und der steht für Hoffnung (Fr., 17.30 Uhr), die in Deutschland aufgewachsen sind, nachdem ihre Eltern in den 1980er-Jahren als Dissidenten verhaftet oder hingerichtet wurden. Trauer, Wut, aber auch die Hoffnung auf Überwindung der krisenhaften Zerrissenheit eint die Erzählenden.
1978 war auch das Jahr der Revolution, in dem im ganzen Land die Kinosäle brannten. Allein beim Anschlag im Cinema Rex in Abadan starben weit über 400 Menschen in den Flammen. Anhand von Originalmaterial beleuchtet Mohammadreza Farzad in seinem Dokumentar-Kurzfilm Blames and Flames (Sa, 17.30 Uhr) die Umstände dieser Attacken, zeigt, wie Kino und Filmwirtschaft immer mehr zum Politikum wurden und welche Folgen dies für die Nutzung von Medien beim Publikum hatte.
Dass der Rückgriff auf Realität noch spannender als die wildeste Fiktion sein kann, haben Jafar Panahi, Mohse und seine Tochter Samira Makhmalbaf oder Abbas Kiarostami schon im vergangenen Jahrhundert bewiesen. Die Nachstellung tatsächlicher Ereignisse, das Eindringen der Wirklichkeit in die gespielte Realität generiert eine faszinierende Komplexität. Ganz diesen iranischen Vorbildern gemäß will der marokkanische Filmstudent Yassine El Idrissi in The Iranian Film (So., 17.30 Uhr) eine Politsatire in seiner Heimat drehen. Schnell verlagert sich der Fokus vom ursprünglichen Vorhaben auf die Produktionsbedingungen in Marokko, die von Unverständnis, Korruption und Selbstzensur geprägt sind – eine entlarvende humorvoll-hintersinnige Hommage an das iranische Kino. Um so viel mehr als es auf den ersten Blick scheint, geht es auch in My Name ist Negahdar Jamali and I make Westerns (Sa., 19.30 Uhr) von Kamran Heidari. Es ist nicht nur das Porträt eines Western-Freaks aus Shiraz, der in seiner Liebe zum Genre seit 35 Jahren Amateurspielfilme ohne professionelle Hilfe oder finanzielle Unterstützung dreht. Ähnlich wie in dem beim DOK.fest 2012 gezeigten Dokumentarfilm Moving Up von 2011, in dem Kami Balatar den dichtenden Müllmann Shahriyar im iranischen Kurdistan porträtiert, steht zum einen das künstlerische Schaffen des Protagonisten im Vordergrund: Während sich Jamali selbstbewusst ganz nach Art von John Ford vorstellt, sieht Shahriyar sich in der Tradition von Jack London. Zum anderen verschweigen beide Filme nicht den Tribut, den ihre jeweilige Hingabe fordert, sowohl von ihnen selbst als auch von ihrer Umwelt.
Die Leidenschaft, die nicht zu lodern aufhört, ungeachtet dessen, ob sie Ruhm oder Verderben zur Folge hat – das verbindet den Amateurfilmemacher Negahdar Jamali und den Profi Jafar Panahi. Letzterer wurde 2010 verurteilt zu sechsjähriger Gefängnisstrafe (bislang nicht verhängt) und 20-jährigem Berufsverbot (verhängt). Und doch: nach This Is Not a Film von 2011 nimmt Panahi erneut das Wagnis auf sich und erzählt, diesmal mit seinem langjährigen Weggefährten, Co-Regisseur und Darsteller Kambozia Partovi in dem Spielfilm Closed Curtain (So., 20.45 Uhr) die Geschichte eines schreibblockierten Drehbuchautors, der mit seinem Hund in einem Haus am Meer Zuflucht sucht und plötzlich merkwürdigen Besuch erhält. Diesmal ist es keine Realität von außen, sondern Panahis Innenleben – personifizierte Furcht, Schmerz, Resignation und Hoffnung – dargestellt in komplexen fiktionalen Schichten, die die Handlung vorantreiben. »Arbeiten ist für ihn schwierig, aber nicht zu arbeiten noch schwieriger«, so brachte Partovi die Situation Panahis bei der Berlinale auf den Punkt, wo Closed Curtain im vergangenen Jahr gezeigt wurde.
Nicht minder beeindruckend ist die übrige Spielfilmauswahl von CINEMA IRAN: Jeder einzelne zeigt etwas, das es im Kino so noch nicht gegeben hat. Ob es die 2000 Kilometer noch nie zuvor gefilmten iranischen Landschaften sind, die der Visual-Effects-Spezialist, Kameramann und Regiseur Mohammad Ghorbankarimi für den Eröffnungsfilm The Desert Fish (Do., 20.45 Uhr) für die
Leinwand entdeckt hat, das innovative Spiel mit dem Zeitbegriff in dem Horrorfilm Fish and Cat (Sa., 20.45 Uhr) von Shahram Mokri, der dem Zuschauer nicht die Chance lässt, die Puzzleteile einfach zusammenzufügen oder die beiden Figuren Leyla und Kaveh in der schwarzen Komödie Modest Reception (Fr.,
20.45 Uhr) von Mani Haghighi, die als Duo infernale durch die ländliche Bergregion touren und Geldregen ohne Segen unter die Menschen bringen.
Sie alle sorgen für einen furiosen Auftakt des Cinema Iran, dem ein begeistertes Publikum zu wünschen ist.
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CINEMA IRAN – Iranisches Filmfestival vom 29. Mai bis 1. Juni im Monopol-Kino am Nordbad; die Ausstellung der Werke von Samira Eskandarfar ist bis 6. Juni in der galerieGEDOKmünchen zu sehen. Weitere Infos unter www.cinema-iran.de und www.gedok-muc.de