Der ewige Münchner |
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Helmut Dietl mit Georg Marischka bei den Dreharbeiten zum »ewigen Stenz« (Foto: BR / balance-film) |
»Wissen’s, da wo ich herkomme, Kultur, des war für uns, wenn einer sauber gewaschen war.«– »Monaco Franze«
Der weiße Anzug. Die schwarzen Haare. Und der Bart. Die Zigarette zwischen den nervösen Fingern. In der anderen Hand die Espressotasse oder ein Weißweinglas. Cool und lässig, von jener »etwas windigen Eleganz, die der jeweils herrschenden Mode immer einen Schritt vorausstolziert«, wie er seinen »ewigen Stenz«, den »Monaco Franze« beschrieben hat, war auch Helmut Dietl selber und es sind diese Bilder, die einem als allererstes einfallen, wenn man ihn ein paar Mal erlebt hat und sich jetzt an ihn erinnert.
»Als Autor und als Regisseur, was tut man denn? Jetzt mal krass ausgedrückt: Man bedient sich des Materials. Da ist einem alles recht. Also, man schaut genau auf die Leute hin, man beobachtet sie, schaut ob man da irgendwie was nehmen kann, klauen kann, benützen kann – also man könnt’s negativ auch formulieren: Das ist geradezu eine vampiristische Angelegenheit.«– Helmut Dietl
Ohne Helmut Dietl wären wir andere Zuschauer. In Monaco Franze – Der ewige Stenz gibt es gleich zu Anfang eine geniale Szene: Der Franz ist auf der Straße vor einem Schaufenster von einer Frau angesprochen worden, die, nebenbei, von Gisela Schneeberger gespielt wird, mit dem wunderbaren Satz: »Geh, des sag' ich Ihnen gleich im Fall, dass sie mich ansprechen wollen, da brauchen
Sie sich gar net anstrengen, bei mir geht nix...«, und am nächsten Morgen steht er mit seinem Polizei-Kollegen Kopfeck im Revier vor einer großen Wandkarte der Stadt München – so wie in den allerbesten, größten, schönsten Filmen immer wieder Menschen vor irgendeiner Karte stehen oder auf eine Karte blicken – und versucht herauszufinden, wo diese Frau wohnen könnte. Nicht im Vorort, meint er, sie habe eher nach »so Innenstadt-Randbezirk« ausgeschaut, »also Berg am Laim,
Harras, Sendling, Waldfriedhof ... Haidhausen wäre möglich, aber da wohnen jetzt ganz andere Leute, also eher Goetheplatz, Lindwurmstraße, Harras«. Und parallel dazu sinniert sie mit ihrer Arbeitskollegin (Cleo Kretschmer) über den Mann auf der Straße: »Grünwald, Harlaching oder eher noch wie Bogenhausen ... a einsamer Mensch, bisserl traurig.«
So erklären uns die beiden Figuren nicht nur die Stadt, wo die Serien spielt, nicht nur München und seine Topographie, sie erklären uns
die Stadt als ein psychologisches und soziales Feld, als einmalig zeitlich und räumlich verorteter Punkt. Als Reich der Zeichen.
Sie erklären uns, wie man eine Stadt liest und ihre Menschen und sein eigenes Leben – auf den Straßen, in München und anderswo.
»Ich denk' immer, es ist ein großer Schmarrn, was ich da mache«, hat er einmal im Interview gesagt. Aber zu diesem Punkt kommen Leute, die wirklich Schmarrn machen, eigentlich nie. Als er das sagte, da war er schon ein Großer, und es war keine Eitelkeit, kein groß aufgetragenes Understatement, sondern es war eine Unsicherheit, ein Nicht-eins-sein mit sich selbst, das auch im Erfolg immer spürbar blieb, und die ihn seinen Helden nahebrachte: Dem »Monaco Franze«, dem Tscharlie aus den Münchner G'schichten, dem Regisseur Uhu Zigeuner aus Rossini und sogar dem scheinbar so selbstsicheren Klatschreporter Baby Schimmerlos in Kir Royal.
Die Dietl-Helden sind Existentialisten des Alltags. Arbeiter, die nach dem vierten Augustiner zu Philosophen werden: »Wer reinkommt, ist drin«, »A bisserl was geht immer« – es sind solche, nur sehr scheinbar banalen Lebensweisheiten, die Dietls Werk unsterblich machen, und ihn selbst zum wichtigsten deutschen Komödienregisseur der letzten vierzig Jahre.
Dietl, 1944 in Bad Wiessee geboren, begann seine Karriere als Autor und Regisseur in den 1970er Jahren, und auch später gab es in seiner Erscheinung und seinem Humor immer eine Nachwirkung dieser Zeit. Dietl war ein Anarchist, ein Lebenskünstler, ein sarkastischer Kritiker seiner Zeit, an der Grenze zum Zynismus. Aber genau darin war Dietl auch ein Menschenfreund, ein Romantiker – und ein Wahrheitssucher.
»Mich interessieren Menschen, ganz normale Menschen, darunter auch Frauen.«– »Monaco Franze«
Auf den »Monaco Franze« und auf Rossini muss man immer wieder kommen, noch mehr als auf alle seine anderen Geniestreiche. Der Monaco Franze ist ja eigentlich eine Serie über den
Beziehungsterror des Alltags, die gegenseitigen völlig unrealistischen Erwartungen, denen die erwartbaren Enttäuschungen folgen müssen, eine Serie über das Glück der Augenblicke, in denen man mal – und sei es durch dumme Tricks – die Erwartungen des Anderen erfüllt, und über das Glück des Nebeneinanderherlebens, der Toleranz, die nichts mit Desinteresse zu tun hat, sondern mit einem sehr münchnerischen »Leben und Leben lassen«. Der Monaco ist eben einerseits
Existentialist, wie gesagt, ein Einsamer, münchnerischer Nachfolger von Humphrey Bogart mit Trenchcoat und Borsalino, der auf nichts festgelegt werden möchte, nicht von anderen, aber auch nicht von sich selbst: »Ich suche das Unerwartete und das Spontane und das überraschende Erlebnis.«
Anderseits auch einer, der einfach nur sein Ding machen will, in Ruhe und ohne falsche Ansprüche, der nicht der Depp sein will, schon gar nicht der von seiner Frau: »Wissen Sie, mich wollten
schon viele ändern...«
»Eine mittlere Reife ist doch nichts für einen Menschen. Eine mittlere Reife hat vielleicht ein Käse.«– Tscharlie, in den Münchner Geschichten
Dietl war einer, dem man im Vergleich zu den geborenen Münchnern die frühere Herkunft aus der Provinz anmerken konnte, nur darin, wie verliebt er in diese Stadt war, aber weil in München fast alle »Zuageroaste« sind, war er auch in allem ein sehr typisches Münchner Gewächs, einer, wie er nur in München möglich ist. Ein Grantler, wie er es unsterblich einmal in einem Interview vorgeführt hat: »Wenn ich überhaupt nur höre, ich soll etwas genießen, dann kriege ich Pickel, jetzt scheint da die Sonne, es ist wunderbar, es ist ein schöner Tag. Warum soll ich den auch noch genießen? Es reicht doch, dass er da ist. Ich habe damit nichts zu tun. Und der Mensch ist so, wie er ist. Es gibt keinen Anlass, irgend etwas zu genießen.«
Ein Grantler, also ein Liebender. Dietl liebte seine Wahl-Heimatstadt München, der er in fast jedem seiner Filme ein Denkmal gesetzt hat. Dietl liebte die Frauen. Vier Mal war er verheiratet, dazu öfters prominent liiert, etwa mit Veronica Ferres. Dietl liebte das Leben: Den Wein, die Zigaretten, die langen Abende.
All das fasst wohl keiner seiner Filme besser zusammen, als die Komödie Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief von 1997, einer der größten deutschen Filmerfolge der 90er Jahre. Der Film ist einfach nur albern, und ein Liebesfilm, es ist aber auch eine geniale Satire auf die Münchner »Schickeria«, der Dietl selbst angehörte, und eine Farce über die Medien- und Filmbranche.
»Wir haben hier zum Beispiel genauso gute Autoren wie anderswo, aber ein gutes Drehbuch kann nur entstehen, wenn ein Autor die Zeit bekommt, sich lange genug mit der Sache zu beschäftigten. Und das muss bezahlt werden. Ich habe, zusammen mit meinem Co-Autor Ulrich Limmer, vom Schtonk!-Drehbuch ungefähr zwölf Hauptfassungen und bestimmt auch ein Dutzend Nebenfassungen geschrieben. Und das muß auch finanziell ermöglicht werden.
Es gibt ja einen Haufen Geld, die Frage ist nur, wofür geben die Leute es aus. Man muß sie überreden, damit sie sich ein bißchen mehr trauen.« – Helmut Dietl, 1992
Dietls Filme waren immer wieder solche Realkomödien, Sittenbilder und Mediensatiren. Großartige geschriebene Lehrstücke über menschliche Dekadenz und zynische Medienmacht. Ob eben Rossini, ob der bitterböse Schtonk! über die wahre Geschichte von den falschen Hitler-Tagebüchern, ob »Kir Royal«, in dem es natürlich um sehr real existierende Boulevardblätter ging oder »Der ganz normale Wahnsinn« über Promi-Magazine oder Late Show über die damals neuen TV-Formate von Thomas Gottschalk und Harald Schmidt, die passenderweise gleich selber mitspielten.
»Ich weiß nur, dass es mir ganz sicher nicht zufliegt, das ist das Ergebnis einer sehr, sehr harten und langwierigen Arbeit, wie überhaupt das Leichte im wesentlichen das Ergebnis schwerer Arbeit ist. Nur durch äußerste Anstrengung gelingt es, etwas so hinzukriegen, dass es leicht daherkommt.«– Helmut Dietl
»Humor hat eine aufklärerische Wirkung«, wusste er, und Dietl hat bewiesen, dass Humor sehr viel mit Verstand zu tun hat. Der »deutsche Woody Allen«, wie man jetzt lesen konnte, war Helmut Dietl deswegen gerade eigentlich nicht. Dazu war er schon viel zu originell, aber auch viel zu konkret, zu wenig abgehoben, zu nahe bei den Filmemachern und bei den kleinen Leuten, ihrem Publikum, die auch seines waren. Und die Umdrehung des Satz, dass Woody Allen nämlich der amerikanische Helmut Dietl ist, die ist schon so deppert, dass sie selbst aus einer Dietl-Komödie stammen könnte. Dietls Witz zeigte genau dieses Absurde im Realen
»Das Fernsehen erfüllt das halt auch nicht mehr. Die Liebe zu den 'Drombuschs' oder wie das alles heißt, die kann natürlich Leute mit einem höheren Anspruch nicht ausfüllen. Man möchte jetzt schon gern einmal wieder was anderes haben, das ist einfach auch fad mit diesem Fernsehen.«– Helmut Dietl, 1992
In den achtziger und neunziger Jahren, da stand Dietl die Welt des deutschen Fernsehens und Kinos offen. Da schien alles zu Gold zu werden, was er anpackte, dabei war er vielleicht nur ganz eins mit seiner Zeit, nicht von morgen und schon gar nicht von gestern. Da konnte man ihn persönlich erleben wenn man sich ins »Schuhmann’s« hineintraute oder in das »Romana Antica«, jenen Schwabinger Italiener, in dem damals in den 90ern wirklich jeden zweiten Abend irgendwann Dietl auftauchte, mit seinen Freunden Bernd Eichinger, Wolf Wondraschek und Patrick Süskind, und ihren jeweiligen Gespielinnen.
»Außerhalb Münchens ist für mich Ausland.«– Helmut Dietl
Weil er so ganz nahe dran war am Leben, darum ist Rossini vielleicht die Quintessenz des Dietlschen Filmemachens. Hier treffen sich Melancholie und Sarkasmus und halten das Gleichgewicht. Das ist ihm danach nie mehr ganz so gut geglückt. Dietls letzte Filme hätte man bei jedem anderen gefeiert oder zumindest respektvoll zur Kenntnis genommen, bei Dietl machten sie unglücklich. Vielleicht lag es einfach daran, dass diese Filme nicht mehr in München spielten – zu recht, weil es mit dem München Dietls und Eichingers, dem München der 70er, der ewigen Stenze, der Bussi-Bussi-Szene, und des proletarischen Lehel, der Olympiade, der Koexistenz des alten Drecks und der neuen Reichen irgendwann einfach vorbei war.
Mit der Berliner Republik konnte sich Dietl, trotz des Versuchs in Zettl, nicht anfreunden. Denn der »Monaco Franze« und Baby Schimmerlos, die leben hier nicht mehr. Das Nachwende-Berlin ist in seiner Halbseidenheit viel zu real, zu wenig schillernd, um hier Filmstoffe zu finden, erst recht nicht für eine Persiflage.
Gerade deshalb, weil sie Wirklichkeit aus jeder Pore atmen, und inzwischen Dokumente vergangener Wirklichkeit geworden sind, sind Dietls Fernsehserien unüberboten. Hier findet dieser ewige Münchener das Traurige im Witzigen, das Einmalige im Alltäglichen.
Wenn man von Dietl und seinen Figuren eine Sache lernen konnte, dann den Umgang mit Widersprüchen. Haltung, wenn um einen herum die Welt verrückt wird. Mit Leichtigkeit oder Lässigkeit hat das vielleicht gar nicht soviel zu tun. Sondern mit Beobachtungsgabe. Ohne Helmut Dietl wären wir andere Menschen.
Es gäbe viel schönere Gründe, sich wieder einmal seine Filme auf DVD anzugucken, aber vielleicht tröstet das zumindest ein bisschen über die Nachricht: Helmut Dietl ist tot.