Schulen des Begehrens |
||
Isild Le Besco in Sade |
In den Augen, in den Gesichtern liegt oft die ganze Geschichte. Manchmal auch in dem, was diese Augen sehen und der Blick der Kamera uns enthüllt. Zum Beispiel Léa Seydoux, und die Unsicherheit ihrer Figur, die sich in dem Versailles-Drama Les adieux à la reine (2012) in dem Hin und Her aus Selbstbewusstsein und zögerlichen Bewegungen äußert, noch in der letzten Szene, Bruchteile bevor die Kammerzofe Sidonie die königliche Kutsche und damit die Welt von Gestern verlässt und in der Menge verschwindet, der Welt von Morgen. Oder, ein anderes Beispiel: Virginie Ledoyen in La fille seule (1994). Auch sie spielt ein Dienstmädchen, an ihrem ersten Tag in einem Hotel. Immer wieder tritt sie da ein in die Zimmer und damit mit mehr irritiertem als staunendem Blick in die Leben der Gäste und versucht, was immer auch geschieht mit möglichst viel Anstand hinter sich zu bringen. Während die Kamera ihr geduldig folgt, wird diese Valerie zu unserer Stellvertreterin: keine Voyeurin, eher eine Sphinx von abwartender Neugier. Sie trifft Paare beim Sex, geschäftige Vertreter, aufdringliche Kollegen, und weil wir etwas mehr wissen von ihr, aber nicht genug, als das alle Geheimnisse aufgehoben wären, lesen wir aus den kleinsten Details ein ganzes Drama.
Benoît Jacquot ist ein Regisseur, der sich für das interessiert, was das Kino allzu oft auslässt. Die Falten einer Geschichte, die unmerklichen Risse im Dasein einer Figur, das Zögern, das Innehalten, die Identifikationen wie Distanzierungen; etwa den Blick, den eine Frau auf die Schulter des Mannes wirft, mit dem sie gerade im Bett liegt. Jacquot geht es immer darum, das Intime zu zeigen, sichtbar zu machen. Nicht, indem es ausgesprochen wird, sondern wo es sich ereignet.
In seinen Filmen geht es immer wieder um die Dialektik von Enthüllung und Verbergen, Entzauberung und Wiederverzauberung. Und um Distanz, den Blick aus der Distanz, und die Frage, wie man sie überbrücken könnte.
Irgendwann, wenn einmal die Geschichte des französischen Kinos unserer Gegenwart geschrieben werden wird, dann wird man Benoît Jacquot ein besonders reichhaltiges Kapitel einräumen. Denn die Vielfalt dieses Regisseurs fällt sofort ins Auge, ebenso wie seine Widersprüchlichkeit, und, zumindest auf den ersten Blick, lässt sich über ihn nicht das sagen, was für viele andere gilt: dass er immer wieder den gleichen Film drehe, nur in verschiedenen Verkleidungen: Er hatte in jungen Jahren nahen Umgang mit Marguerite Duras und Jacques Lacan (über den er einen Interview-TV-Zweiteiler drehte), verfilmte Henry James und Puccinis »Tosca«, drehte Fernsehzweiteiler über Freud sowie nach Goethe und Kafka-Vorlagen und Kinofilme über den Marquis de Sade. Er hat ebenso Kostümstücke gemacht, wie Gegenwartspoträts, Opern inszeniert und Literatur verfilmt, einmal sogar den Japaner Mishima. Seine Filme zeigen oft Figuren aus dem Volk, aber das Milieu ist bürgerlich – wie auch Themen und Fragestellungen.
Eine Konstante, die am ehesten ins Auge fällt: Benoît Jacquot ist ein Regisseur der Frauen, der Frauenfiguren und der Schauspielerinnen. Mit manchen von ihnen arbeitet er immer wieder. Ob mit Virginie Ledoyen, die er fürs Kino entdeckte und seit Mitte der 90er dreimal drehte, wie auch mit Dominique Sanda, in seinen Anfangsjahren, oder die enigmatische Isild Le Besco, mit der er seit 2000 sogar viermal arbeitete. Mit Isabelle Huppert hat er inzwischen fünf gemeinsame Filme gemacht, den ersten 1981. Spricht man mit Huppert, gerät sie ins Schwärmen, nennt ihn in einem Atemzug mit Godard und Haneke als einen der für sie zentralen Regisseure.
»Sollte ich das« hat Benoît Jacquot einmal gesagt, »worum es in meinen Filmen geht, in ein einziges Bild fassen, dann wäre es: Eine Frau ist in einem Zimmer und öffnet die Tür zu einem anderen Zimmer, das sie nicht kennt.«
Aber warum gerade diese Frauen? Da ist gewiss die erotische Anziehung – aber worin liegt für Jacquot das Spezielle dieser Darstellerinnen, ihr Faszinosum? Es sind alles eher kühle, oft rätselhafte, nach manchem Geschmack auch spröde Frauen. Keine »kleinen
Mädchen«, anschmiegsame Prinzessinnen. Sie wirken aktiv und selbstbewusst, in ihrer intellektuellen wie ihrer sexuellen Ausstrahlung. Das gilt nicht minder für Léa Seydoux, die in zwei der drei letzten Filme Jacquots die Hauptrolle spielte, oder für Charlotte Gainsbourg, die jetzt für Trois coeurs erstmals mit diesem Regisseur zusammenarbeitete.
Close-Ups, immer wieder – keine Darstellerin verführt Jacquot derart oft zu Nahaufnahmen des Gesichts, wie die faszinierend-sperrige Isild Le Besco: Der katzenhafte Mund, die hohen Wangenknochen, die leicht asiatisch anmutenden mandelförmigen Augen – LeBesco ist eine so einmalige, wie mutige Darstellerin. Die Faszination scheint gegenseitig. LeBescos erster Langfilmauftritt war die Hauptrolle in Sade, als Gegenüber eines skeptisch-passiven Daniel Auteuil ist sie eine junge Aristokratin, die alles will, hier und jetzt, und dabei voller Unschuld bleibt. Mehr als andere Jacquot-Favoritinnen spielt LeBesco Frauen, die Grenzen überschreiten. Immer Aussteigerinnen aus ihrem Milieu, Frauen, die ihre Unschuld opfern, ihren Stand, ihr Leben aufs Spiel setzen – und das Spiel gewinnen!
Nach Fernsehauftritten als Kind spielte Virginie Ledoyen ihre erste ernsthafte Rolle in Olivier Assayas’ L’eau froide. Gleich danach verpflichtete sie gleich Benoît Jacquot. Zuerst in der Titelrolle für die fürs Fernsehen entstandene zweiteilige Marivaux-Verfilmung »Marianne«, dann in La fille seule. Dort trägt sie das Gewicht des ganzen Films, vom ersten Bild bis zum letzten: Jacquot setzt seine Heldin einer beinahe objektiven, quasi-dokumentarischen Kamera aus, die ihr auf Schritt und Tritt folgt. Der Epilog zeigt, dann – »zwei Jahre später« – was aus ihr geworden ist: eine Frau mit Vergangenheit, die den Seberg-Kurzhaarschnitt abgelegt hat. 2012 kamen beide wieder zusammen: In Les adieux à la reine spielt Ledoyen die hochnäsige Geliebte Marie Antoinettes und Gegenspielerin von Leá Sedoux.
Seydoux wirkt vergleichsweise robust. In zwei der drei letzten Jacquot-Filme spielte der neue Superstar des französischen Kinos die Hauptrolle – und man hat nicht den Eindruck, dass das schon alles wäre. Zweimal waren es Kostümfilme und zweimal war Seydoux das Mädchen aus dem Volk, eine Dienstbotin, die mit dem Blick der Unterklasse auf das Treiben der Reichen und Schönen schaut. Aber es ist kein Ressentiment, auch kein Neid, der aus ihrem Gesicht spricht, sondern die praktische Klugheit eines Menschen, der früh gelernt hat, auf der Hut zu sein. In Les adieux à la reine wie in Le journal d’une femme de chambre sind die Blicke Seydoux' die Hauptdarsteller. Das ist ebenso die Leistung einer vielseitigen Schauspielerin, wie die eines Regisseurs, der aus den kleinsten Elementen Funken zu schlagen versteht.
Am ehesten das Leinwand-Alter-Ego des Regisseurs ist Isabelle Huppert. Wenig jünger als er, trat Huppert bereits mit 28 in einem Jacquot-Film auf. Im Gegensatz zu anderen Jacquot-Heldinnen wirken Hupperts Figuren oft passiv, abwartend, aber auch jederzeit machtvoll. Immer trägt sie in ihre Rollen Geheimnisse hinein und eine verletzliche Konsequenz. Nicht anders als andere Jacquot-Frauen sind die Hupperts den Männern überlegen. Aber sie müssen sich weniger mit anderen Frauen vergleichen lassen. Vielmehr sind sie die eine Hälfte eines Zweikampfs. Oder gar beide, wie in »Villa Amalia«, den man auch als Schizophrenie-Geschichte verstehen kann: Da wirft eine Künstlerin ihr bisheriges Ich ab, schneidet sich die Haare kurz, und legt sich mit dem neuen Namen auch einen neuen Charakter zu – Spiegelstadium ganz praktisch, und so erinnert uns Huppert auch an Jacquots Anfänge als Lacanianer.
Die Frauenfiguren bei Jacquot mögen mitunter zerbrechlich scheinen, sie werden auch gelegentlich verletzt, aber sie bewahren sich im Labyrinth von Eifersucht, Liebesverrat und Käuflichkeit der Gefühle ihre Reinheit, sie handeln immer kraftvoll und autonom, sie erleben bei Jacquot immer wieder eine »éducation sentimentale«, die in ihre Befreiung mündet. Diese kann sich allerdings selten ohne Schmerzen vollziehen, ob physisch oder seelisch und um die Kraft des Befreiungsakts zu zeigen, zeigt Jacquot auch die Ketten, die sie abwerfen müssen. Das haben manche, vor allem weibliche Zuschauer als Männerphantasien und Erotikkitsch missdeutet, etwa in Jacquots wilder Kaspar-Hauser-Variation Au fond du bois (2010). Ein weiteres Mal der Fehlschluss vom Werk auf den Macher.
Das Sichtbare und das Sagbare
Vielleicht kommt man einer Erklärung mit der Tatsache näher, dass Jacquot in deren letzten Lebensjahrzehnten ein enger Freund von Marguerite Duras gewesen ist. Neben einer frühen Verfilmung (La bete dans la jungle, 1988) hat Jacquot 1993 zwei lange Interview-Filme mit und über Duras gedreht. Für Duras hatte er bereits lange zuvor, bei »India Song« als Regie-Assistent gearbeitet, und seitdem immer wieder. In dem Interview spricht Duras einmal über den Unterschied zwischen Männern und Frauen: Frauen bewegten sich, schwiegen, seien »durchlässig« und »dauerhaft« – Männer dagegen, sagt Duras, wollen alles gleich benennen. In Duras' Büchern wie Filmen steht immer das Verhältnis zwischen Sichtbarem und Sagbarem, zwischen Erzählung und Unerzählbarem im Zentrum, da trifft sie sich mit Jacquot, bei dem vieles rohe freie Assoziation ist, sich Blicke und Geschehen allenfalls zu losen Szenen formen, die Worte sich den Bildern zur Seite stellen, ohne die vernünftig begründeten festen Bindungen der eindimensionalen Erzähllogik einzugehen. Jacquots Bilder erklären eher die Worte, die Sätze illustrieren eher das Sichtbare, als umgekehrt.
Geheimnis und Entzauberung prägt La désenchantée (1990) das Porträt eines Mädchens, das ihren Weg noch nicht gefunden hat. Auch formal bestechend wird es dann in dem wunderbaren La fille seule. Eine konzentrierte Etüde, die die Titelheldin in Realzeit an ihrem ersten Arbeitstag in der ersten Stunde beim Roomservice eines Hotel verfolgt, oft genug von hinten bei ihren langen Wegen durch die Gänge – Jahre bevor dies die Dardennes nachmachten. Das ist spannend, schon weil man dem Leben einfach zuguckt, aber auch, weil die Figur selbst unter Spannung steht. Denn die Zuschauer wissen, dass sie gerade zuvor ihrem Freund verkündet hat, dass sie ein Kind erwartet. Am Ende des Films trifft sie den Freund wieder und es bedarf keiner Worte, nur wieder der Blicke, um die Trennung zu besiegeln. Und wenn dann Ledoyen, tapfer, befreit, ins Hotel zurückgeht, setzt plötzlich zum ersten Mal Musik ein, von Dvorak in diesem Fall.
Ähnlich verwendet Jacquot immer wieder Musik – noch zuletzt in Trois coeurs markierte sie Höhepunkte, blitzhafte Eingriffe des Schicksals ins Dasein, Erschütterungen, eine »peak experience« (John Dewey). Gegen derartige Schicksalsschläge helfen auch im Kino nur Anstand und Manieren, nur das Korsett aus Geschmack, Bildung und Herkunft, das wir mit dem Begriff der Bürgerlichkeit verbinden. Gerade dem französischen Kino sagt man gern nach, besonders bürgerlich zu sein, im Guten wie Schlechten, also möglicherweise zu elitär und gesittet, zu abgehoben. Volksverbunden wollte Jacquot nie sein, aber er würde für sich in Anspruch nehmen, von universalen Erfahrungen zu erzählen. Auch da, wo Setting und Lösungsstrategien tatsächlich ganz bourgeois sind, wie in Le Septième ciel: um ihre Ehe wieder in den Griff zu bekommen, lässt sich eine Frau von einem Hypnotiseur behandeln – mit dem Erfolg, dass sie ein ganz neuer Mensch wird, Affairen anfängt, und nun ihr Ehemann eine Therapie nötig hat. Eine sarkastische, surreale Ehekomödie um die Dinge des Lebens: Pragmatismus und Zwangsneurose. Psychische Störungen im Wechselspiel mit der überaus bürgerlichen Institution der Therapie erforschte Jacquot in dem fürs Fernsehen entstandenen semibiographischen Kammerspiel Marie und Freud (2004) über die Geschichte der Prinzessin Marie Bonaparte, die seit 1925 Schülerin Sigmund Freuds war.
Noch deutlicher an der sozialen Welt interessiert ist Jacquot in Pas de scandale, in dem Isabelle Huppert die Ehefrau eines Industriellen spielt, der im Gefängnis sitzt und dessen Familien in Angst von Enthüllungen zittert. Doch der läuft nach seiner Entlassung nur wie ein unschuldiger Narr harmlos durch die Welt. Hier ist ein jeder zu sehr in seiner Welt gefangen, als das die jeweiligen Phantasien den Boden der Gesellschaft ins Schwanken bringen
könnten.
Ä hnlich verhält sich das auch in der Mishima-Verfilmung L’école de la chair. Vertauschte Geschlechterrollen sind hier die Folge von Machtverhältnissen: Eine nicht mehr ganz junge, reiche Dame erblickt in einer Bar einen schönen Jüngling und macht ihn zu ihrer Konkubine. Das obskure Objekt der Begierde ist zunächst anschmiegsam, zunehmend aber widerständig. So entwickelt sich
eine Amour fou »on ice«, ohne jede Romantik und Naivität, bei der aber keiner der beiden so unbeteiligt bleibt, wie er möchte.
Das Entpsychologisieren des Inneren – dies könnte man Jacquots Projekt nennen. In seinem gefühlvollen Frauenporträt Villa Amalia zeigt er Elaine, eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, die in der Krise ihren Mann einfach verlässt. Vieles gleicht einem surrealen Trip, einem Albtraum. Der Zuschauer wird vom Regisseur in die Lage versetzt, an den inneren Erfahrungen der Hauptfigur teilzunehmen. Elaine ist keineswegs verrückt oder hysterisch, um billige Selbstverwirklichung geht es auch nicht, und sie ist nur insofern egozentrisch, als es um ihr eigenes Überleben geht. Hingegen kann man an dieser Dekonstruktion eines bürgerlichen Frauenlebens gut beobachten, wie nahe Freiheit und Selbstzerstörung beisammenliegen. Jacquot versteht es meisterlich, von Psychologie und anderen Eindeutigkeiten abzusehen und seinen Film bis zum Schluss im fiebrigen Schweben, im Offenen zu halten. Elaine ist frei; sie wird wählen.
Heißblütiger und bewegter wurde es ausgerechnet in dem Historienfilm Sade. Jacquot greift den Moment auf, in dem die Französische Revolution außer Kontrolle gerät und umschlägt. In seiner Hauptfigur verteidigt er auch Individualität und die skeptische Neugier der Aufklärung. Sade ist eine
faszinierende Reflexion über die innere Freiheit in Zeiten des äußeren Terrors, ein intelligenter und im Nachhinein hellsichtiger Film, der den Verfall der Libertinage ein Jahr vor 9/11 schon ahnt, und die folgende Resignation der Intellektuellen vorwegnimmt. Daniel Auteuil spielt den »göttlichen Marquis« mit dem melancholischen Charme eines alternden Libertins. Sein Sade ist stolz und bescheiden. Er lernt Emilie, eine junge Tochter aus gutem Haus kennen, die ebenso
schüchtern wie neugierig Gedankenaustausch sucht, und nicht als Jungfrau aufs Schafott gehen möchte.
Gespielt wird sie von Isild Le Besco, und noch zweimal spielt diese Darstellerin ähnliche Ausreißerinnen aus bürgerlichen Gefängnissen: In À tout de suite (2005) ist sie eine Kunststudentin, die sich in einen Marokkaner verguckt, und ihm spontan durch halb Europa folgt. Nachdem sie Eros kennengelernt hast, trifft sie in einer spanischen
Stierkampfarena auch seinen Bruder Thanatos. Auch L’intouchable konzentriert sich ganz auf das Gesicht der Hauptdarstellerin. Le Besco spielt eine Schauspielerin, die gerade Brecht übt, als sie erfährt, dass ihr Vater eigentlich ein Inder ist. Da macht sie sich auf nach Delhi und zum Ganges – ein Verfremdungsakt radikalerer Art.
Spiritualität und Schock treffen sich am Rohesten in Au Fond Des Bois, der Geschichte eines Bürgermädchens (Le Besco), die von einem abstoßenden Jungen, der à la Kaspar Hauser im neunzehnten Jahrhundert in den Wäldern lebt, entführt und missbraucht wird – worauf sie ihm verfällt, und sich zwischen den beiden eine intensive Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit entspinnt. Die Geschichte einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1865 taucht Jacquot in eine hypnotische Bildsprache, die atmosphärisch an Tourneur und Bresson erinnert.
In Trois coeurs zeigt Jacquot jetzt zwei Schwestern aus der südfranzösischen Provinz, in die sich nacheinander der gleiche Mann verliebt. Und mehr denn je entfaltet die Schicksalmaschine namens Kino ein Spiel aus Liebe und Zufall. Man muss das nicht für realistisch halten, kann es gekünstelt finden, aber es ist eben Kunst: Sie konfrontiert uns mit einer mitreißenden Konstellation, in der es nicht um statistische Wahrscheinlichkeit geht, sondern um emotionalen Realismus. Und da funktioniert der Film hervorragend: Keiner ist schuld, aber am Ende sind alle unglücklich – Trois coeurs ist ein unglaublich guter Film über die universale Macht der Liebe und das Drama, wenn Amour fou gegen Pragmatismus steht. Und es ist ein sehr französischer Film: es wird viel gegessen, es wird viel geredet, es wird viel geliebt. Existentialistisch und hedonistisch. Immer wieder wird herzschlaghafte, dräuend-drohende Musik eingesetzt, als Mittel der Überhöhung, der Distanzierung von der Realität – fast wie im Horrorfilm.
Es müssen also nicht immer Dienstmädchen sein, auch wenn Jacquot an dieser Figur immer wieder – zuletzt in Le journal d’une femme de chambre (2015) – gesellschaftliche Widersprüche illustriert. Das, was er nämlich auch hier eigentlich zeigen möchte, ist das Unerklärliche. Jacquot seziert, aber unordentlich, roh, neugierig, nicht um Erklärungen bemüht, sondern ums Zeigen: Weil seine Filme wie Skizzen wirken, gelingt es ihnen die Welt mit einer hitzig-pulsierenden Lebendigkeit einzufangen.
Jacquots setzt radikal auf die Oberflächen der Bilder. Dem Unsagbaren rückt er visuell zu Leibe – wovon man nicht schweigen will, das muss man zeigen.