Be Careful |
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Ménage à trois mit Lubitsch-Touch: Design for Living |
Von Ulrich Mannes
Zum Beispiel Employees' Entrance von Roy del Ruth. Der »Pre-Code-Casanova« Warren William spielt darin einen leitenden Angestellten, der einen Kaufhauskonzern erfolgreich durch die Weltwirtschaftskrise führt. Seine Methoden könnte man als gewissenlos bezeichnen: »Er macht aus allem und jedem Kleinholz, was in seine Reichweite kommt: angefangen bei seinen Vorgesetzten über seine hart arbeitenden Abteilungsleiter bis hin zu den Zielscheiben seiner sexuellen Begierde.« William gibt den Sozialdarwinisten und Frauenhasser, und doch bleibt er der Held des Films. Mit einer waghalsigen Intrige gegen den eigenen Vorstand schafft er es, seine Entmachtung zu verhindern, so kann er seinen rabiaten Erfolgkurs fortsetzen und auf Massenentlassungen verzichten. Auf der Strecke bleiben zwei seiner Schützlinge: Wallace Ford, den er eigentlich als seinen Nachfolger heranziehen wollte, und dessen Frau Loretta Young, die er sich in einem schwachen Moment gefügig gemacht hat. Fast enden die beiden als Mörder-Selbstmörderpaar, doch der glimpfliche Ausgang ihrer Affekthandlungen bringt sie zur Einsicht, ihr gemeinsames Glück fortan ganz fern von diesem Ausbeuter zu suchen. Genau besehen lässt Employees' Entrance den Zuschauer mit zwei konkurrierenden Happy Endings zurück.
»Pre-Code«, das ist unter Cineasten in den letzten Jahrzehnten gleichsam zu einem Erkennungszeichen (zum Beispiel in diversen You-Tube-Kanälen) geworden, als Begriff für eine filmhistorische Periode und zugleich für eine Art Meta-Genre, das sich in den Wirrnissen der frühen 1930er Jahre, also in den Anfängen des Tonfilms vorübergehend herausgebildet hat. Der britische Filmhistoriker William K. Everson schrieb: »Der Ton – so dachte man offensichtlich in Hollywood – befreit den Film von seiner Künstlichkeit; also hatten die Filme fortan 'wahr' und 'ehrlich' zu sein. Für kurze Zeit wich man ab von der breiten Straße des Genres, aus denen die Stummfilmproduktion mehrheitlich bestanden hatte: eskapistische Abenteuer, witzige Komödien und romantische Liebesgeschichten. Sollten Filme 'ehrlich' sein, so mussten sie die Wirklichkeit der Zeit damals widerspiegeln, also Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Hunger, Prostitution, Obdachlosigkeit und Drogensucht.«
Die Erzeugnisse dieser Periode (1930 bis 1934) waren also um einiges wirklichkeitsnäher und freizügiger als die Filme, die man gemeinhin mit dem klassischen Hollywoodkino verbindet. Und doch ist der Begriff »Pre-Code« unpräzise, denn ganz ohne moralisches Regelwerk ließ sich mit der Filmindustrie kaum je ein Staat machen. Auf Druck vor allem der Kirchen und der Jugendschützer ist das Regelwerk schon in der Stummfilmära formuliert worden, initiiert vom MPPDA, dem bis heute existierenden nationalen Verband der Produzenten und Verleiher. Unter der Ägide des Sprechers Will Hays kam dann ein Vorschriftenkatalog mit drei Dutzend »Don'ts and Be Carefuls« heraus, der den Ärger mit den Moralwächtern minimieren und einer staatlichen Zensur zuvorkommen sollte. Da diese freiwillige Selbstkontrolle aber zunächst nur lax angewandt wurde, artikulierten sich Sex, Gewalt und Unmoral in so eindeutigen Anspielungen, daß diese Filme mit ihrer »Pre-Code-Sinnlichkeit« eben eine Klasse für sich bilden. Erst ab 1934 mit der rigorosen Durchsetzung des Codes unter einem neuen Oberzensor war Schluß mit all den Frivolitäten: die »Goldene Studio-Ära« kündigte sich an.
Im Münchner Filmmuseum geht dieses Wochenende die Filmreihe »Hollywood ohne Schranken« zu Ende, die einen durchaus repräsentativen Querschnitt dieser Ära geboten und so gut wie alle Genres bedient hat: Gangsterdramen, Komödien, Musicals, Horror- und Historienfilme. Es waren sogar ein paar Klassiker darunter, King Kong, Dr. Jekyll and Mr. Hyde, Duck Soup (Marx-Brothers) oder das Al-Capone-Schlüsseldrama Scarface. Zu den Highlights zählte Victor Flemmings Red Dust, in dem man Clark Gable als Betreiber einer Kautschukplantage erlebt, der sich im Dschungel von Indochina auf eine »unsittliche« Dreiecksbeziehung mit Jean Harlow und Mary Astor einläßt. Oder The Sign of the Cross von Cecil B. DeMille, eigentlich ein dröges christliches Erbauungsdrama, aus dem DeMille dank schön ausgespielter Orgiensequenzen und einer abwechslungsreichen Christen-Hinrichtung im Circus Maximus ein unvergleichliches Spektakel machte. Dominiert wurde die Pe-Code-Ära freilich von den rasanten Sozialdramen, der Warner-Brothers, die sich den Wahlspruch »Pictures Snatched from Todays Headlines« zu eigen machten. Z.B. mit dem oben beschriebenen Employees' Entrance, oder auch mit Night Nurse von William A. Wellman, in dem Barbara Stanwyck als Krankenschwester einen verbrecherischen Arzt, der zwei Kinder wegen einer Erbschaft langsam verhungern lasen will, zusammen mit einem smarten Bootlegger zur Strecke bringt. Der eigentliche Höhepunkt der Reihe war ein Vortrag des Kurators Mike Mashon (von der Libery of Congress), der restaurierte bzw. rekonstruiere Fassungen zweier Warner-Filme mitbrachte: A Modern Hero (der einzige amerikanische Film von G. W. Pabst) und Baby Face (von dem unbekannten Alfred E. Green), zwei schwindelerregende Aufsteiger-Geschichten, wie sie nur in dieser Ära entstehen konnten.
Dieses Wochenende nun lässt das Filmmuseum seine Reihe entspannt ausklingen mit den Komödien-Klassikern Design for Living (Ernst Lubitsch), Jewel Robbery (William Dieterle) und I’m No Angel (mit Mae West), bei denen die »Pre-Code-Sinnlichkeit« vor allem in geistreichen Dialogen zu finden ist. Gleichsam als Apotheose der Pre-Code-Ära wartet schließlich am Sonntag, dem 22.11., das Busby Berkely-Musical Gold Diggers of 1933 auf, das die Zustände der Depression ganz offensiv mit einer waghalsigen Revue thematisiert und ein »tollwütiges Feuerwerk unberechenbarer Visionen entfaltet«.
Lektüreempfehlung: Der Katalog zur großen Viennale-Retro »Before the Code« 1996.
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