Lateinamerika im Schnelldurchlauf |
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Bewegte Bilder ohne Sprache in: O Menino e o Mundo |
Von Ingrid Weidner
Lateinamerika weckt viele Assoziationen: Fußball, Samba, Tango, Terror, Korruption und Diktatur sind kleine Puzzleteile. Doch der Kontinent bietet viel mehr: Atemberaubende Landschaften, Musik und Geschichten, die sich als magischer Realismus in Literatur und Film wiederfinden. Das diesjährige Festival de Cine Latino Americano widmet sich den Animationsfilmen, einem Genre, dem oft das Etikett des Naiven und Trivialen angeheftet wird. Die vier gezeigten, abendfüllenden Zeichentrickfilme aus Brasilien, Kolumbien sowie eine Koproduktion aus Kuba, Spanien und Deutschland, spannen einen weiten thematischen Bogen.
»O Menino O Mundo«, übersetzt Der Junge und die Welt, eröffnet die Reihe am Donnerstag, den 3. Dezember um 19.30 Uhr im Gasteig. Die Geschichte des kleinen Cuca beginnt wie ein Märchen. Ein idyllisches Dorf, eine kleine Familie mitten in einer bezaubernden Landschaft. Doch als der Vater auf die Suche nach Arbeit in die Stadt aufbricht, verändert sich auch das Leben von Cuca. Traurig zurückgelassen, beschließt er, sich ebenfalls auf den Weg zu machen und den Vater zu suchen. Bilder und Musik verändern sich, wenn sich große Themen wie Globalisierung, Kapitalismuskritik, Umweltzerstörung und Ausbeutung in die Bilder schleichen. Doch die Tristesse bestimmt nie alleine die Agenda, denn auch Cuca verändert sich auf seiner Reise.
Der in Sao Paulo geborene Regisseur und Drehbuchauto Alê Abreu veröffentlichte 2013 diesen abendfüllenden Animationsfilm, sein zweites, gezeichnetes Werk. Beim größten Animationsfestival in Annecy wurde Der Junge und die Welt mit dem Crystal Award und dem Publikumspreis ausgezeichnet. Faszinierend ist auch, dass sich die bewegten Bilder von Alê Abreu ganz ohne Sprache für den Zuschauer erschließen.
Mythische Landschaft und magischer Realismus fehlen dagegen in »Pequeñas Voces – Stille Stimmen« ganz. In dem animierten Dokumentarfilm geht es um den Krieg in Kolumbien und wie Kinder Gewalt und Willkür erleben. Ari Forman thematisierte 2008 in seinem Animationsfilm Waltz With Bashir das Kriegstrauma von israelischen Soldaten. Jairo Eduardo Carrillo aus Kolumbien wählt eine andere Perspektive und rückt die Erlebnisse von vier Kindern in den Mittelpunkt. Ideen und Material für die Geschichte lieferten Gespräche und Zeichnungen eines Workshops mit traumatisierten kolumbianischen Kinder zwischen acht und 13 Jahren, die inmitten von Gewalt und Chaos aufwuchsen. Wie sich beispielsweise das Leben in einem Dorf verändert, wenn plötzlich Horden von Guerilleros per Hubschrauber einfallen. Die Kleinen erzählen in ihren eigenen Worten davon. Ängste, Träume und Hoffnungen spiegeln sich gleichermaßen in den Bildern. Die Originalversion mit englischen Untertiteln ist am Freitag, den 4. Dezember um 20 Uhr im Gasteig zu sehen und als Wiederholung am Dienstag, den 8. Dezember um 19.15 Uhr ebenfalls im Gasteig.
Rio 2096: A Story of Love and Fury von Luiz Bolognesi erzählt in animierten Bildern die Liebesgeschichte von Janaína und dem unsterblichen Tupinambá-Krieger Abeguar. Über sechs Jahrhunderte umfasst die Geschichte der beiden. Sie durchleben finstere Kapitel der Geschichte Brasiliens von der Kolonisierung, über Sklaverei und Militärherrschaft bis in die ferne Zukunft im Jahr 2096, als schließlich ein apokalyptischer Krieg um den wertvollen Rohstoff Wasser wütet. Ob es allerdings noch über 80 Jahre dauern wird, bis dieses ferne Szenario eintrifft, bleibt angesichts der aktuell schon existierenden Wasserknappheit in den brasilianischen Megacitys und der aktuellen Umweltkatastrophe am Fluss Río Doce fraglich. Zu sehen ist der 75-minütige Film am Montag, den 7. Dezember um 20 Uhr und am nächsten Tag um 21 Uhr jeweils im Vortragssaal der Bibliothek des Gasteigs in der Originalversion mit englischen Untertiteln.
Vampire soll es auch in Havanna geben, und zwar nicht erst seit sich das Land noch stärker um ausländische Investoren wirbt und der ehemaligen Erzfeind aus dem Norden eine Botschaft in Havanna eröffnete. Krieg der Vampire von Juan Padrón aus dem Jahr 1985 zeigt das Instituto Cervantes am Montag, den 7. Dezember um 19.30 Uhr in der spanischen Originalfassung ohne Untertitel bei freiem Eintritt. Die Geschichte greift die Widersprüche zwischen Kapitalismus und sozialistischer Idee auf: Ein cleverer Kubaner entwickelt einen Trank, der Vampiren das Leben am Tageslicht ermöglicht. Pepito, sein Neffe und Trompetenspieler, besitzt die wertvolle Rezeptur. Natürlich pilgern Vampire aus aller Welt nach Kuba, um an das Rezept für den Zaubertrank zu gelangen und streiten sich – nunja, bis auf´s Blut. Ob der wertvolle Saft als Allgemeingut gilt oder ein lukratives Profitobjekt, das fragen sich Vampire und Pepito gleichermaßen. Die Filmemacherin Betsy Parra Osorio ist anwesend und übernimmt die Einführung sowie das anschließende Filmgespräch.
Neben den vier langen Animationsfilmen präsentiert das Festival noch 16 Kurzfilme, die zu jeweils drei Themenblöcken zusammengefasst wurden. Wem also der Sinn nach realen Menschen und dem wirklichen Leben steht, kann beispielsweise Efrain in La Parka begleiten, der seit 25 Jahren in einem Schlachthaus arbeitet und einiges über den Tod, Schuld und die Liebe weiß. Außerdem umfasst der Kurzfilmblock 1 noch die Geschichte von Diana, die an ihrer Schule zur Frühlingskönigin gekrönt wird und sich nicht wirklich darüber freuen kann. Als »Primavera« bekommt sie zwar ein schönes Kleid, doch das Fest ist dann trister als erwartet. Auch La reina widmet sich den Sorgen eines jungen Mädchens, diesmal im Karneval. Der Kurzfilmblock 1 umfasst noch zwei weitere Werke und ist am Freitag, den 4. Dezember um 21 Uhr im Werkstattkino und am Sonntag, den 6. Dezember um 19 Uhr im Gasteig zu sehen.
Im zweiten Kurzfilmblock Fantasiert Animiert wurden jeweils zwei kurze Animationsfilme, animierte Dokumentarfilme sowie in Stop Motion produzierte Filme zusammengefasst, die skurrile, fantastische und verstörende Geschichten aus Mexiko und Argentinien erzählen. Zu sehen ist der Kurzfilmblock II am Samstag, den 5. Dezember um 21 Uhr im Werkstattkino und am Sonntag, den 6. Dezember ebenfalls um 21 Uhr im Gesteig.
Der dritte Kurzfilmblock konzentriert sich ganz auf Ecuador und zeigt fünf Kurzfilme, die zwischen 2004 und 2014 entstanden sind. Zu sehen ist Kurzes aus Ecuador am Freitag, den 5. Dezember um 22 Uhr im Gasteig und als Wiederholung am Samstag, den 5. Dezember um 20 Uhr ebenfalls im Vortragssaal der Bibliothek.
Die diesjährigen Lateinamerikanischen Filmtage München finden vom 3. bis zum 8. Dezember statt. Neben dem Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig und dem Werkstattkino in der Fraunhoferstraße beteiligt sich auch das Instituto Cervantes in der Alfons-Goppel-Straße 7 am Screening. Das Programm ist unter http://www.lateinamerikanische-filmtage-muenchen.de abrufbar.