03.12.2015

Latein­ame­rika im Schnell­durch­lauf

O Menino O Mundo
Bewegte Bilder ohne Sprache in: O Menino e o Mundo

Die lateinamerikanischen Filmtage bieten auch 2015 mehr als nur stereotype Assoziationen.

Von Ingrid Weidner

Latein­ame­rika weckt viele Asso­zia­tionen: Fußball, Samba, Tango, Terror, Korrup­tion und Diktatur sind kleine Puzzle­teile. Doch der Kontinent bietet viel mehr: Atem­be­rau­bende Land­schaften, Musik und Geschichten, die sich als magischer Realismus in Literatur und Film wieder­finden. Das dies­jäh­rige Festival de Cine Latino Americano widmet sich den Anima­ti­ons­filmen, einem Genre, dem oft das Etikett des Naiven und Trivialen ange­heftet wird. Die vier gezeigten, abend­fül­lenden Zeichen­trick­filme aus Brasilien, Kolumbien sowie eine Kopro­duk­tion aus Kuba, Spanien und Deutsch­land, spannen einen weiten thema­ti­schen Bogen.

»O Menino O Mundo«, übersetzt Der Junge und die Welt, eröffnet die Reihe am Donnerstag, den 3. Dezember um 19.30 Uhr im Gasteig. Die Geschichte des kleinen Cuca beginnt wie ein Märchen. Ein idyl­li­sches Dorf, eine kleine Familie mitten in einer bezau­bernden Land­schaft. Doch als der Vater auf die Suche nach Arbeit in die Stadt aufbricht, verändert sich auch das Leben von Cuca. Traurig zurück­ge­lassen, beschließt er, sich ebenfalls auf den Weg zu machen und den Vater zu suchen. Bilder und Musik verändern sich, wenn sich große Themen wie Globa­li­sie­rung, Kapi­ta­lis­mus­kritik, Umwelt­zer­störung und Ausbeu­tung in die Bilder schlei­chen. Doch die Tristesse bestimmt nie alleine die Agenda, denn auch Cuca verändert sich auf seiner Reise.

Der in Sao Paulo geborene Regisseur und Dreh­buch­auto Alê Abreu veröf­fent­lichte 2013 diesen abend­fül­lenden Anima­ti­ons­film, sein zweites, gezeich­netes Werk. Beim größten Anima­ti­ons­fes­tival in Annecy wurde Der Junge und die Welt mit dem Crystal Award und dem Publi­kums­preis ausge­zeichnet. Faszi­nie­rend ist auch, dass sich die bewegten Bilder von Alê Abreu ganz ohne Sprache für den Zuschauer erschließen.

Mythische Land­schaft und magischer Realismus fehlen dagegen in »Pequeñas Voces – Stille Stimmen« ganz. In dem animierten Doku­men­tar­film geht es um den Krieg in Kolumbien und wie Kinder Gewalt und Willkür erleben. Ari Forman thema­ti­sierte 2008 in seinem Anima­ti­ons­film Waltz With Bashir das Kriegs­trauma von israe­li­schen Soldaten. Jairo Eduardo Carrillo aus Kolumbien wählt eine andere Perspek­tive und rückt die Erleb­nisse von vier Kindern in den Mittel­punkt. Ideen und Material für die Geschichte lieferten Gespräche und Zeich­nungen eines Workshops mit trau­ma­ti­sierten kolum­bia­ni­schen Kinder zwischen acht und 13 Jahren, die inmitten von Gewalt und Chaos aufwuchsen. Wie sich beispiels­weise das Leben in einem Dorf verändert, wenn plötzlich Horden von Gueril­leros per Hubschrauber einfallen. Die Kleinen erzählen in ihren eigenen Worten davon. Ängste, Träume und Hoff­nungen spiegeln sich glei­cher­maßen in den Bildern. Die Origi­nal­ver­sion mit engli­schen Unter­ti­teln ist am Freitag, den 4. Dezember um 20 Uhr im Gasteig zu sehen und als Wieder­ho­lung am Dienstag, den 8. Dezember um 19.15 Uhr ebenfalls im Gasteig.

Rio 2096: A Story of Love and Fury von Luiz Bolognesi erzählt in animierten Bildern die Liebes­ge­schichte von Janaína und dem unsterb­li­chen Tupinambá-Krieger Abeguar. Über sechs Jahr­hun­derte umfasst die Geschichte der beiden. Sie durch­leben finstere Kapitel der Geschichte Brasi­liens von der Kolo­ni­sie­rung, über Sklaverei und Mili­tär­herr­schaft bis in die ferne Zukunft im Jahr 2096, als schließ­lich ein apoka­lyp­ti­scher Krieg um den wert­vollen Rohstoff Wasser wütet. Ob es aller­dings noch über 80 Jahre dauern wird, bis dieses ferne Szenario eintrifft, bleibt ange­sichts der aktuell schon exis­tie­renden Wasser­knapp­heit in den brasi­lia­ni­schen Megacitys und der aktuellen Umwelt­ka­ta­strophe am Fluss Río Doce fraglich. Zu sehen ist der 75-minütige Film am Montag, den 7. Dezember um 20 Uhr und am nächsten Tag um 21 Uhr jeweils im Vortrags­saal der Biblio­thek des Gasteigs in der Origi­nal­ver­sion mit engli­schen Unter­ti­teln.

Vampire soll es auch in Havanna geben, und zwar nicht erst seit sich das Land noch stärker um auslän­di­sche Inves­toren wirbt und der ehema­ligen Erzfeind aus dem Norden eine Botschaft in Havanna eröffnete. Krieg der Vampire von Juan Padrón aus dem Jahr 1985 zeigt das Instituto Cervantes am Montag, den 7. Dezember um 19.30 Uhr in der spani­schen Origi­nal­fas­sung ohne Unter­titel bei freiem Eintritt. Die Geschichte greift die Wider­sprüche zwischen Kapi­ta­lismus und sozia­lis­ti­scher Idee auf: Ein cleverer Kubaner entwi­ckelt einen Trank, der Vampiren das Leben am Tages­licht ermög­licht. Pepito, sein Neffe und Trom­pe­ten­spieler, besitzt die wertvolle Rezeptur. Natürlich pilgern Vampire aus aller Welt nach Kuba, um an das Rezept für den Zauber­trank zu gelangen und streiten sich – nunja, bis auf´s Blut. Ob der wertvolle Saft als Allge­meingut gilt oder ein lukra­tives Profit­ob­jekt, das fragen sich Vampire und Pepito glei­cher­maßen. Die Filme­ma­cherin Betsy Parra Osorio ist anwesend und übernimmt die Einfüh­rung sowie das anschließende Film­ge­spräch.

Neben den vier langen Anima­ti­ons­filmen präsen­tiert das Festival noch 16 Kurzfilme, die zu jeweils drei Themen­blö­cken zusam­men­ge­fasst wurden. Wem also der Sinn nach realen Menschen und dem wirk­li­chen Leben steht, kann beispiels­weise Efrain in La Parka begleiten, der seit 25 Jahren in einem Schlacht­haus arbeitet und einiges über den Tod, Schuld und die Liebe weiß. Außerdem umfasst der Kurz­film­block 1 noch die Geschichte von Diana, die an ihrer Schule zur Früh­lings­kö­nigin gekrönt wird und sich nicht wirklich darüber freuen kann. Als »Primavera« bekommt sie zwar ein schönes Kleid, doch das Fest ist dann trister als erwartet. Auch La reina widmet sich den Sorgen eines jungen Mädchens, diesmal im Karneval. Der Kurz­film­block 1 umfasst noch zwei weitere Werke und ist am Freitag, den 4. Dezember um 21 Uhr im Werk­statt­kino und am Sonntag, den 6. Dezember um 19 Uhr im Gasteig zu sehen.

Im zweiten Kurz­film­block Fanta­siert Animiert wurden jeweils zwei kurze Anima­ti­ons­filme, animierte Doku­men­tar­filme sowie in Stop Motion produ­zierte Filme zusam­men­ge­fasst, die skurrile, fantas­ti­sche und vers­tö­rende Geschichten aus Mexiko und Argen­ti­nien erzählen. Zu sehen ist der Kurz­film­block II am Samstag, den 5. Dezember um 21 Uhr im Werk­statt­kino und am Sonntag, den 6. Dezember ebenfalls um 21 Uhr im Gesteig.

Der dritte Kurz­film­block konzen­triert sich ganz auf Ecuador und zeigt fünf Kurzfilme, die zwischen 2004 und 2014 entstanden sind. Zu sehen ist Kurzes aus Ecuador am Freitag, den 5. Dezember um 22 Uhr im Gasteig und als Wieder­ho­lung am Samstag, den 5. Dezember um 20 Uhr ebenfalls im Vortrags­saal der Biblio­thek.

Die dies­jäh­rigen Latein­ame­ri­ka­ni­schen Filmtage München finden vom 3. bis zum 8. Dezember statt. Neben dem Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig und dem Werk­statt­kino in der Fraun­ho­fer­straße beteiligt sich auch das Instituto Cervantes in der Alfons-Goppel-Straße 7 am Screening. Das Programm ist unter http://www.latein­ame­ri­ka­ni­sche-filmtage-muenchen.de abrufbar.