Unrecht braucht Zeugen |
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Öffnet die Augen: Optiker Adi, der in The Look of Silence die Mörder seines Bruders mit ihren Taten konfrontiert | ||
(Foto: Koch Media / Neue Visionen Filmverleih GmbH) |
Von Dunja Bialas
»Unrecht braucht Zeugen« heißt es seit 2008 im Arri-Kino bei der Reihe BEST.DOKS. Die Initiative entstand im Münchner Arri-Kino in Zusammenarbeit mit Human Rights Watch und widmet sich engagierten Dokumentarfilmen, die rund um den Globus das Unrecht aufsammeln.
Dabei darf nicht die Kraft des Dokumentarfilms unterschätzt werden. Gerade im aktuellen Programm zeigt das Beispiel von Joshua Oppenheimer, wie Filme auch historische Gegebenheiten verändern können. Sein bahnbrechender Dokumentarfilm The Act of Killing widmete sich 2012 den grauenvollen Machenschaften des Suharto-Regimes in Indonesien, das binnen zwei Jahren – 1965 und 1966 – mehr als eine halbe Million vermeintlicher Kommunisten umbrachte und im großen Stil Genozid an den chinesischstämmigen Bürgern Indonesiens verübte. Oppenheimer hat sich mit dem Film, den er zusammen mit der Harvard-Absolventin Christine Cynn und einem anonym bleibenden indonesischen Co-Regisseur realisierte, auf gefährliches Glatteis begeben. Die Unrechtsmorde wurden bislang nicht geahndet, die Täter wurden nicht verfolgt, und die Angehörigen der Opfer tragen bis heute einen stigmatisierenden Stempel in ihrem Ausweis: »Eks Tahanan«, ehemaliger politischer Gefangener, kurz ET. Derart als »Alien« gebrandmarkt sind sie auch heute noch der staatlichen Willkür ausgeliefert, sie sind politisches Freiwild in ihrer Heimat. Falls man die denn so noch nennen möchte.
Aufgrund der prekären Situation auf Opferseite entstand The Act of Killing als schockierender Zeugenbericht der Täter. Schockierend, weil die Täter keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigten. Wie auch, gehen doch bis vor kurzem ihre Taten mit der offiziellen staatlichen Ausrichtung konform. Im Abspann wurden die Akteure überwiegend anonymisiert aufgeführt. Joshua Oppenheimer war mit seinem ersten Dokumentarfilmdebüt für den Oscar nominiert, und wurde dies wieder mit seinem zweiten Film zum Thema, The Look of Silence, der jetzt bei BEST.DOKS gezeigt wird, und in dem er die Angehörigen der Opfer zu Wort kommen lässt. Und auch wenn The Look of Silence sich nicht so spektakulär und skandalös ausnimmt wie The Act of Killing, in welchem die Täter ihre Morde unreflektiert und mit sichtlichem Stolz nachstellen (die den Film beschließende Reue bleibt zweifelhaft und kann als mediengeneriertes Lippenbekenntis bewertet werden), ist der zweite Teil dennoch um einiges brisanter. Wenn die Opfer sich öffentlich erinnern, gliedern sie sich nolens volens in das Schema des Feindbilds ein, das sich in den Köpfen der Indonesier gehalten hat.
Erst langsam beginnt im Inselstaat so etwas wie eine Vergangenheitsaufarbeitung, auch Dank der Filme von Joshua Oppenheimer, der mit seinem ersten Film die »Seifenblase des Schweigens« zerplatzen ließ, wie es »Indiewire« formulierte. Das US-Magazin unterstreicht den politischen Einfluss dieses »aktivistischen« Films: »The film’s opening led to the first article about the genocide to be written in a major Indonesian publication, its 2014 Oscar nomination forced the government to publicly acknowledge the genocide for the first time, and the film having been seen widely across the country created a ripple effect that direct influence on national elections.« Zusammen mit der indonesischen Regierung und der National Human Right Commission wurden Screenings in weiten Teilen des Landes organisiert, der Film online bereitgestellt – und der Genozid zum nationalen Thema erhoben – erstmals.
Oppenheimer geht dabei weit in die Zusammenhänge hinein: Gerade hat er, im Zuge der Verleihung mit dem Indie Spirit Award, den Amerikanern, die das Suharto-Regime mit Waffen belieferte, eine Mitverantwortung am Genozid ausgesprochen: »Yet the silence in the title also refers to our silence. Because the Indonesian genocide is not just Indonesian history, but American history. The US provided weapons, money, and training to the death squads, and lists of thousands of names of public figures whom United States wanted killed. We in the us must do the same work as Indonesians. We must declassify the documents that reveal our role in these crimes, and take responsibility.«
Unrecht braucht Zeugen, und Zeugen brauchen den Mut, Zeugnis abzulegen. Filmemacher wie Joshua Oppenheimer bringen sie dazu, und er scheut nicht davor zurück, unbequeme Wahrheiten auch für sein eigenes Land zu formulieren.
The Look of Silence ist am Mittwoch, 9.3. um 19:30 Uhr im Arri zu sehen. Anschließend Publikumsgespräch mit Felix Heiduk, Reseracher Division Asio, SWP Stiftung Wissenschaft und Politik
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In der Reihe Best.Doks – Unrecht braucht Zeugen laufen außerdem im Programm:
Among the Believers (Pakistan / USA 2015). Der preisgekrönte Dokumentarfilm von Mohammed Naqvi und Hemal Trivedi nimmt den diskursiven Zusammenprall von moderater mit fundamentaler Religiosität in den Fokus. Im Mittelpunkt ihres zutiefst humanistischen Films dokumentieren sie die Machenschaften der Madras-Schulen um Abdul Azizi Ghadi, einem fanatischen
Kleriker, in denen Kinder darauf getrimmt werden, ihr Leben dem Dschihad zu opfern. Sie geben Pervez Hoodbhoy, Bildungsaktivist und aufgeklärten Reformer, die Stimme und begleiten die Schulkinder Talha und Zarina auf ihrem Weg. Ein Einblick in die ideologischen Schlachten der islamischen Welt.
AMONG THE BELIEVERS, Mittwoch, 16.3., 19:30 Uhr, Arri. Anschließend Publikumsgespräch mit Regisseurin Hemal Trivedi
Winter on Fire: Ukraine’s Fight for Freedom (GB / Ukraine / USA 2015). Der ebenfalls für den Oscar nominierte Film des russischen Dokumentarfilmers Evgeny Afineevsky dokumentiert die Ereignisse auf dem Maidan-Platz von Kiew. Wir erinnern uns: Studentische Unruhen schlugen 2013/2014 in eine gewaltsame nationale Bürgerrevolution um, die zur Abdankung von Präsident
Viktor F. Janukovytsch führte. Der Film kommt der politischen Umwälzung ganz nahe.
Winter on Fire: Ukraine’s Fight for Freedom Mittwoch, 23.3., 19:30 Uhr, Arri. Anschließend Publikumsgespräch mit den Co-Produzenten Yurko Ivanishynh, Pavlo Peleshok
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Lesen Sie auch: Interview mit Christine Cynn
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BEST.DOKS – Unrecht braucht Zeugen. Eine gemeinsame Veranstaltung von Human Rights Watch e.V. und ARRI Kino Arri-Kino, Türkenstraße 91, Karten: 089 / 38 89 96 64