Post-epigonal |
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Eröffnet: Reza Dormishians Lantouri ist ein radikales, bis an die Grenzen gehendes Stimmungsbild von Aufruhr und Rückzug einer misshandelten Frau | ||
(Foto: Iranian Independents) |
Von Dunja Bialas
Zwei Tage vor Beginn des 3. Iranischen Filmfestivals München ist der Meister des iranischen Films gestorben: Abbas Kiarostami. Er, über dessen Bilder wir das iranische Kino lieben lernten, wurde noch 1999 in einer Publikation zur Geschichte des iranischen Kinos als »einziger iranischer Regisseur mit internationaler Anerkennung« hervorgehoben. Inzwischen ist viel Zeit vergangen, und das iranische Kino ist von der kinematographischen Landkarte nicht mehr wegzudenken.
In der »Histoire du cinéma iranien« erscheint aber auch schon der Name von Jafar Panahi, zwanzig Jahre jünger als Kiarostami, und ihn hatte Tobias Kniebe hoffentlich nicht im Sinn, als er in seinem Nachruf in der »Süddeutschen Zeitung« von »den Heerscharen seiner Epigonen« schrieb.
Panahi war bei Quer durch den Olivenhain Kiarostamis Regieassistent und gewann bereits mit seinem zweiten Film Ayneh – The Mirror 1997 den Goldenen Leoparden in Locarno. Kurzum: Kiarostami hat im Iran eine neue Tradition des Kinomachens angestoßen, viele orientieren sich noch heute an seiner Kunst. Bei ihm und seinen Filmen gingen sie in die Schule des Sehens, Filmemachens und –produzierens. Kiarostami hat so wie kein anderer das iranische Kino lebendig gemacht, das seit der islamischen Revolution 1979, gelinde gesagt, schwierige Zeiten hatte, nicht zuletzt gingen viele Regisseure nach Frankreich, um dort Co-Produktionsfirmen für ihre iranischen Filme zu finden.
Das iranische Kino galt lange Zeit als das spannendste Weltkino überhaupt, abgelöst wurde es seitdem wohl nur durch das rumänische Kino, das sich ebenfalls neu erfinden konnte (mit den Filmen von und nach Cristi Puiu, siehe Interview). Seit dem (krankheitsbedingten) Rückzug von Kiarostami wurde der mit 20-jährigem Berufsverbot belegte Jafar Panahi zum neuen Botschafter des iranischen Kinos. Seine Filme auszuzeichnen gilt jedoch schon allein aus diesem Grund und ganz anders als bei Kiaoristami vor allem als politisches Statement, ungeachtet der großen imaginären Kraft, die seine reduzierten Filme entfalten.
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Ganz andere Wege als die Erneuerer des iranischen Kinos geht eine neue Generation junger Filmemacher, die in der post-revolutionären Zeit groß wurde und die Gesellschaft mit größerem Argwohn betrachtet, unter deren Blick nur noch schwer Platz für eine politische Poetik sein kann. Eine Auswahl der neuen Lust an Erzählungen, die auch direkt sein können, ist jetzt bei der dritten Ausgabe des iranischen Filmfestival in München zu sehen. Der Diaspora in München »ein filmisches Gesicht und eine Stimme« geben möchte Silvia Bauer, Iran-Expertin, Filmliebhaberin und Leiterin des Festivals. Sie will ein dezidiert interkulturelles Festival, und zur Eröffnung am gestrigen Mittwoch kamen neben iranischen Mitbürgern auch viele Cineasten-Freunde unterschiedlicher Couleur.
Eröffnet wurde mit Lantouri von Reza Dormishian, der mit seinem Vorgängerfilm I’m Not Angry im Berlinale-Panorama erstmals einem internationalen Publikum vorgestellt wurde. Dormishian gilt als einer der prominentesten und herausragendsten Vertreter der in den 1980er Jahren geborenen Filmemacher, und Lantouri zeigt ein stark politisiertes und auch dialektisch-didaktisches Kino, das vom schwierigen Geschlechterverhältnis vor dem Hintergrund einer islamischen Gesellschaftsordnung erzählt. Dormishian scheut dabei weder Genre-Elemente (nicht denkbar für die Generation von Kiarostami) noch das Auserzählen und bemüht statt Poetik eine nicht zu verleugnende Drastik für sein Lehrstück über eine Frau, die am Ende verzeihen kann. Ein Beispiel für ein Kino, das die heutige Generation anspricht und wachrüttelt, das jedoch ein internationales Publikum, das Kiarostami anzusprechen wusste, weniger zu Verständnis als zu einem – vom Regisseur allerdings bewusst herbeigeführten und im Film thematisierten – Cultural Clash führt. (Wdh. am 9.7. um 20:00 Uhr in Anwesenheit der Hauptdarstellerin Maryam Palizban.)
Zwei weitere aktuelle Spielfilme zeigen weitere Positionen des aktuellen iranischen Filmschaffens. Risk of Acid Rain des 1980 geborenen Behtash Sanaeeha spricht womöglich mehr die poetische Sehnsucht der Zuschauer an. Im Zentrum steht ein Pensionär am Kaspischen Meer, gespielt vom iranischen Dichter Shans Lageroodi, der zu neuen Ufern aufbricht und neue Freundschaft findet (Do. 7.7., 20:00
Uhr).
Valderama des 1983 geborenen Abbas Amini ist im dokumentarischen Handkamera-Stil gedreht und verspricht große Lebensnähe zum aktuellen Teheran. Der junge Fußballfan Valderama (benannt nach seinem kolumbianischen Idol) gelangt dort im Labyrinth der Metro-Gänge in das Milieu der Straßenkinder (So. 10.7., 16:30 Uhr).
Ganz anders ist das Leben fernab des Irans. Der Dokumentarfilm I for Iran der Regisseurin Sanaz Azari ruft durch seinen Titel die große politisch-polemische Filmtradition eines Parviz Kimiavi auf: hier den zum Filmklassiker avancierten P wie Pelikan. Didaktisches Kino hat im Iran insgesamt einen wichtigen Stellenwert – als aufklärerische und auch pädagogische Instanz, die über und mit den Kindern Erkenntniswege zu erzählen vermag. Mit dem »Institut zur geistigen Förderung von Kindern und Jugendlichen«, das 1969 gegründet wurde und noch heute besteht, erkannte man den Bedarf an einer intellektuellen Weiterentwicklung der nachkommenden Generationen. Abbas Kiarostami selbst begann sein Filmschaffen mit kleinen didaktischen Filmen für das Institut. I for Iran beschreibt folgerichtig den Bildungsweg der in Brüssel aufgewachsenen Regisseurin Sanaz Azari, die erst als Erwachsene Persisch lernte. »Ein poetisches Dokument über die Kraft der Sprache und das verborgene Wissen von Schulbüchern«, heißt es in der Ankündigung des Festivals (Do. 7.7., 18:00 Uhr).
Auch ein Werk eines der beiden Söhne von Abbas Kiarostami findet sich im Programm. Der 1978 geborene Bahman Kiarostami hat vor allem als Cutter gearbeitet, unter anderem für Abbas Kiarostamis späten Film Die Liebesfälscher (2010). Das iranische Filmfestival zeigt nun in Deutschlandpremiere seinen ersten langen Dokumentarfilm, den er in Eigenregie realisiert hat. Monir ist das Portrait der 92-jährigen Künstlerin Monir Farmanfarmaian, die mit Andy Warhol, Jackson Pollock und dem niederländischen Abstraktionisten Willem de Kooning arbeitete. Zurück im Iran begann sie, die wertvolle Volkskunst zu sammeln, der Parviz Kimiavi in den 1970er Jahren ein filmisches Denkmal setzte. Nach der islamischen Revolution kehrte sie ihrem Land wieder den Rücken, ging abermals in die USA, kehrte wieder zurück (Sa. 9.7., 18:00 Uhr).
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Ein Hin und Her, das vielen Künstlerpersönlichkeiten des Irans gemeinsam ist, und das das verzweifelte Arbeiten vieler Filmemacher in den vergangenen Jahrzehnten zwischen Zensur und künstlerischer Sehnsucht, oft auch zwischen den Ländern, abbildet.
Die neue Generation sucht sich selbstbewusst direktere Wege und verabschiedet sich damit auch von ihren Vätern. »Epigonal« möchte man lieber nicht sein.
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3. Iranisches Filmfestival München, 6.-11. Juli 2016. Alle Vorstellungen im Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig, Rosenheimer Str. 5. Tickets (7 Euro) unter 089 / 54 81 81 81. Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek München und der Filmstadt München e.V.
Mehr Informationen und das komplette Programm finden Sie hier.