28.07.2016

Junge Filme

Abdo - Coming of Age in a Revolution
Abdo des Starter-Preisträgers Jakob Gross geht ganz und gar über die Notwendigkeit: zu filmen, Revolution zu machen, Musik zu hören, sich einzumischen

Der Starter Filmpreis bei den 64. Filmkunstwochen

Von Dunja Bialas

Mitte der 80er Jahre begann man in München, sich um den Film zu kümmern. Das große Filmfest fand 1983 zum ersten Mal statt, ein Jahr später formierte sich die Filmstadt München als Verein und veran­staltet seither mit seinen über ein Dutzend film­be­geis­terten Mitglie­der­gruppen zahl­reiche kleine und größere Festivals. Wieder ein Jahr später, 1985, kreierte die Landes­haupt­stadt einen Preis für junge Filme­ma­cher der Stadt, der abseits von Festivals und Hoch­schulen vergeben wird: den »Starter Filmpreis«. Er ist für einen städ­ti­schen Preis mit insgesamt 18000 Euro durchaus üppig ausge­stattet und verteilt sich auf drei filmische Werke, hinzu kommt noch ein Sach-Produk­ti­ons­preis, den Arri stiftet. Einge­reicht wird ganz einfach direkt bei der Stadt (nächster Bewer­bungs­schluss ist Anfang 2017, alle Infor­ma­tionen zur Einrei­chung stehen hier), eine fünf­köp­fige Fachjury und eine Abordnung aus dem Rathaus befinden über die Gewinner.

Promi­nente Durch­starter

Rück­bli­ckend auf über 40 Jahre Preis­ge­schichte offenbart sich das feine Gespür der jewei­ligen Juroren, die frühesten Werke »noch nicht etablierter Filme­ma­cher/innen«, wie es in der städ­ti­schen Ausschrei­bung heißt, zu beur­teilen. Große Namen sind darunter, zum Beispiel Maren Ade: Die Regis­seurin, die gerade dem deutschen Film mit Toni Erdmann eine fällige Vitalkur verpasst, erhielt 2001 den Starter-Filmpreis, für ihre Kame­raübung an der HFF München. Andere heraus­ra­gende Starter-Regis­seure, die es mit ihren Filmen aller­dings immer ein wenig schwer haben in Deutsch­land, sind Philip Gröning (Preis­träger 1987), Romuald Karmakar (1992), Hans–Christian Schmid (1993), es finden sich aber auch popu­lä­rere Namen wie Florian Gallen­berger (1999), Ralf Westhoff (2003) oder auch Benjamin Heisen­berg (2004), Mitbe­gründer der Film­zeit­schrift »Revolver«.

Ade und alle anderen

Die Film­kunst­wo­chen München präsen­tieren seit drei Jahren noch vor der Preis­ver­lei­hung im Herbst die neuen Starter-Filme, dieses Jahr wurde auch ein wenig Starter-Filmpreis-Geschichte betrieben. Klar, Maren Ade durfte nicht fehlen mit einem Rückblick auf ihre erst zwei Vorgän­ger­filme zu Toni Erdmann (am Freitag, 29.7., läuft Der Wald vor lauter Bäumen, 17:30 Uhr, ABC), Florian Gallen­berger ist dabei mit Colonia Dignidad (am 2. und 3.8. um 17:45 Uhr im Filmeck Gräfel­fing und am 6.8. um 18:00 Uhr im Rio Film­pa­last). Die Reihe »Beste gute Filme« in der Monopol Kinobar zeigt Film­emp­feh­lungen von Ralf Westhoff, der eine eigene Fan-Site für die Filme, die er von den guten am besten hält, betreibt (Monopol Kinobar, tgl. 19:45 Uhr, beste gute Filme der nächsten Kinowoche sind Her, Der Geschmack von Rost und Knochen, Ewige Jugend, Ex Machina, alle Filme werden im OmU gezeigt).

Der Münchner Filme­ma­cher Nicolas Humbert, gut bekannt in der Doku­men­tar­film­szene, hat ebenfalls einmal den Starter-Filmpreis der Stadt gewonnen. Das war 1990, und er bereitete sich gerade darauf vor, zusammen mit Werner Penzel (ebenfalls Starter-Filmpreis-Träger) den großar­tigen Step Across the Border zu machen, der im Nu zum Meilen­stein der Doku­men­tar­film­ge­schichte avan­cierte. Das Theatiner, das seit letztem Jahr wieder bei den Film­kunst­wo­chen dabei ist, zeigt den Film noch einmal auf 35mm – eine Rarität (Sonn­tags­ma­tinee, 31.7., 11 Uhr), denn die voll­zo­gene Kino-Digi­ta­li­sie­rung macht Filme dieser Zeit heute fast unsichtbar bezie­hungs­weise beginnen sie, in minderer Qualität zu kursieren (so muss bei der Maren-Ade-Retro­spek­tive leider auch auf DVDs zurück­ge­griffen werden, mangels 35mm-Projek­toren).

Neue Star­ter­filme: Café Waldluft, Abdo

Natürlich fehlen auch nicht die aktuellen Preis­träger der Stadt. Zwei konnten für die Film­kunst­wo­chen gewonnen werden: Matthias Koßmehl mit Café Waldluft, der bereits schon kurz im Kino zu sehen war, und Jakob Gross mit Abdo – Coming of Age in a Revo­lu­tion. Am heutigen Donnerstag wird er seinen Film im ABC Kino präsen­tierten (17:30 Uhr), zusammen mit Nicolas Humbert. Um Vernet­zungen und Austausch zwischen den Gene­ra­tionen zu schaffen, wurde bei den Film­kunst­wo­chen erstmals eine Film­pa­ten­schaft kreiert, und die beiden Regis­seure werden sich aus ganz unter­schied­li­cher Perspek­tive über das Filme­ma­chen heute unter­halten. Nico Humbert zurück­bli­ckend auf die Ära des Doku­men­tar­films als unab­hän­gige Unter­neh­mung, die heute immer schwie­riger zu reali­sieren ist. Jakob Gross machte seinen Film ohne Sender­fi­nan­zie­rung und Film­för­de­rung und erhielt dafür den Produk­ti­ons­preis der Stadt: Ganz allein finan­zierte er sein alter­na­tives Film­pro­jekt, das seinen Prot­ago­nisten, den 19-jährigen Abdo, zum Co-Regisseur erhebt, indem Gross ihm die Kamera immer wieder ganz überlässt. In Kairo lebend, durch­läuft Abdo seine Adoles­zenz unter dem Zeichen der Revo­lu­tion. Das Leben erscheint ihm plötzlich sinn­ent­leert, als die Versamm­lungen auf dem Tahrir-Platz aufhören und die Revo­lu­tion vorbei ist. Gedreht wurde während des arabi­schen Frühlings und danach, die Kamera zeigt oft aus subjek­tiver Perspek­tive die revo­lu­ti­onären Ereig­nisse, aber auch den Alltag und eine illegale Reise nach Gaza, wo sich Abdo den wahren Revo­lu­ti­onären anschließen wollte. »Was bedeuten Liebe und Hass in Zeiten von persön­li­chem und sozialem Wandel?«, fragt Jakob Gross. Abdo ist ein unbän­diger Film, der ganz und gar über die Notwen­dig­keit geht: zu filmen, Revo­lu­tion zu machen, Musik zu hören, sich einzu­mi­schen.

64. Film­kunst­wo­chen München
20.7.-10.8.2016

Betei­ligte Kinos: ABC Kino, Monopol, Neues Rottmann, Rio Film­pa­last, Studio Isabella, Theatiner Filmkunst, Filmeck Gräfel­fing.

Die Autorin leitet seit 2014 orga­ni­sa­to­risch und als Programm­be­ra­terin die Film­kunst­wo­chen München.