Junge Filme |
||
Abdo des Starter-Preisträgers Jakob Gross geht ganz und gar über die Notwendigkeit: zu filmen, Revolution zu machen, Musik zu hören, sich einzumischen |
Von Dunja Bialas
Mitte der 80er Jahre begann man in München, sich um den Film zu kümmern. Das große Filmfest fand 1983 zum ersten Mal statt, ein Jahr später formierte sich die Filmstadt München als Verein und veranstaltet seither mit seinen über ein Dutzend filmbegeisterten Mitgliedergruppen zahlreiche kleine und größere Festivals. Wieder ein Jahr später, 1985, kreierte die Landeshauptstadt einen Preis für junge Filmemacher der Stadt, der abseits von Festivals und Hochschulen vergeben wird: den »Starter Filmpreis«. Er ist für einen städtischen Preis mit insgesamt 18000 Euro durchaus üppig ausgestattet und verteilt sich auf drei filmische Werke, hinzu kommt noch ein Sach-Produktionspreis, den Arri stiftet. Eingereicht wird ganz einfach direkt bei der Stadt (nächster Bewerbungsschluss ist Anfang 2017, alle Informationen zur Einreichung stehen hier), eine fünfköpfige Fachjury und eine Abordnung aus dem Rathaus befinden über die Gewinner.
Rückblickend auf über 40 Jahre Preisgeschichte offenbart sich das feine Gespür der jeweiligen Juroren, die frühesten Werke »noch nicht etablierter Filmemacher/innen«, wie es in der städtischen Ausschreibung heißt, zu beurteilen. Große Namen sind darunter, zum Beispiel Maren Ade: Die Regisseurin, die gerade dem deutschen Film mit Toni Erdmann eine fällige Vitalkur verpasst, erhielt 2001 den Starter-Filmpreis, für ihre Kameraübung an der HFF München. Andere herausragende Starter-Regisseure, die es mit ihren Filmen allerdings immer ein wenig schwer haben in Deutschland, sind Philip Gröning (Preisträger 1987), Romuald Karmakar (1992), Hans–Christian Schmid (1993), es finden sich aber auch populärere Namen wie Florian Gallenberger (1999), Ralf Westhoff (2003) oder auch Benjamin Heisenberg (2004), Mitbegründer der Filmzeitschrift »Revolver«.
Die Filmkunstwochen München präsentieren seit drei Jahren noch vor der Preisverleihung im Herbst die neuen Starter-Filme, dieses Jahr wurde auch ein wenig Starter-Filmpreis-Geschichte betrieben. Klar, Maren Ade durfte nicht fehlen mit einem Rückblick auf ihre erst zwei Vorgängerfilme zu Toni Erdmann (am Freitag, 29.7., läuft Der Wald vor lauter Bäumen, 17:30 Uhr, ABC), Florian Gallenberger ist dabei mit Colonia Dignidad (am 2. und 3.8. um 17:45 Uhr im Filmeck Gräfelfing und am 6.8. um 18:00 Uhr im Rio Filmpalast). Die Reihe »Beste gute Filme« in der Monopol Kinobar zeigt Filmempfehlungen von Ralf Westhoff, der eine eigene Fan-Site für die Filme, die er von den guten am besten hält, betreibt (Monopol Kinobar, tgl. 19:45 Uhr, beste gute Filme der nächsten Kinowoche sind Her, Der Geschmack von Rost und Knochen, Ewige Jugend, Ex Machina, alle Filme werden im OmU gezeigt).
Der Münchner Filmemacher Nicolas Humbert, gut bekannt in der Dokumentarfilmszene, hat ebenfalls einmal den Starter-Filmpreis der Stadt gewonnen. Das war 1990, und er bereitete sich gerade darauf vor, zusammen mit Werner Penzel (ebenfalls Starter-Filmpreis-Träger) den großartigen Step Across the Border zu machen, der im Nu zum Meilenstein der Dokumentarfilmgeschichte avancierte. Das Theatiner, das seit letztem Jahr wieder bei den Filmkunstwochen dabei ist, zeigt den Film noch einmal auf 35mm – eine Rarität (Sonntagsmatinee, 31.7., 11 Uhr), denn die vollzogene Kino-Digitalisierung macht Filme dieser Zeit heute fast unsichtbar beziehungsweise beginnen sie, in minderer Qualität zu kursieren (so muss bei der Maren-Ade-Retrospektive leider auch auf DVDs zurückgegriffen werden, mangels 35mm-Projektoren).
Natürlich fehlen auch nicht die aktuellen Preisträger der Stadt. Zwei konnten für die Filmkunstwochen gewonnen werden: Matthias Koßmehl mit Café Waldluft, der bereits schon kurz im Kino zu sehen war, und Jakob Gross mit Abdo – Coming of Age in a Revolution. Am heutigen Donnerstag wird er seinen Film im ABC Kino präsentierten (17:30 Uhr), zusammen mit Nicolas Humbert. Um Vernetzungen und Austausch zwischen den Generationen zu schaffen, wurde bei den Filmkunstwochen erstmals eine Filmpatenschaft kreiert, und die beiden Regisseure werden sich aus ganz unterschiedlicher Perspektive über das Filmemachen heute unterhalten. Nico Humbert zurückblickend auf die Ära des Dokumentarfilms als unabhängige Unternehmung, die heute immer schwieriger zu realisieren ist. Jakob Gross machte seinen Film ohne Senderfinanzierung und Filmförderung und erhielt dafür den Produktionspreis der Stadt: Ganz allein finanzierte er sein alternatives Filmprojekt, das seinen Protagonisten, den 19-jährigen Abdo, zum Co-Regisseur erhebt, indem Gross ihm die Kamera immer wieder ganz überlässt. In Kairo lebend, durchläuft Abdo seine Adoleszenz unter dem Zeichen der Revolution. Das Leben erscheint ihm plötzlich sinnentleert, als die Versammlungen auf dem Tahrir-Platz aufhören und die Revolution vorbei ist. Gedreht wurde während des arabischen Frühlings und danach, die Kamera zeigt oft aus subjektiver Perspektive die revolutionären Ereignisse, aber auch den Alltag und eine illegale Reise nach Gaza, wo sich Abdo den wahren Revolutionären anschließen wollte. »Was bedeuten Liebe und Hass in Zeiten von persönlichem und sozialem Wandel?«, fragt Jakob Gross. Abdo ist ein unbändiger Film, der ganz und gar über die Notwendigkeit geht: zu filmen, Revolution zu machen, Musik zu hören, sich einzumischen.
64. Filmkunstwochen München
20.7.-10.8.2016
Beteiligte Kinos: ABC Kino, Monopol, Neues Rottmann, Rio Filmpalast, Studio Isabella, Theatiner Filmkunst, Filmeck Gräfelfing.
Die Autorin leitet seit 2014 organisatorisch und als Programmberaterin die Filmkunstwochen München.