Es bleibt in der Familie |
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Valeria Golino in Per amor vostro |
Von Elke Eckert
Das Schwerpunktthema des diesjährigen Festivals ist die Familie. Es geht um Mütter, die sich aus festgefügten Strukturen lösen möchten, und um Väter, die alles unter Kontrolle haben wollen.
Lea lebt in Kalabrien, ihre Familie gehört einem der dortigen Mafiaclans an. Um ihrer Tochter Denise ein Leben ohne Angst und Gewalt zu ermöglichen, zeigt sie ihre eigenen Angehörigen an und sagt vor Gericht gegen sie aus. Dafür zahlt Lea einen hohen Preis: Fortan müssen sie und Denise mit den strengen Auflagen des Zeugenschutzes leben – und dem Gefühl, niemandem trauen zu können… Regisseur Marco Tullio Giordana erzählt eine wahre Geschichte. Sein intensives Dokudrama kommt ohne Blut und Leichen aus und ist damit kein konventioneller Mafiafilm, sondern ein eindrucksvolles Plädoyer für Mut und Moral. (Donnerstag, 27. Oktober, 18.30 Uhr)
Annas Leben besteht in erster Linie daraus, für andere da zu sein: zu Hause für ihre drei Teenager-Kinder, ihren Mann und ihre Eltern, bei ihrem Job im Fernsehstudio für die Schauspieler, denen sie die Dialogtafeln hinhält. Per amor vostro (Aus Liebe zu Euch) ist das Porträt einer Frau, die instinktiv merkt, dass sie etwas ändern muss, um sich nicht zu verlieren. Regisseur Giuseppe Gaudino lässt seine Geschichte in Neapel spielen und nutzt die besondere Atmosphäre dieser Stadt. Der studierte Bühnenbildner zeigt Annas Alltag in Schwarz-Weiß-Bildern, den Vesuv und das Meer taucht er in Farbe. Seine Hauptdarstellerin Valeria Golino berührt mit ihrem sensiblen Spiel, wofür sie in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. (Mittwoch, 2. November, 18.30 Uhr)
Wesentlich komödiantischer kommt Edoardo Falcones Familiengeschichte Se Dio vuole (Um Himmels Willen) daher. Herzchirurg Tommaso, beruflich Halbgott in Weiß, privat überzeugter Atheist, erhält die Hiobsbotschaft, dass sein Sohn Priester werden will. Schuld an diesem Desaster scheint der unkonventionelle Don Pietro zu sein, der es mit seiner lockeren Art versteht, junge Leute für die Kirche zu begeistern. Doch so leicht will Tommaso seinen Sohn nicht verloren geben… Falcones Regiedebüt lebt von dem Duell seiner beiden Hauptdarsteller und punktet mit viel Witz, originellen Ideen und starken Dialogen. Dass auch die Nebenfiguren immer für eine Überraschung gut sind, macht den Film noch unterhaltsamer. (Dienstag, 1. November, 18.30 Uhr)
In Latin Lover von Cristina Comencini kommen am zehnten Todestag eines Mannes, der zu seinen Lebzeiten nicht nur ein sehr bekannter Schauspieler war, sondern auch Ehen in Serie geschlossen hat, dessen Töchter und Exfrauen zusammen, um seiner zu gedenken. Die älteste Tochter versucht, das Treffen so harmonisch wie möglich zu gestalten – was wegen alter Rivalitäten und neuer Enthüllungen alles andere als einfach ist. Als Tochter einer italienischen Regielegende kann Cristina Comencini auf eigene Erfahrungen mit Übervätern zurückgreifen. Auch ihre Schauspielerinnen, unter anderem Valeria Bruni Tedeschi und Marisa Paredes, tragen große Namen und veredeln die amüsant-ironische Geschichte. (Samstag, 29. Oktober, 18.30 Uhr)
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kentert vor einer kleinen Insel vor Sardinien eine Fähre auf rauer See. Die Schiffsbrüchigen können sich auf die Insel retten, unter ihnen sind Schauspieler einer Theatergruppe, aber auch Camorra-Mitglieder, die in dem auf dem Eiland befindlichen Hochsicherheitsgefängnis untergebracht werden sollen. Doch wer ist wer? Um das herauszufinden, lässt der Gefängnisdirektor kurzerhand die ganze Truppe gemeinsam ein Theaterstück proben – was sehr bald zu Überraschungen führt. Gianfranco Cabiddu ließ sich für La stoffa dei sogni (Der Stoff der Träume) von Eduardo de Filippos „Die Kunst der Komödie“ inspirieren. Mit dem Altmeister hatte er als junger Tontechniker gemeinsam an der Inszenierung von Shakespeares „Der Sturm“ gearbeitet. Dieses Theaterstück sollen nun seine Schiffsbrüchigen auf die Bühne bringen. (Freitag, 28. Oktober, und Sonntag, 30. Oktober, jeweils 18.30 Uhr)
Claudio Caligari hat in über 30 Jahren nur drei Spielfilme gedreht, aber die sind etwas Besonderes. Bereits sein Erstling Amore tossico wurde 1983 bei den Filmfestspielen von Venedig als bester Debütfilm ausgezeichnet. Seine Figuren waren und sind Außenseiter wie er selbst. Auch in Non essere cattivo (Tu nichts Böses), seinem dritten und letzten Film, stehen wieder junge Menschen am Rand der Gesellschaft im Mittelpunkt. Die beiden Freunde Vittorio und Cesare sind Straßenjungs und hoffen, sich durch den Verkauf von Kokain ihre Träume und Wünsche erfüllen zu können. Als sich Vittorio verliebt, will er raus aus dem Milieu, Cesare dagegen kommt einfach nicht von den Drogen los. Caligaris Film ist vor allem eine Hymne auf die Freundschaft und sein Vermächtnis. Er starb im Mai 2015 mit 67 Jahren. (Montag, 31. Oktober, 18.30 Uhr)
Alle Filme des Festivals werden im italienischen Original mit Untertiteln gezeigt.