»Diese Hängematten-Mentalität entspricht so gar nicht unserer Lebensphilosophie!« |
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»To be is to be connected« – dass dies schon sehr lange gilt, zeigt Manu Lukschs Komplitationsfilm. Dreams Rewired ist eine erstaunliche Reise durch die Mediengeschichte, mit einem Kommentar von Tilda Swinton (So. 22.1., 21 Uhr) |
Von Dunja Bialas
Fast schon wie in einer wiederkehrenden Klausur zu Jahresanfang, zum Beispiel in Wildbad Kreuth, befasst sich die Filmmuseums-Reihe FilmWeltWirtschaft mit den Phänomenen unserer modernen Arbeitswelt. Letztes Jahr war sogar eine hohe Politikerin zu Gast, Arbeitsministerin Andrea Nahles, und äußerte sich zu Grundeinkommen und prekären Arbeitsverhältnissen. Dieses Jahr geht es weiter ohne ministeriale Auflage, auch was die Filmauswahl betrifft (letztes Jahr war man Station einer vom Bund veranstalteten Filmtour gewesen). Zum Glück, so muss man sagen: Denn jetzt finden sich unpädagogische Dokumentarfilmperlen und mit Daniel Hoesls Hochstapler-Satire WinWin (Fr. 20.1., 21 Uhr) sogar ein Spielfilm im Programm, die einem das Denken wieder selbst überlassen.
Das Programm folgt so in vielerlei Hinsicht seinem diesjährigen Motto »Optimierung«. Es passt natürlich auch wunderbar zum Jahresauftakt, denn wollen wir das nicht alle: Uns selbst optimieren?
Angehende Unternehmensberater wollen das unbedingt, so erfahren wir in Marc Bauders Grow or Go (Fr. 20.1., 18:30 Uhr), der zwar schon von 2003 ist, bei dem sich aber gut feststellen lässt, dass die Zeit nicht wirklich vergangen ist seitdem. Die angehenden UnternehmensberaterInnen in seinem Film wurden schon von klein auf dazu angehalten, sich zu optimieren, beziehungsweise »haben es in den
Genen«, wie die dazugehörigen Eltern meinen. Vater, Mutter und das erwachsene Kind sitzen aufrecht in einem englisch anmutenden Wohnzimmerambiente, in schweren Club-Ledersesseln. Ein Bild, das nicht wahr sein kann. Aber nicht Ulrich Seidel, sondern der Arbeitsweltenspezialist Marc Bauder hat das Ensemble eingefangen (Kamera: Börres Weifenbach). Der Unterschied ist erheblich: Bauder denunziert nicht, auch wenn er es bei der Elterngeneration durch Auswahl der Zitate,
Anekdoten und Settings sicherlich darauf ankommen lässt, dass sie wie Skurrilitäten der Gegenwart erscheinen. Sie sagen ganz von allein Großartigkeiten wie: »Diese Hängematten-Mentalität entspricht so gar nicht unserer Lebensphilosophie!« Der Generation der aufsteigenden Unternehmensberatern lässt er jedoch darstellerischen Freiraum, aus dem auch Zweifel oder Nachdenklichkeit aufsteigen können. Immerhin durchlaufen sie das harte Auswahlverfahren eines Assessement
Centers. »Grow or go« heißt die Devise, und tatsächlich sagt doch einer der Optimierungs-Trainer über einen Kandidaten, er hätte zu wenig »Biss«.
Was uns augenblicklich woran erinnert? An einen Petit four.
Apropos, Petit four. Optimieren kann nur der, der auch kontrolliert. Oder meinen Sie, ich könnte meine Figur optimieren, während neben mir ein Schälchen mit Nüssen steht, in das ich beherzt hineingreife, um neue Brain-Energy zu tanken? Kontrolle haben kann aber, wer seine Daten kennt. Meine Lauf-App sagt mir zum Glück, dass ich, wenn kein Schnee lag, locker die Nussschale verdient hatte. Die App ist wunderbar: Ich kann genau sehen, wo ich gelaufen bin, und, sehr erstaunlich, die App funktioniert sogar, wenn ich das Datenroaming ausschalte. Auch dann kann ich immer genau sehen, wo ich gelaufen bin, dank Satelliten-GPS, das mich allzeit ortet. Wo früher einmal Gott, der Allmächtige, alles wusste, ist es nun die Cloud, GPS und Big Apple. Genau um diese Art der frei- und bereitwilligen Preisgabe unserer persönlichen Daten geht es in Werner Bootes Dokumentarfilm-Essay Alles unter Kontrolle (Sa. 21.1., 18:30 Uhr). Wie ein österreichischer Michael Moore begibt sich Boote in die weite Welt der Empirie. Seine mit Naivität und Ironie garnierte Feldforschung führt ihn nach London, bekanntlich die Stadt mit der größten Dichte an Überwachungskameras, um dort allerhand Experten zu treffen, so den ehemaligen Geheimdienstchef Ihrer Majestät, der Königin, einen »echten James Bond«, Sir David Omand. Der die Fragen von »Michael Moore« Werner Boote mit Gegenfragen kontert: »Was ist denn Ihnen lieber, in ein Flugzeug einzusteigen, wo die Passagiere kontrolliert wurden, oder in eines, bei dem sie einfach durchgewunken werden?« Ein sehr vergnüglicher Film mit viel Bild- und Aberwitz, der einen doch ziemlich nachdenklich stimmt. Aber ist die Wirklichkeit überhaupt noch umkehrbar?
Unsere Lebenswelt von der anderen Seite her denkt der koreanische, in Berlin lehrende UdK-Professor Byung-chul Han in Isabella Gressers Film Müdigkeitsgesellschaft (So. 22.1., 18:30 Uhr). Seine mittlerweile zum Klassiker aufgestiegene Abhandlung über die »Müdigkeitsgesellschaft« ist eine »Philosophie der Erschöpfung«. Sie nimmt sich genau unsereins an. Ständig im Bemühen, uns selbst zu optimieren, nehmen wir ein Ausmaß an Selbstausbeutung in Kauf, wie es kaum ein Boss je gekonnt hätte. »Self-exploitation is more efficient than exploitation by an external party«, so die Kernaussage Byung-chul Hans, »because it is accompanied by a sense of freedom«. Von der Freiheit, sich selbst an den Schreibtisch zu peitschen zum Neoliberalismus ist es nur noch ein kleiner Schritt. In Korea, einem Land, das uns in dieser Hinsicht weit voraus ist, geht er den Phänomenen nach: die U-Bahn ein fahrender Schlafsaal, die Reisenden im Minutenschlaf versunken, um nach der Zwangspause weitermachen zu können. Wer nicht schläft, der surft: im Internet. Oder chattet. Smartphones verdammen einen ja geradezu zur Kommunikation. Daher grassiert in Korea, neben hervorragenden Pisa-Ergebnissen, einer besorgniserregenden Selbstmordrate und dem Burnout noch eine weitere Zivilisationskrankheit: das Information Fatigue Syndrom. Too much information, weil man nicht mehr ab- bzw. ausschalten kann.
Gegen den Overkill an Optimierung und Information empfiehlt Byung-chul Han die Leere. Einfach einen terrain vague finden, den Berliner Tempelhof oder den Englischen Garten. Oder Der Himmel über Berlin wieder sehen, und die Texte von Peter Handke genießen. Die so schön einfach sind, dass es sich fast wie ein lebensweises Haiku anfühlt: Als das Kind Kind war…
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FilmWeltWirtschaft – Optimierung, 19.-22.1.2017
Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München.
Karten unter 089/233 96 450.
Mehr Informationen und das Programm zum Download.