12.01.2017

»Diese Hänge­matten-Menta­lität entspricht so gar nicht unserer Lebens­phi­lo­so­phie!«

Dreams Rewired
»To be is to be connected« – dass dies schon sehr lange gilt, zeigt Manu Lukschs Komplitationsfilm. Dreams Rewired ist eine erstaunliche Reise durch die Mediengeschichte, mit einem Kommentar von Tilda Swinton (So. 22.1., 21 Uhr)

Die FilmWeltWirtschaft blickt zum 11. Mal auf unsere modernen Arbeitswelt, diesmal unter dem Stichwort der »Optimierung«

Von Dunja Bialas

Fast schon wie in einer wieder­keh­renden Klausur zu Jahres­an­fang, zum Beispiel in Wildbad Kreuth, befasst sich die Film­mu­seums-Reihe FilmWel­tWirt­schaft mit den Phänomenen unserer modernen Arbeits­welt. Letztes Jahr war sogar eine hohe Poli­ti­kerin zu Gast, Arbeits­mi­nis­terin Andrea Nahles, und äußerte sich zu Grund­ein­kommen und prekären Arbeits­ver­hält­nissen. Dieses Jahr geht es weiter ohne minis­te­riale Auflage, auch was die Film­aus­wahl betrifft (letztes Jahr war man Station einer vom Bund veran­stal­teten Filmtour gewesen). Zum Glück, so muss man sagen: Denn jetzt finden sich unpäd­ago­gi­sche Doku­men­tar­film­perlen und mit Daniel Hoesls Hoch­stapler-Satire WinWin (Fr. 20.1., 21 Uhr) sogar ein Spielfilm im Programm, die einem das Denken wieder selbst über­lassen.

Das Programm folgt so in vielerlei Hinsicht seinem dies­jäh­rigen Motto »Opti­mie­rung«. Es passt natürlich auch wunderbar zum Jahres­auf­takt, denn wollen wir das nicht alle: Uns selbst opti­mieren?

Angehende Unter­neh­mens­be­rater wollen das unbedingt, so erfahren wir in Marc Bauders Grow or Go (Fr. 20.1., 18:30 Uhr), der zwar schon von 2003 ist, bei dem sich aber gut fest­stellen lässt, dass die Zeit nicht wirklich vergangen ist seitdem. Die ange­henden Unter­neh­mens­be­ra­terInnen in seinem Film wurden schon von klein auf dazu ange­halten, sich zu opti­mieren, bezie­hungs­weise »haben es in den Genen«, wie die dazu­gehö­rigen Eltern meinen. Vater, Mutter und das erwach­sene Kind sitzen aufrecht in einem englisch anmu­tenden Wohn­zim­mer­am­bi­ente, in schweren Club-Leder­ses­seln. Ein Bild, das nicht wahr sein kann. Aber nicht Ulrich Seidel, sondern der Arbeits­wel­ten­spe­zia­list Marc Bauder hat das Ensemble einge­fangen (Kamera: Börres Weifen­bach). Der Unter­schied ist erheblich: Bauder denun­ziert nicht, auch wenn er es bei der Eltern­ge­ne­ra­tion durch Auswahl der Zitate, Anekdoten und Settings sicher­lich darauf ankommen lässt, dass sie wie Skur­ri­litäten der Gegenwart erscheinen. Sie sagen ganz von allein Großar­tig­keiten wie: »Diese Hänge­matten-Menta­lität entspricht so gar nicht unserer Lebens­phi­lo­so­phie!« Der Gene­ra­tion der aufstei­genden Unter­neh­mens­be­ra­tern lässt er jedoch darstel­le­ri­schen Freiraum, aus dem auch Zweifel oder Nach­denk­lich­keit aufsteigen können. Immerhin durch­laufen sie das harte Auswahl­ver­fahren eines Asses­se­ment Centers. »Grow or go« heißt die Devise, und tatsäch­lich sagt doch einer der Opti­mie­rungs-Trainer über einen Kandi­daten, er hätte zu wenig »Biss«.
Was uns augen­blick­lich woran erinnert? An einen Petit four.

Apropos, Petit four. Opti­mieren kann nur der, der auch kontrol­liert. Oder meinen Sie, ich könnte meine Figur opti­mieren, während neben mir ein Schälchen mit Nüssen steht, in das ich beherzt hinein­greife, um neue Brain-Energy zu tanken? Kontrolle haben kann aber, wer seine Daten kennt. Meine Lauf-App sagt mir zum Glück, dass ich, wenn kein Schnee lag, locker die Nuss­schale verdient hatte. Die App ist wunderbar: Ich kann genau sehen, wo ich gelaufen bin, und, sehr erstaun­lich, die App funk­tio­niert sogar, wenn ich das Daten­roa­ming ausschalte. Auch dann kann ich immer genau sehen, wo ich gelaufen bin, dank Satel­liten-GPS, das mich allzeit ortet. Wo früher einmal Gott, der Allmäch­tige, alles wusste, ist es nun die Cloud, GPS und Big Apple. Genau um diese Art der frei- und bereit­wil­ligen Preisgabe unserer persön­li­chen Daten geht es in Werner Bootes Doku­men­tar­film-Essay Alles unter Kontrolle (Sa. 21.1., 18:30 Uhr). Wie ein öster­rei­chi­scher Michael Moore begibt sich Boote in die weite Welt der Empirie. Seine mit Naivität und Ironie garnierte Feld­for­schung führt ihn nach London, bekannt­lich die Stadt mit der größten Dichte an Über­wa­chungs­ka­meras, um dort allerhand Experten zu treffen, so den ehema­ligen Geheim­dienst­chef Ihrer Majestät, der Königin, einen »echten James Bond«, Sir David Omand. Der die Fragen von »Michael Moore« Werner Boote mit Gegen­fragen kontert: »Was ist denn Ihnen lieber, in ein Flugzeug einzu­steigen, wo die Passa­giere kontrol­liert wurden, oder in eines, bei dem sie einfach durch­ge­wunken werden?« Ein sehr vergnüg­li­cher Film mit viel Bild- und Aberwitz, der einen doch ziemlich nach­denk­lich stimmt. Aber ist die Wirk­lich­keit überhaupt noch umkehrbar?

Unsere Lebens­welt von der anderen Seite her denkt der korea­ni­sche, in Berlin lehrende UdK-Professor Byung-chul Han in Isabella Gressers Film Müdig­keits­ge­sell­schaft (So. 22.1., 18:30 Uhr). Seine mitt­ler­weile zum Klassiker aufge­stie­gene Abhand­lung über die »Müdig­keits­ge­sell­schaft« ist eine »Philo­so­phie der Erschöp­fung«. Sie nimmt sich genau unsereins an. Ständig im Bemühen, uns selbst zu opti­mieren, nehmen wir ein Ausmaß an Selbst­aus­beu­tung in Kauf, wie es kaum ein Boss je gekonnt hätte. »Self-exploi­ta­tion is more efficient than exploi­ta­tion by an external party«, so die Kern­aus­sage Byung-chul Hans, »because it is accom­pa­nied by a sense of freedom«. Von der Freiheit, sich selbst an den Schreib­tisch zu peitschen zum Neoli­be­ra­lismus ist es nur noch ein kleiner Schritt. In Korea, einem Land, das uns in dieser Hinsicht weit voraus ist, geht er den Phänomenen nach: die U-Bahn ein fahrender Schlaf­saal, die Reisenden im Minu­ten­schlaf versunken, um nach der Zwangs­pause weiter­ma­chen zu können. Wer nicht schläft, der surft: im Internet. Oder chattet. Smart­phones verdammen einen ja geradezu zur Kommu­ni­ka­tion. Daher grassiert in Korea, neben hervor­ra­genden Pisa-Ergeb­nissen, einer besorg­nis­er­re­genden Selbst­mord­rate und dem Burnout noch eine weitere Zivi­li­sa­ti­ons­krank­heit: das Infor­ma­tion Fatigue Syndrom. Too much infor­ma­tion, weil man nicht mehr ab- bzw. ausschalten kann.

Gegen den Overkill an Opti­mie­rung und Infor­ma­tion empfiehlt Byung-chul Han die Leere. Einfach einen terrain vague finden, den Berliner Tempelhof oder den Engli­schen Garten. Oder Der Himmel über Berlin wieder sehen, und die Texte von Peter Handke genießen. Die so schön einfach sind, dass es sich fast wie ein lebens­weises Haiku anfühlt: Als das Kind Kind war…

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FilmWel­tWirt­schaft – Opti­mie­rung, 19.-22.1.2017
Film­mu­seum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München.
Karten unter 089/233 96 450.
Mehr Infor­ma­tionen und das Programm zum Download.