Dokumentationen des Wandels |
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Dieses Jahr gibt es zum ersten Mal auch Dokumentarfilme im Programm: Blank Lands (2015) |
Von Marianne Wagner
Neuzugang im Genrespektrum des 5. Chinesischen Filmfests München, das vom Konfuzius-Institut München veranstaltet wird: Mit dabei sind nun Dokumentarfilme im Rahmen einer Kooperation mit dem Festival Écrans de Chine (Paris), so dass ein ganzer Tag mit unabhängigen Dokumentarfilmen bestritten werden kann. Cotton (棉花, 2015, Mi., 14.06., 15:00 Uhr) von ZHAO Hao setzt sich anhand von Geschichten einzelner Betroffener mit der wettbewerbsintensiven chinesischen Baumwollindustrie auseinander. A Young Patriot (小年小赵, 2016, Mi., 14.06., 17:00 Uhr) zeigt den Reifeprozess eines 19-Jährigen und der zunehmend mit der gesellschaftlichen Realität konfrontiert wird. Gemein ist beiden Filmen die Frage, wo der Mensch bleibt zwischen alten und neuen Werten in der sich rasant wandelnden Wirtschaftsnation. Auf dem Podium diskutieren zum Thema »Dokumentarfilmproduktion in China« (Mi., 14.06., 19:00 Uhr, Eintritt frei) die Kuratorin Lena Karbe, Michel Noll, Dokumentarfilm-Filmemacher, Organisator des Internationalen Dokumentarfilmfestivals Guangzhou und Initiator des Festivals Écrans de Chine sowie ZHAO Jin, Filmkritiker, Produzent und Vizepräsident des Filmkritik-Kanals »DeepFocus«. Der Dokumentarfilmtag schließt mit Blank Lands (寻找庄学本, 2015, Mi., 14.06., 20:30 Uhr) über den Fotografen und Pionier der visuellen Anthropologie ZHUANG Xuebei und seinen faszinierenden Aufnahmen aus den 1930ern. Sein Sohn, der die Arbeiten und das Tagebuch des Vaters wiederentdeckte, erzählt damit ein prägnantes Stück chinesische Kulturgeschichte.
Ebenfalls neu dieses Jahr ist das Sonderprogramm mit Klassikern, etwa dem ersten Farbfilm Chinas, New Year Sacrifice (祝福, 1956, Do., 15.06., 16:15 Uhr) oder The Black Cannon Incident (黑炮事件, 1986, Di., 13.06., 20:00 Uhr) über einen Ingenieur und Deutsch-Dolmetscher nach dem Roman von ZHANG Xianliang und die Verfilmung der Huangmei-Oper Chuan Deng (2016) sowie Stummfilme (z. B. The Goddess, 神女, 1934; Di., 13.06, 17:00 Uhr).
Nach wie vor stehen im Zentrum des Filmfestes erfolgreiche chinesische Werke aus den letzten fünf Produktionsjahren, umrahmt von Zusatzveranstaltungen wie einer Ausstellung, Begegnungen und Diskussionen.
Einzig der Kassenschlager und inzwischen erfolgreichste chinesische Film aller Zeiten, die romantische Fantasy-Komödie mit Umweltthema The Mermaid (美人鱼,
2016) von Stephen Chow (bekannt durch Filme wie den Fußball-Martial-Arts-Film Shaolin Soccer, 2001 oder die Action-Komödie Kung Fu Hustle, 2004) wird an zwei verschiedenen Orten gezeigt (Di., 13.06. 20:00 Uhr, Technische Universität, Arcisstraße 21, Hörsaal 1200; im Gasteig Sa., 17.06., 16:00 Uhr). Ansonsten finden seit letztem Jahr alle Veranstaltungen beim Partner
des Festivals statt, der Münchner Stadtbibliothek im Gasteig.
Subtiler Dokumentarist gesellschaftlichen Wandels ist der 2014 verstorbene Lehrer der »Fünften Generation« chinesischer Filmemacher, Altmeister WU Tianming. Bereits in Der König der Masken (1996), entstanden nach seiner Rückkehr nach China, hatte sich WU Tianming mit einer aussterbenden Kunst, dem Maskenwechsel in der Sichuan-Oper, beschäftigt. Song of the Phoenix (百鸟朝凤, 2013; Mi., 14.06. 18:00 Uhr oder Fr., 16.06., 16:00 Uhr) fragt, ob Überleben mit Idealismus allein möglich ist, konkret mit meisterhaftem Spiel auf einem inzwischen aus der Mode gekommenen klassischen chinesischen Musikinstrument. Der Regisseur wurde für diesen Film posthum mit dem Spezialpreis beim 29. Golden Rooster Award ausgezeichnet.
Noch ein Film inspiriert von Flauberts berühmter Romanfigur? Die Komödie I Am Not Madame Bovary (2016, Do., 15.06. 21:00 Uhr) von FENG Xiaogang (z.B. Hamlet-Adaptation The Banquet) allerdings folgt dem Roman I am not PAN Jinlian des Bestseller-Autors LIU Zhenyun und rekurriert auf eine Figur aus der chinesischen Mythologie, die zusammen mit dem Geliebten plant, den Ehemann zu töten und als »untreue Frau« schlechthin gilt, kurz: eine »Bovary«. Ehe, Scheidung, Versprechen, Vertrauensbrüche auch hier, allerdings versucht die Hauptfigur, gespielt von FAN Bingbing (März 2017 bei den 11th Asian Film Awards beste Schauspielerin) hartnäckig und gar ein Jahrzehnt lang auf rechtlichem Wege ihren Ruf wiederherzustellen – anders als Flauberts Protagonistin, die sich bekanntlich verzweifelt mit Arsen selbst ein Ende setzt. Verraten sei nicht, ob in dieser Story die Kämpferin oder die Bürokratie verblasst.
Das Drama Someone to Talk to (一句顶一万句, 2016; Mo., 12.06., 19:30 Uhr und Do., 15.06., 18:30 Uhr), ebenfalls nach einem Buch von LIU Zhenyun und Regiedebut seiner Tochter LIU Yulin, umkreist die (Un-)Möglichkeit von echter Kommunikation – in unserem sogenannten Kommunikationszeitalter. Nachwuchsregisseur BI Gan verwebt in einem Drama der (Selbst-)Suche und ersten Spielfilm Kaili Blues (路边野餐, 2015, Fr., 16.06., 21:00 Uhr) Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit und hatte damit beim Internationalen Filmfestival in Locarno 2015 bereits Erfolg.
Gleich zwei Filme blicken auf den Japanisch-Chinesischen Krieg zurück: Die fürchterliche Hungersnot in der Provinz Henan 1942 ist Thema im Kriegsdrama Back To 1942 (2012, Mi., 14.06., 20:30 Uhr), einem weiteren Film im Festival von FENG Xiaogang. Oscar-Preisträger Adrien Brody verkörpert einen mutigen amerikanischen Journalisten, der versucht zu helfen und somit dazu beiträgt, Missstände und das Schicksal der Flüchtlinge zu dokumentieren. Der Thriller The Wasted Times (罗 曼帝克消亡史, 2016, Fr., 16.06., 18:30 Uhr oder Sa., 17.06.2017) ist im kriegsgebeutelten Shanghai der 1930er angesiedelt. Liebe, Hass und Betrug – mit Superstar ZHANG Ziyi (The Grandmaster, Die Geisha).
Kein chinesisches Filmfest ohne Action und Animation: Operation Mekong (湄公河行动, 2016, Do., 15.06.2017, 21:00 Uhr und Sa., 17.06., 20:30 Uhr) von Dante Lam (The Sniper, 2009) ist ein bildgewaltiger Blockbuster, der auf einer wahren Begebenheit, dem »Mekong-Massaker« 2011 im Goldenen Dreieck (Grenzregion Laos/Thailand/Myanmar) beruht. Wer noch nicht 16 ist, geht allerdings besser in den Animationsfilm für die ganze Familie, Big Fish & Begonia (大鱼海棠, 2016, Mo., 12.06., 20:30 Uhr und Do., 15.06. 2017, 16:00 Uhr), in dem Delfin-Mädchen Chun, eine Göttin aus der klassischen chinesischen Literatur, an ihrem 16. Geburtstag auf die Erde geschickt wird und allerhand »menschliche Verwicklungen« erlebt.
5. Chinesisches Filmfest München – 12. bis 17. Juni 2017 im Gasteig (Carl-Amery-Saal/Black Box), Rosenheimer Str. 5, 81667 München.
Alle Filme in chinesischer Originalversion mit Untertiteln (dt. oder engl.).