Helden aus anderen Welten |
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Raffinierte Regimekritik: Atomic Heart |
Von Natascha Gerold
So jung, so verdienstvoll: Gleichwohl es das Iranische Filmfestival in München erst seit 2014 gibt, dürfte es bereits zahlreichen Menschen, die das nicht unbedingt erwartet hatten, einen Zugang zur iranischen Kultur mit ihrem außergewöhnlichen Kino verschafft haben. Auch heuer kommt der Film- wieder einem fünftägigen Kulturfestival gleich, dichtgepackt mit einem vielseitigen Programm aus Spiel- und Dokumentarfilmen mit vielen Filmemachern, Lesungen und
Gesprächen.
Der Festival-Schwerpunkt Afro-Iran richtet das Augenmerk auf das Besondere innerhalb des Besonderen und stellt die landschaftlich reizvolle und kulturell vielseitige Küstenregion am Persischen Golf im Süden Irans mittels mehrerer Festivalbeiträge vor: Die begleitende Fotoausstellung Afro-Iran – Der Schwarze Süden Des Iran (12.7. bis 27.7 in der Münchner Stadtbibliothek am Gasteig, Ebene 1.1; Eintritt frei) des deutsch-iranischen
Fotografen Mahdi Ehsaei zeigt in Porträtfotografien und Momentaufnahmen eine schwarze ethnische Minderheit, die die Lebensart ihrer Vorfahren – Sklaven und Handel Treibende aus Afrika – beeindruckend und nahezu unbeachtet von In- und Ausland fortsetzt.
Auf der Leinwand zeigt sich der Schwerpunkt Afro-Iran als aufregende Begegnung arabischer, iranischer und afrikanischer Einflüsse auf Inseln im Persischen Golf und somit als idealer Nähr-Raum für dokumentarische und experimentelle Filmkunst – Archipelago (Sa., 15.7., 16.30 Uhr in Anwesenheit der Regisseure) von Camilla Insom und Giulio Squillacciotti führt den Zuschauer in den schwarzen Süden des Iran und seine Nebenwelt der religiösen Mischformen und übersinnlichen Geschöpfe, die sich qua Riten und Zeremonien auch im Alltag manifestieren. Auch in der Dokufiktion Janbal (So., 16.7., 18.30 Uhr in Anwesenheit der Regisseure Mina Bozorgmehr und Hadi Kamali Moghadam), die als Abschlussfilm gezeigt wird, geht es um die Beziehung von Mensch und Übersinnlichem: In einem Sight-and-Sound-Gesamtspektakel aus spannender Erzählstruktur und surrealen Begenungen mitten in hypnotisierenden Landschaftsaufnahmen auf der Insel Hormuz erlebt der Zuschauer die Liebe eines Inselbewohners zu einem geisthaften Luftwesen. Wenn das Übernatürliche so betörend und nachhaltig greifbar wird, sich Irdische mit Helden aus anderen Welten verbinden, ist die Magie des soundsovielten Hollywood-Superheros doch vergleichsweise schnell verpufft.
Einen ganz anderen Blick auf Hormuz, der runden kargen Felseninsel mit ihren farbenfrohen wertvollen Erden, wirft der Dokumentarfilm The Color of the Soil (So., 16.7., 13 Uhr): Er porträtiert die Arbeit der Künstlergruppe um Ahmad Kargaran, der auch diesmal wieder einen großformatigen Sandteppich mit mythischen Motiven aus diesen Erden erschafft und der Insel zu mehr Bekanntheit verhelfen will – eine Haltung, die ein anderer lokaler Künstler neben der industriellen Sandgewinnung nur als weitere Ausbeutung der Insel anprangert. Beide Kunstanschauungen treffen aufeinander, beide offenbaren einen wichtigen Diskurs: Ist Kargarans Land-Art Teil der Heilung oder der Krankheit, die zusammen mit der ohnehin starken natürlichen Abtragung die Insel zugrunde richtet? Der Film ergreift nicht Partei, weist aber vor allem darauf hin, dass die Bagger und Förderbänder in den Sandminen stetig weiterarbeiten …
»Echte innere Freiheit kann dir niemand geben, aber auch niemand nehmen«, sagte der iranische Filmemacher Seifollah Samadian kürzlich beim diesjährigen Filmfest München in Erinnerung an seinen Freund und langjähriger Weggefährten, der Regie-Legende Abbas Kiarostami. Der aufrechte Gang, der nicht einstudiert ist, sondern naturgegeben scheint – so etwas kommt auch in entlegensten Ecken des Landes vor. Zum Beispiel in einem kleinen Kaff an der iranisch-irakischen Grenze, wo Mezel wohnt. Geboren als Frau, lebt er, seit er denken kann, als Mann. Transidentität in so einer Gegend? Und wie! Das zeigt der einfühlsame Dokumentarfilm I‘M Not A Woman (So., 16.07., 16.30 Uhr) von Hossein Abbasi.
Wie lässt sich eine solche höchstpersönliche Würde in widrigen Umständen wahren? In dem Eröffnungsfilm Gesher (Mi., 12.7., 20 Uhr) von Vahid Vakilifar hausen drei Männer, die die Not ins Ödland der Gas-Raffinerien in eine Kleinstadt in die Provinz Buschehr trieb, in großen Industrie-Betonrohren, Diogenes im Holzfass gleich. Wie Gesher, also Weichtiere, die als verletzliche Wesen zur Welt kommen und sich im Laufe der Zeit eine harte Schale zulegen, lässt sich das Trio in seiner prekären Lage nicht unterkriegen und unterstützt sich jeweils gegenseitig. Ein wider Erwarten optimistischer, Mut machender Blick auf den ganz kleinen Mann. Angesichts der derzeitigen inoffiziellen Arbeitslosenrate von 25 Prozent in Iran – bei jungen Menschen sogar 40 Prozent – und einer maroden Industrie, die Investitionen bitter nötig hätte, hat dieser Spielfilm von 2010 nichts an Aktualität eingeb üßt.
Natürlich macht Cinema Iran bei diesem Filmfest auch den Kameraschwenk zur Großstadt, sowohl auf die Hauptstadt Teheran, als auch auf Schiras, der fünftgrößten Metropole, 700 Kilometer von Teheran entfernt. Im politischen Thriller Eine respektable Familie (Do., 13.7., 20 Uhr; Sa., 15.7., 12.30 Uhr) von Massoud Bakhshi ist die zersplitterte Familie des Intelektuellen Arash in beiden Städten wohnhaft. Nach 20 Jahren im Ausland folgt Arash einem Ruf an die Uni von Schiras, als sein Vater im Sterben liegt, bittet ihn sein Neffe, diesen in Teheran zu besuchen. Schicht für Schicht, Wendung für Wendung offenbart sich dem Zuschauer eine schmerzvolle, komplexe Familiensaga, die eng mit der Geschichte der Republik bis in die Gegenwart verknüpft ist. Wo Bürokratie und Bigotterie die perfekte Fassade für blühende Korruption und mafiöse Strukturen sind, geht eine junge Generation in Hoffnung auf Veränderungen protestierend auf die Straße, während woanders beunruhigende Fakten f ür den Status-quo geschaffen werden.
Raffinierte Regimekritik kann auch als fruchtig-farbig verpackter Grusel in Erscheinung treten, wie Atomic Heart (Fr., 14.7., 20.30 Uhr) von Ali Ahmadzadeh beweist: Zwei Partygirls vergnügen sich mit Trash-Talk und wechselnden Gesprächspartnern im nächtlichen Teheran, bis sie einen Autounfall bauen. Ein mysteriöser Fremder verspricht, den Schaden zu bezahlen, unter einer Bedingung: Beide sollen mit ihm kommen – Es beginnt ein Höllentrip in ein Paralleluniversum, aus dem Entkommen schwer vorstellbar wird.
Auffallend ist das intensive Interesse, das deutsche Dokumentarfilmer dem Iran entgegenbringen – auch ihre Arbeiten bereichern das Filmfest: Daniel Kötter stellt sich in Hashti Tehran (Fr., 14.7., 18 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs) die Hauptstadt als Haus vor, seine Vororte jeweils als „Hashti“, als Vestibül, das Innen- und Außenräume miteinander verbindet. Er porträtiert vier Vororte in verschiedenen Himmelsrichtungen, durchtastet von seiner Kamera, die sich einmal um sich selbst dreht, während Stimmen aus dem Off mehr über den jeweiligen Teil aussagen, als soziologische Abhandlungen es jemals könnten. So stehen für Interessierte Appartements im nördlichen Tochal bereit, die ihnen unmittelbaren Zugang zum Naherholungsgebiet im Gebirge ermöglichen, während Bewohner des südlichen Nafar Abad in direkter Nachbarschaft zur Riesen-Kläranlage der gesamten Stadt leben und die Gestaltung ihres Lebensraums selbstbewusst und nicht ohne Risiken selbst in die Hand nehmen.
Nach den Bemühungen der Obama-Regierung um ein besseres Verhältnis zum Iran präferiert der jetzige US-Präsident den Rückgriff auf die Dämonisierung des Landes aus Bush-Zeiten. Umso erstaunlicher und aktueller die Geschichte eines schwarzen Profisportlers aus Harlem, der 2008 zum iranischen Basketballteam „A.S. Shiraz“ kommt. Till Schauders The Iran Job (Sa., 15.7. 18 Uhr) zeigt die privaten und beruflichen Erlebnisse von Kevin Sheppard auf der „Achse des Bösen“ als amüsante, nachdenkliche Fish-out-of-water-Geschichte, in der es um so viel mehr als einen Liga-Erhalt geht.
Natalie Amiri, der Leiterin des ARD-Studios in Teheran, stellt in ihrer Reportage Der verborgene Schatz (So., 16.7., 14.30 Uhr in Anwesenheit der Regisseurin) eine Kunstausstellung vor, die nicht stattfand: Anfang des Jahres sollte eine der weltweit größten Sammlungen moderner Kunst in Berlin zu sehen sein, die einst Farah Diba mit dem damaligen Leiter des Teheran Museum of Contemporary Art (TMoCA) errichtet hatte und die dort mehr oder weniger unter Verschluss gehalten wird. Amiri beleuchtet die komplizierten Hintergründe der vordergründigen Absage der „fehlenden Ausfuhrgenehmigung“ und fragt nach den Grenzen und Möglichkeiten eines deutsch-iranischen Kulturaustauschs.
Ein bezauberndes Filmfest-Highlight ist der Animationsfilm Window Horses (Sa., 15.7.20.30 Uhr) von Ann Marie Fleming nach ihrer gleichnamigen Graphic Novel. Im Zentrum steht die junge Rosie Ming, die nach dem Tod ihrer Mutter in Vancouver bei ihren chinesischen Großeltern lebt, im Fast-Food-Restaurant arbeitet und in ihrer Freizeit Gedichte schreibt. Eines Tages erhält sie eine Einladung zu einem Dichterfestival nach Schiras. Dort erlebt sie nicht nur ihre Offenbarung als Dichterin, sondern begibt sich auf die Spuren ihres iranischen Vaters, der die Familie vor vielen Jahren verließ. Window Horses hat nicht nur visuellen Einfallsreichtum zu bieten: Wenn Rosie ohne Chinesisch-Kenntnisse von ihrem chinesischen Dichter-Mitstreiter zur Interpretation seines Gedichtes aufgefordert wird, erinnert das an den Film-Poeten Jim Jarmusch, der im vergangenen Jahr im SZ-Magazin erzählte, wie ihn der Künstler Kenneth Koch zum Übersetzen eines deutschen Rilke-Gedichts verdonnerte: »Ich meinte, äh, ich kann kein Deutsch. Er darauf nur: Genau. Er wollte, dass ich mich an allem orientiere außer am Naheliegendstem, dem Inhalt.« Wie es Rosie bei ihrer Gedichtinterpretation und ihren anderen Abenteuern, beseelt vom Geiste der berühmtesten persischen Dichter Saadi, Hafi und Rumi ergeht, ist inspirierend, rührend und herz öffnend.
Wer nach diesem Filmfest auf den Geschmack gekommen ist und/oder nicht genug bekommen kann vom iranischen Kino, kann sich auf die 65. Münchner Filmkunstwochen (19.7.-16.8.) freuen: In deren Rahmen ist dann nochmal die im besten Sinne irre Berlinale-Überraschung des vergangenen Jahres A Dragon Arrives! (So., 30.7., 21 Uhr; So., 6.8., 21 Uhr Neues Maxim Kino) von Mani Haghighi zu sehen.