»Was mich interessiert, ist Revolution« |
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Hans Hurch: 1952 – 2017 (Foto: © Viennale) |
Einprägsam war seine Erscheinung: Groß, kräftig, mit schwarzem, allmählich von ein paar grauen Strähnen durchzogenen Vollbart – seit vielen Jahren war Hans Hurch eine unverwechselbare Figur in der internationalen Filmszene. Oft trug er einen langen schwarzen Mantel, der einer Kutte nicht unähnlich war, und ihn mitunter wie den Jünger eines seltsamen Mönchs-Ordens wirken ließ. Aber wenn es überhaupt eine Religion gab, der Hans Hurch anhing, dann war es der Glaube ans Kino und auch hier war er eher ein Apostat, ein Abtrünniger, einer, der zwar für vieles ein offenes Herz hatte, aber nur die eine Überzeugung: Dass immer das unabhängigste Urteil das beste ist. Skepsis gegenüber festgefahrenen Ansichten, Abneigung gegenüber Schulen, gerade den anerkanntesten, ob sie nun Nouvelle Vague oder Berliner Schule heißen, und die Lust am produktiven Dissens prägten das Gespräch mit ihm. Diese Haltung konnte man erleben, wenn man mit Hurch kurz nach einer Festivalvorführung ein paar Worte wechselte – mehr als zwei, drei Sätze waren es kaum, dann musste er weiter. Aber sie sagten oft alles, und es war ihnen schwer zu widersprechen, manchmal apodiktisch hart, manchmal eher anschmiegend, überzeugen wollend.
Aber es war auch nicht weiter schlimm, wenn man die Dinge ganz anders sah, als er. »Ja, wenn Du das so siehst...« war dann seine tolerante Haltung, wenn er sicher war, dass der andere auch gute Gründe hatte. Nur wenn einer gar nichts dachte, nicht Fisch, nicht Fleisch war, reagierte er unwirsch.
Hurchs neugierige, zugleich von prägnantem, unbestechlichen Urteil bestimmte Herangehensweise kennzeichnete auch das Programm der »Viennale«, der Hans Hurch seit 1997 als Direktor vorstand. Die Arbeit des Kurators und Programmmachers war ihm auf den Leib geschnitten. Es gab bei Hurchs Viennale viel Kollegialität, aber keine Auswahlkommission – ganz offen stand Hurch dazu, dass er das Programm im Prinzip vollkommen allein entschied: »In der Kunst ist Demokratie fehl am
Platz.« Mit dieser nicht kommoden und längst nicht bei allen unumstrittenen Position und mit seinem Enthusiasmus hatte er großen Erfolg, und machte die Viennale zum wichtigsten europäischen Filmfestival neben den großen A-Festivals, zu einem Ort für die Filmemacher, der unglaublich gastfreundlich und dabei vollkommen unabhängig von allem Taktieren, allem Anbiedern an Branchen- oder Publikumswünsche war. Hurchs Viennale war ein wichtigen Impulsgeber und Vorbild für Cinephilie
weit über Wien hinaus.
2015 war sein Vertrag noch einmal verlängert worden, bis 2018. Dann sollte endgültig Schluss sein – es reiche dann auch mal, und er wolle noch ein paar andere Dinge machen, versicherte Hurch erst vor ein paar Wochen in Cannes.
1952 in Oberösterreich geboren, auf dem Land aufgewachsen, kam Hurch nach Wien, um Kunstgeschichte, Philosophie, Soziologie und Psychologie zu studieren, und um intensiv das Filmmuseum zu besuchen. Seit Mitte der 70er Jahr schrieb er für den »Falter«, wo er eine exzellente Filmredaktion aufbaute. Schon damals zeigte Hans Hurch beispielhaft, dass Enthusiasmus für das Kino und Lust an der Debatte Hand in Hand gehen, dass Unterscheidungsvermögen, Klarheit des Urteils und
Bereitschaft zum Streit unerlässlich sind, um Standpunkte deutlich zu machen, und das Nachdenken über das Kino weiterzuführen.
Danach drehte er ein paar Dokumentarfilme und arbeitete zweimal auch als Assistent für der von ihm verehrten Jean-Marie Straub und Daniele Huillet. Dann kuratierte er 1995 das Projekt »hundertjahrekino«, das in Österreich vor allem die Filmbildung stark beeinflusste.
Auch als Viennale-Direktor hielt sich Hurch keineswegs zurück, flüchtete nicht in die Bequemlichkeit harmonisierende Sphären und diplomatischer Leerformeln. Er legte sich an. Ein paar fanden das unfein, aber viele schätzten ihn dafür, selbst wenn sie sich an ihm rieben, dass Hans Hurch einer harter, aber immer produktiv herausfordernder Kritiker der Filmkritik und des Festivalbetriebs war. Er war als Viennale-Direktor in der Position, da deutlicher zu werden, als sich die allermeisten Kritikerkollegen es trauen, oder es ihnen möglich ist. Wenn er an konkreten Beispielen zeitgenössische Kritiker als »Sklavenseelen« und »Parkplatzsherrifs« kritisierte, wenn er behauptete, er wisse bereits vor dem Festival, welche Filme sie loben oder hassen und in welchen Worten sie das tun, war hinter solchen Worten immer die Sehnsucht spürbar nach einer Kritik und nach Filmen, die ein Gegenentwurf und eine Herausforderung für das Bestehende sind.
Aus deutscher Sicht erschien Hans Hurch als typischer Wiener – großzügig und humanistisch im Konkreten, immer an der direkten Begegnung interessiert. Er war – er würde jetzt zu Boden blicken und lächeln, aber nicht widersprechen – ein Menschenfreund. Dabei war er zugleich immer bereit zum charmanten Schimpfen, voller Lust am Schmäh und der Provokation, politisch und künstlerisch unerbittlich und oft unbequem in seiner Offenheit. Das konnte man auch in Berlin erleben, genervt von deutscher Harmonieseligkeit und dem Berlinale-Programm mit seiner Ansicht nicht hinter dem Berg hielt, dass ein gutes Festival nicht »das Publikum als Legitimation für alles nehmen« dürfe, das die nur in Berlin beliebte Formel vom Publikumsfestival »eigentlich zynisch« sei. »Supermarkt sozusagen«.
So viel es ihm auch leicht, Initiativen zu unterstützen, die sich zu solchem Mainstream »controcorrente« verhielten. Der vom »Verband der deutschen Filmkritik« 2015 erstmals parallel zur Berlinale veranstalteten unabhängigen »Woche der Kritik« war Hans Hurch von Anfang an ein in freundschaftlicher Sympathie zugetaner Wegbegleiter. Es ist keinesfalls Zufall, dass es seinerzeit gerade das Thema »Provokation« unter jenen sieben Leitmotiven der Debatten-Panel war, das Hans Hurch besonderes Interesse weckte, sodass er seine Teilnahme zusagte.
Man kann sich diese Debatte komplett auf YouTube ansehen. Vor seiner ersten Stellungnahme an provoziert Hans Hurch dort die Debatte, auch in dem er sich jenen Fragen verweigerte, die ihm unpassend schienen. Nach einer guten halben Stunde machte er den zugleich absurden wie provokativen Vorschlag, den Begriff »Provokation« den ganzen Abend nicht mehr zu benutzen.
Dort
erklärt er auch, Jean Renoir zitierend, seine Art zu arbeiten: »Ob ich kritisiert werde ist mir wurscht, denn ich weiß ja, was ich tue.« Aber man solle mit seinen Positionen verantwortungsvoll umgehen.
An diesem Abend formulierte Hans Hurch auch etwas, das ich seitdem als eine Art persönliches Glaubensbekenntnis verstanden habe:
»Es interessiert mich überhaupt nicht, irgendwen zu erziehen. Ich versuche Filme zu finden, die man gern zeigen möchte. Wie ein Filmemacher und wie Filmkritiker muss ich Entscheidungen treffen. Mich interessiert auch keine ›Filmkultur'. Was mich interessiert, ist die Revolution. Das klingt altmodisch, aber was mich interessiert, ist, die Welt zu verändern.‹«
Ich weiß, dass ich nicht stark genug bin, dass ich ein Kleinbürger bin, dass ich das nicht
schaffe, indem ich Filme programmiere, aber immerhin habe ich noch die kleine Idee irgendwo in meinem Hinterkopf, dass noch irgendetwas anders möglich ist, als das, was in dieser Welt existiert.
Wir sind eine Kaste – keine soziale Klasse, sondern eine Kaste. Wir verfolgen bestimmte ökonomische Interessen, und dann versuchen wir unsere kleine Freiheit zu haben, und unsere eigenen Ideen zu verfolgen.
Ich denke ein guter Filmemacher ist ein guter Filmkritiker.
Was wir hier tun, das ist Pfeifen im Wald. Es macht nicht viel Sinn. Aber wir sollten uns dafür auch nicht entschuldigen.
Das Kino kann einem Ideen und Erfahrungen geben, es kann einen etwas fühlen lassen – das ist schon eine Menge.
Für einige von uns, war Hans Hurch ein kluger Ratgeber und eindrucksvolles Vorbild, vor allem aber ein Freund. Es ist ungemein traurig, und schwer zu begreifen, es ist auch schrecklich ungerecht, dass uns am Montag die Nachricht erreichte, dass Hans Hurch am Sonntagvormittag ist Hans Hurch in Rom überraschend an Herzversagen gestorben ist. Warum trifft es gerade die, gerade so einmalige unverwechselbare Menschen und Figuren des Betriebs, denen man noch so viele Jahre gegönnt hätte?
Hans hinterlässt nicht nur Angehörige, Freunde und das Team der Viennale, sondern auch viele Weggefährten in der internationalen Filmszene. Sein enthusiastisches Eintreten für das Autorenkino wird hoffentlich nicht nur in der Viennale weiter wirken.