67. Berlinale 2017
»Die Berlinale nimmt sich selbst nicht mehr ernst.« |
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Hans Hurch |
Stimmen wir uns ein. Morgen geht es wieder los. Die Berlinale eröffnet, zum 16. mal mit Dieter Kosslick als Direktor. Die Berlinale hat sich in seiner Amtszeit radikal verändert. Um diese Veränderung zu beschreiben, haben wir im vergangenen Jahr für den artechock-YouTube-Blog mit Hans Hurch gesprochen, dem langjährigen Direktor der Viennale.
Zur Einstimmung in Deutschlands
größtes Filmfestival veröffentlichen wir diesen Wiener-Preußischen Dialog in Schriftform.
Ab morgen finden Sie an dieser Stelle dann unser gewohntes Berlinale-Tagebuch
Hans Hurch, Sie sind regelmäßiger Besucher der Berlinale. Wie schätzen Sie den Rang dieses großen deutschen, aus dem Etat der deutschen Kultur-Staatsministerin stark geförderten Festivals im internationalen Vergleich ein?
Hurch: Ich komme natürlich hierher, um Filme zu sehen. Das ist der Hauptgrund, warum ich herkomme. Aber natürlich ist so ein Festival der Platz, wo man Leute trifft.
Es ist jetzt natürlich blöd, dass ich das jetzt als Leiter eines anderen Festivals sage, doch die Viennale ist mit der Berlinale gar nicht vergleichbar, insofern komme ich nicht in Verdacht, hier einen Konkurrenten schlecht machen zu wollen – aber ich finde, dass die Berlinale immer weiter an
Bedeutung verliert. Und zwar deswegen, weil sie sich selbst keine Bedeutung gibt. Sie nimmt sich selber nicht mehr ernst. Sonst gäbe es dieses ganze Drumherum nicht, dieses Theater, oder das mit dem Essen.
Das »Kulinarische Kino«...
Hurch: Das »Kulinarische Kino« finde ich so einen unglaublich dummen Zynismus – und es begründet sich einzig und allein in dieser Witzfigur von einem Kosslick. Nur einfach, weil der etwas für Küche und Essen übrig hat, erfindet man dazu so einen ganzen Festivalteil.
Kürzlich gehe ich irgendwo vorbei, da gibt es so Wägen, wo man essen kann – und zwar völlig normales Essen, das würde in Österreich nicht einmal etwas Besonderes sein: Käsespätzle, das ist
das normalste von der Welt, aber das wird hier zelebriert, als w äre das sozusagen »Autorenessen«.
Das ist etwas sehr Bürgerliches, nicht? Sich auf Essen und Ernährung zu konzentrieren, und darüber alle wichtigeren Fragen aus den Augen zu verlieren...
Hurch: Es ist etwas absolut reaktionäres finde ich, in dieser Welt, in dieser Zeit sich in dieser Form mit Essen zu beschäftigen. Und dann noch Kosslicks flotter Spruch: »Make food, not war.« – als würde man Essen »machen«, als wäre das nicht eine Verteilungsfrage, als wäre das eine freie Entscheidung, essen zu machen. Für uns ja: Wir können ins Restaurant gehen, einkaufen, kochen – ganz viele Menschen können das nicht.
Und der konstruierte
Zusammenhang von Essen und Krieg – das ist so grotesk und so zynisch und so dumm – so ist das ganze Festival. Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: Die Berlinale ist ein schlechtes sozialdemokratisches Festival. Inzwischen ist es noch schlimmer.
Die Berlinale hat überhaupt keinen Charakter mehr. Das sieht man am allerbesten daran, dass sie 2016 im Wettbewerb einen achtstündigen Film von Lav Diaz zeigen. Das interessiert den Kosslick überhaupt nicht. Sondern
das ist im aktuellen Festivalgeschehen (in dem Lav Diaz schick ist und Locarno-Sieger) reiner Opportunismus, so etwas zu zeigen – dem Film gegenüber dem Festival gegenüber, den Besuchern gegenüber.
Daran sieht man, dass die Berlinale kein Profil hat, dass sie nichts Eigenes versucht und kein Herz hat.
Wie machen Sie es bei der Viennale besser?
Hurch: Das kann man nicht als Modell propagieren – aber wir haben die Möglichkeit, ein völlig selbstbestimmtes Programm zu machen.
Das heißt: Ich nehme mir die Freiheit, den Luxus heraus, über jeden einzelnen Film persönlich zu entscheiden. Das mache ich mir nicht leicht, oft lasse ich sie lange liegen und schaue sie mir nochmal an, aber es bleibt eine persönliche Entscheidung. Weil ich dagegen bin, dass man solche in Diskussionen und in Gruppen und
Auswahlkommites trifft – aber nicht, weil ich mich nicht gerne mit anderen über Kino austausche, im Gegenteil. Aber ich finde, man ist dem Filmemacher die persönliche Entscheidung schuldig. So wie ein Filmemacher eine ästhetische und politische Entscheidung trifft, kann er auch von einem Gegenüber verlangen, dass der auch eine ästhetische und politische Entscheidung trifft. Das ist meine Haltung. Wenn es jemand anders sieht, will ich das nicht vorwerfen.
Das andere
ist aber, dass man nicht versuchen darf und soll, es allen recht zu machen und so auf eine pseudopolitische Aktualität zu machen.
Ich trage noch immer eine Berlinale-Tasche – da steht drauf: »Towards Tolerance«. Solche Motti sind völlig leere Worthülsen, schick, sinnlos und politisch korrekt, die ein komisches Einverständnis mit allen geben wollen. Und so sind auch diese ganzen Filmschienen, diese ganzen Nebenprogramme, diese ganzen Dinge drumherum. Irgendwann wird eine
Festival eine Maschine. Dann verliert es das eigene Herz und seine innere Notwendigkeit.
Das sehe ich bei der Berlinale.
Dieter Kosslick, der Direktor der Berlinale würde jetzt auf diese Kritik antworten: Die Berlinale ist ja ein Publikumsfestival, die will allen etwas bieten, und deswegen irrt dieser Herr aus Wien. So ähnlich hat Monika Grütters auch in ihrer Berlinale-Eröffnungsrede 2016 argumentiert. Was würden Sie beiden antworten?
Hurch: Ich glaube, dass jedes Festival ein Publikumsfestival ist. Es gibt natürlich reine Marktfestivals, aber von denen reden wir nicht.
Der Renoir hat mal gesagt: Jeder Film ist ein kommerzieller Film. (denn er kostet Geld, es wird Arbeit investiert, er wird nachher gezeigt) und jedes Festival ist ein Publikumsfestival. Nur bedeutet das nicht, dass man das Publikum als Legitimation missbraucht.
Die Formel »Publikumsfestival« bedeutet zugleich, wenn
Kosslick das sagt: Ganz weit, ganz offen, ganz alles, denn das Publikum ist ja eine anonyme Masse, und die will bedient sein von links bis rechts, von oben bis unten. Stimmt überhaupt nicht!
Es bedeutet noch mehr Verantwortung, ein Festival zu schärfen und den Leuten ein ganz konkretes Angebot zu machen.
Das Publikum als Legitimation für alles zu nehmen, ist genau falsch. Wenn ich sage: Ich wende mich an viele Leute, dann muss ich mir doch genau überlegen: Was will ich diesen Leuten
zeigen? Womit will ich sie provozieren? Was will ich, das sie sehen. Deswegen ist die Floskel »Publikumsfestival« überhaupt kein Grund und kein Anlass zu sagen: »Deswegen mach ich alles und zeig soviel, und mach auch Kochen, und mach auch Talent Campus, und mach auch ich weiß nicht was« – das ist eigentlich zynisch, sich damit zu legitimieren, dass man kein eigenes Verhältnis zum Publikum hat, sondern das man dieses Denken umdreht und sagt ich mach’s fürs Publikum und
deswegen kann ich alles machen. Supermarkt zuzusagen. Das ist im Grunde eine Verachtung der Leute. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kulturstaatsministerin Monika Grütters darauf so begeistert reagiert.
Wie der Brecht mal gesagt hat: »Das Volk ist nicht tümlich.«
Muss man oder darf man dem Publikum denn auch etwas beibringen? Hat man als Festival das Recht, dem Publikum etwas vorzusetzen, was es auf Anhieb erstmal nicht mag und auf den zweiten möglicherweise um so mehr?
Hurch: Ich glaube, dass Erziehung absolut ein Teil davon ist. Wenn mich jemand fragt, was ich mir von einem Film erwarte, dann ist das im Idealfall, dass ich etwas gesehen und erfahren habe, was ich vorher nicht so kannte oder wusste. Ich will mich nicht bestätigen lassen im Kino – das ist das Langweiligste.
Ich will einen Moment von Erfahrung oder von Verunsicherung oder auch von Glück oder was auch immer. Man kann den Leuten grundsätzlich alles zumuten,
aber das, was man tut und zeigt muss aus einer Überzeugung und aus einer Haltung und aus einer grundsätzlichen Beziehung zu den Leuten entstehen. Nicht aus einer kommerziellen Beziehung oder einer Medien-Beziehung.
Man muss in einer Res Publica ein Publikum ernst nehmen als Staatsbürger. Man kann das Publikum entweder ansehen als mündige Citoyens, oder als riesige Ansammlung von zahlenden Leuten, die sich durch ihre schiere Anzahl legitimieren. Die Idee dahinter ist ja, dass man
sich selbst durch die Menge der Leute selber legitimiert.
Also Populismus?
Hurch: Genau! »Wir sind ein Publikumsfestival. Wir haben noch mehr Besucherzahlen dieses Jahr. Deswegen gibt es keine Debatte mehr.« Das ist das Problem. Das ist eigentlich ein kleiner totalitärer Traum.
Denn: Wo endet das? Wo hört das auf? Mehr will mehr und wird am Ende zum Nichts.
Sie werden ja auch kritisiert...
Hurch: Es gibt viele Leute, die mit dem, was ich mache, auch nicht zufrieden sind. Aber zumindest weiß man, man kann mich als Person kritisieren.
In Berlin ist das so eine riesige wabernde anonyme Angelegenheit – zwischendurch tritt dann kurz der Kasperl auf, der Kosslick. Alleine, wie sich der nicht ernst nimmt! Das spürt man. Wenn man das Vorwort im Katalog liest, dieses »Route 66«... Die Haltung des Festivals löst sich völlig auf.
Wenn man dieses Vorwort einmal vergleicht mit dem Vorwort von Moritz De Hadeln von 1986 (das hab ich als Beispiel mal nachgelesen), dann sieht man einen frappierenden, tollen Kontrast: Auch De Hadeln redet vom Publikum. Aber er sagt: Man darf es dem Publikum nicht leicht machen. Er argumentiert: Bei einem Festival geht es um Konsequenz, auch um Irritation. Er sagt, »wir sind eine Institution als Berlinale, aber deswegen können und müssen wir trotzdem anti-institutionell sein.«
Hurch: Genau. Oft geht die Erinnerung verloren, was ein Festival mal war. Und plötzlich behaupten alle, der Moritz De Hadeln war ja auch nix. Das ist natürlich Unsinn, und manchmal, wenn man diesen historischen Moment vergegenw ärtigt, dann wird das, was jetzt ist, noch viel gnadenloser.
Damals liefen Fellini, Nanni Moretti, William Friedkin im Wettbewerb, das war die Mischung, drei deutsche Filme im Wettbewerb, unter anderem Achternbusch. Reinhard Hauff hat gewonnen mit Stammheim.
Hurch: Das ist auch so ein verdrehtes Argument: Dass die Berlinale sich herausredet mit dem Satz: »Die Leute gehen nicht mehr nach Berlin.« Es muss aber ja auch einen Grund geben, warum ich wohin nicht mehr gehe. Das ist ja eine Wechselwirkung. Produzenten und Weltvertriebe entscheiden ja nicht nur aus Jux und Dollerei, oder weil in Berlin das Wetter so schlecht ist.
Ich glaube wirklich, dass Berlin im Moment so ein Ort ist, an dem nichts wirklich Wesentliches
fürs Kino mehr passiert. Das ist brutal, das so zu sagen. Was aber nicht heißt, dass es nicht einzelne interessante tolle Filme gibt.
Aber es geht mir darum, dass das Festival nicht nur ein Additives ist, sondern dass es auch in sich eine Form haben muss
Jeder sieht hier ein paar schöne Filme. Aber es geht darum: Wo steht die Berlinale im Kino und in der Politik?