67. Berlinale 2017
Routine vor dem Ausnahmezustand |
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Andres Veiels Berlinale-Beitrag Beuys | ||
(Foto: Piffl Medien GmbH) |
»Du lass Dich nicht verbittern, in dieser bittren Zeit / Du lass Dich nicht erschrecken, in dieser Schreckenszeit« – mit einem Gedicht von Wolf Biermann eröffnete Berlinale-Direktor Dieter Kosslick die Pressekonferenz zur kommenden Berlinale, seinem 16. Festival als Leiter. Die Berlinale, korrekt formuliert »Die Internationalen Filmfestspiele Berlin«, sind eines der drei bedeutendsten Filmfestivals der Welt – und das Schaufenster des deutschen Kinos.
»Es ist ein Programm geworden mit sehr viel Humor in diesen Filmen, sehr viel Zuversicht, sehr viel Mut.«
Mut, Zuversicht und Humor solle das Festival also ausstrahlen. Von Poesie sprach Kosslick hingegen trotz des Gedichtseinstiegs dann erwartungsgemäß nicht – dabei würde man der Berlinale nicht zuletzt gerade etwas mehr poetischen Überschuss und ästhetischen Anspruch wünschen.
Aber auch von der Fähigkeit des Kinos zur Vorwegnahme aktueller Vorgänge redete Kosslick – frei nach dem Film-Philosophen Siegfried Kracauer, der einst beschrieb, wie das deutsche Kino der 20er Jahre in seinen Monster- und Tyrannen-Figuren die Machtübernahme Hitlers vorausahnte.
Viele Filme über dysfunktionale Familienstrukturen werde es geben, und viele Filme die von der Gegenwart über den Blick zurück in die Geschichte erzählen.
Es war eine routinierte Veranstaltung im Saal der Bundespressekonferenz am Bahnhof Friedrichstraße mit den üblichen Zahlen und Rekorden: Über 11 Sektionen, fast 400 Filme, darunter drei deutsche Filme im Wettbewerb: Neue Werke von Volker Schlöndorff, von Thomas Arslan und von Andres Veiel.
Die weniger bekannten Namen wurden mit der Routine ostdeutscher Partei-Funktionäre heruntergeleiert. Etwas mehr Engagement und Feuer, etwas mehr Begeisterung und weniger
Funktionärsroutine hätte man sich schon gewünscht.
Da saßen sie alle – nein: fast alle, denn die »unwichtigeren« waren in der ersten Reihe unter den Journalisten. Es gibt einfach zu viele Berlinale-Sektionen – neben König Kosslick aufgereiht: der Prinz Charles der Berlinale, der »elder statesman«, die trockene Pflaume, der Gollum, Bewegte und Unbewegte, Redner und Schweiger, Souveräne und Unsouveräne. Sie sprachen über »Europa unterm Brennglas«, über Walter Salles und Mao und 1968. Sie sprachen zum Thema »Mut« und wirkten so... ja: kleinmütig.
Man merkt dieser im Wesentlichen immergleichen Truppe von Verantwortlichen an, wie lang sie den Job schon machen, wie sehr sie sich mit sich selbst langweilen, und mit den Kollegen.
Was wird es für ein Festival sein in Zeiten des Anti-Terror-Regiments mit immer schärferen Überwachungs- und Absicherungsmaßnahmen:
Auf die Frage nach dem Sicherheitskonzept und der Gefahr eines Anschlags gab sich Dieter Kosslick gelassen: »Es hat niemand abgesagt. Ich fasse das auch als ein Statement auf, dass die Leute nicht absagen, weil sie sich nicht absagen lassen.«
Business as usual also in Berlin – das ist keine Überraschung, genauso wenig wie die Tatsache dass Dieter Kosslick, der ein blendender, immer gutgelaunter Verkäufer ist, und diesmal nicht nur den zum Markenzeichen gewordenen roten Schal, sondern auch rote Socken und in der Signalfarbe gemusterte Schuhe trug, sein Programm über den grünen Klee lobte.
Wie gut die Filme sein werden, wie brennend aktuell oder ästhetisch innovativ, wird man sehen – politisch will die Berlinale in jedem Fall werden, da möchte keiner rebellischer sein, als Berlinale-Direktor Kosslick selbst: »Die lateinische Übersetzung von Kolonialismus ist ›Investoren‹. So nennt man die heute. Für all unsere Handys die wertvollen Erden lassen sie von den Schwarzen mit den Händen ausgraben um sie dann mit Sklavenarbeit in China um dann bei uns keine Steuern zu bezahlen, wenn wir sie kaufen. Diesen Investorenkolonialismus, den haben wir in mehreren Filmen.«
Film-Geschichtspolitisch hingegen vermeidet die Berlinale die wirklich brisanten Stoffe: Überraschenderweise gibt es keine einzige Veranstaltung, geschweige denn einen Film zum 100-jährigen Gründungsjubiläum der Ufa mitten im Weltkriegsherbst 1917 – einem Filmstudio, das wie kein zweites die Abgründe wie die Höhepunkte des deutschen Kinos im 20.Jahrhundert verkörpert.
Stattdessen nur eine zumindest vordergründig unpolitische Retrospektive zur bereits seit
Wochen laufenden Ausstellung zum Science-Fiction-Film im Deutschen Filmmuseum.
Dann meldeten sich die Ösis und fragen nach österreichischem Kino, dann melden sich die Ukrainer und wollen Filme »über den Krieg Russlands gegen die Ukraine«.
Fazit: »124 Frauen sind im Programm der Berlinale vertreten... Ja, muss man sagen. In Bayern kriegt man die Preise auch so, bei uns muss man auch Filme mitbringen. Entweder mit Kamera, Produktion und Regie... Wir haben 74 deutsche Filme und mehrere deutsche Filme noch im Berlinale-Spezial.«
Gewohntes Selbstlob also in Berlin – aber dieser Tage wird eine Studie veröffentlicht werden, die belegt, dass es weder mit der Frauenförderung noch mit der Präsenz des deutschen Kinos so weit her ist, wie die Berlinale gern posaunt.
Dazu wird man schon in den nächsten Tagen noch Einiges mehr erfahren – für genug Diskussionsstoff ist in jedem Fall auch auf der diesjährigen Berlinale gesorgt.