67. Berlinale 2017
Die Zukunft war auch schon mal besser |
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Stanley Kramers On The Beach | ||
(Foto: United Artists) |
Science-Fiction – das sind nicht notwendig unendliche Weiten in glitzernden Raumschiffen und Marsmenschen. Wenn sich die diesjährige Berlinale in ihrer Retrospektive dem Science-Fiction-Kino widmet, dann sucht sie sich aus dem schier unendlichen Kosmos dieses bildgewaltigen und spektakulären Genres etwas ganz anderes aus.
Der Titel deutet es schon an: »Future Imperfect«. Es geht also um die Zukünfte, die misslingen, die unvollendet bleiben. Und um Dystopien, also das Gegenteil von Utopien, schwarze, melancholische, düstere Bilder für Welten, in denen keiner Leben möchte.
Um Filme, die Ausdruck kollektiver Horror-Visionen und Ängste sind.
Im Zentrum der Schau stehen zwei Themen: Die Gesellschaft der Zukunft und das Fremde. Insgesamt werden in der Retrospektive 27 deutsche und internationale Spielfilme gezeigt, Klassiker, Kultfilme und nicht zuletzt weitgehend unbekannte Produktionen etwa aus Japan sowie Mittel- und Osteuropa.
Auch Stars gibt es. Ausgerechnet einer der unbekanntesten Filme der Reihe kann mit Gregory Peck und Ava Gardner aufwarten: Stanley Kramers On The Beach – auf dem Strand. Dort landet ein amerikanisches Atom-U-Boot in Australien – während die Resterde radioaktiv verseucht ist. Zum Glück hat Ava Gardner auch überlebt – so hat die Erde eine Zukunft. Oder doch nicht?
Allgegenwärtig ist in diesen Filmen die Angst vor dem unbekannten Anderen, dem Fremden. Schon 1918 handelte der dänische Stummfilm Himmelskibet (Das Himmelsschiff) von Holger-Madsen, einer der frühesten Science-Fiction-Filme überhaupt, von der friedlichen Begegnung mit Außerirdischen bei einer Mars-Erkundung. Ähnlich freundlich wirken auch die seesternförmigen Außerirdischen in Koji Shimas »Die Außerirdischen erscheinen in Tokio« und Steven Spielbergs »Unheimliche Begegnung der dritten Art«.
In postapokalyptischen Filmen ist die Erde zunehmend unbewohnbar. Ein Beispiel: Die Öko-Dystopie Soylent Green von 1973. Regisseur Richard Fleischer entwirft darin eine Welt, die im Jahr 2022 angesiedelt ist, und von Überbevölkerung und Umweltverschmutzung geprägt ist. Nur vier Jahre nach der Mondlandung träumt ein Film in reduzierten Farben eine ganz irdische Zukunft: Wasser, Nahrung und Wohnraum sind hart umkämpft, die Menschen werden wie Abfall recycelt wird.
Kaum wohlwollender sah George Lucas bereits sechs Jahre vor Star Wars die Zukunft: Als junger Wilder in der sogenannten »New Hollywood«-Bewegung erzählt er in THX 1138 von 1971 eine technokratische Zukunftsvision von einer hocheffizienten und vollautomatisierten Gesellschaft, in der Gefühle und der freie Wille des Einzelnen durch Medikamente unterdrückt werden.
Auch totalitäre Alpträume früherer Jahre sehen plötzlich unserer Gegenwart zum Verwechseln ähnlich: Der Brite Michael Anderson verfilmte bereits 1956 George Orwells Roman-Welterfolg 1984.
Aber auch der Ostblock kannte diese Form versteckter Kritik am Bestehenden:. So haben sich in Das Ende der Zivilisation einem polnischen Spielfilm von 1985, (Regie: Piotr Szulkin) die Überlebenden einer atomaren Katastrophe unter die Erdoberfläche zurückgezogen. Wo jegliche zivilisatorische Ordnung ausgelöscht ist, herrschen Gewalt und Chaos, es bilden sich aber auch neue Formen von Gemeinschaft heraus – ein Spiegel des polnischen Aufbruchs der Solidarnosc und des Ausnahmezustands in der Volksrepublik vier Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Science Fiction heißt also immer auch Selbstkritik einer Gesellschaft. Zugleich zeigt der Science-Fiction-Film aber jenseits gesellschaftlicher Ängste oder Wünsche, wie wir uns als Menschen sehen, wofür wir Kraft haben, wie sehr wir der Zukunft vertrauen.
Insofern ist eine Schau über die »unperfekte Zukunft« kein allzu optimistisches Zeichen.
Sowieso aber wirkt das alles jenseits der Schönheit einzelner Filme nicht übermäßig inspiriert. Eher hat man den Eindruck einer Retrospektive auf Sparflamme, als ginge es darum, einer Ausstellung die sowieso schon läuft, noch ein paar Zuschauer zuzuschaufeln. Die Auswahl der Filme ist nicht schlecht, aber vollkommen beliebig und halbherzig. Eine solche Schau hätte auch in jedem anderen Jahr laufen können.
2017 aber feiert die Ufa ihr einhundertstes Jubiläum – immerhin das größte deutsche Filmstudio, und das einzige, das auch ausländische Gäste interessiert. Was würden Italiener oder Franzosen aus so einer Gelegenheit machen!
Keine Spur davon auf dem bedeutendsten deutschen Filmfestival, noch dazu am Ufa-Gründungsort Berlin. Man hätte sich auch mit Metropolis oder ähnlichem aus der
Affaire ziehen können – als die man bei der Berlinale offenbar das deutsche Hollywood empfindet.
Aus Deutschland gibt es in der Retrospektive immerhin Hans Werckmeisters Stummfilm Algol – Tragödie der Macht Der Tunnel von 1920 und Der Tunnel von Kurt Bernhardt, der 1933, im Jahr der Fertigstellung, vor den Nazis in die USA floh. Seit dem Machtantritt der Nazis war Deutschland ein Science-Fiction-Entwicklungsland. Eine Ausnahme war Rainer Werner Fassbinders Welt am Draht eine Art Matrix aus dem Hobbykeller.