67. Berlinale 2017
Filmen a fresco |
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Der Feminist des Gegenwartskinos mit Isaebelle Huppert am Set von Elle | ||
(Foto: MFA+ FilmDistribution GmbH / Die FilmAgentinnen GmbH i.G.) |
»Ursprünglich komme ich von der holländischen Schule des Realismus. Wenn Sie die holländischen Gemälde des 17. Jahrhunderts anschauen, aus der goldenen Zeit unserer Malerei, dann wissen Sie, was ich meine. Das reale Leben hat da eine sehr starke Präsenz. Damit bin ich aufgewachsen, es erscheint mir ganz selbstverständlich, nicht nur das zu zeigen, was öffentlich geschieht.
Die holländischen Maler dieser Zeit haben nichts ausgeklammert. Rembrandt machte Skizzen von sich und seiner Frau beim Sex, sogar Skizzen von Menschen beim Pinkeln und Scheißen! Hieronymus Bosch zeigt in „Der verlorene Sohn“« im Hintergrund ein Bordell und daneben einen Mann, der gegen die Wand pinkelt. Da herrscht ein enormer Respekt für die Wirklichkeit! Auch in der Genauigkeit, mit der Gebäude und die Tiere gemalt wurden. Ich bin mit diesem Gefühl aufgewachsen: dass man nichts verheimlichen oder ausklammern muss, dass man alles zeigen kann.
Paul Verhoeven, Regisseur und Jurypräsident der diesjährigen Berlinale, im Gespräch mit Anke Sterneborg (SZ)
Ob er als Jurypräsident bei der Berlinale so richtig glücklich wird? Wir wollen es ihm wünschen. Aber es hat natürlich seine sehr guten Gründe, dass die Filme Paul Verhoevens in den letzten über 30 Jahren nie auf der Berlinale Premiere hatten, sondern immer auf den Filmfestivals in Cannes oder Venedig – das gilt natürlich auch für seinen allerneuesten Film, den genialen Elle der
diese Woche in die Kinos kommt, Toni Erdmann bei den »Golden Globes« schlug, und der selbstverständlich im Wettbewerb von Cannes zuerst zu sehen war.
Wenn Paul Verhoeven jetzt in der SZ (vom 08.02.2017) verkündet »Ich hoffe auf kontroverse Filme« – dann kann er, glaube ich, lange hoffen. Denn die Berlinale zeigt vieles, aber keine wirklich kontroversen Filme im Sinne Verhoevens: »Ich
hoffe auf Ideen, die ich noch nicht gesehen habe, ethisch oder unmoralisch, ganz egal. Etwas, das mich überrascht, gleich auf welche Weise. Das gelingt dem Kino nicht mehr so oft, eher der Musik. ... Bei der Berlinale hoffe ich auf Filme, die wirklich herausragen. Das Schlimmste wäre, sich über drei oder vier Kandidaten streiten zu müssen, die alle gerade mal okay sind.«
Genau das wird Verhoeven meiner Meinung nach passieren. Denn in den letzten Jahren gab es auf der Berlinale im
Wettbewerb eigentlich immer nur Filme, die gerade mal ok waren.
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Er ist der Feminist des Gegenwartskinos. Paul Verhoeven, der nächstes Jahr 80 wird, und seit 50 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet ist, erzählt in seinen Filmen eigentlich immer von Frauen und ihrer Welt. Es sind nicht unbedingt jene »starken Frauen«, wie sie die Filmfunktionäre aller Länder so lieben, Frauen, die »ihren Mann stehen«, die um die Mitte des Films einen verständnisvollen Geliebten finden, und moralisch immer sauber und unbefleckt bleiben – im Gegenteil: Es sind Frauen, die sich schmutzig machen, oder besudelt werden, Unabhängige, die nicht lamentieren, wenn sie an die falschen Männer geraten und die, um diese dann gerade noch rechtzeitig wieder loszuwerden, und zu überleben, über Leichen gehen. Manchmal im Wortsinn, meist metaphorisch.
Verhoevens Frauen tun zwar, was sie wollen. Weil sie das aber in einer von Männern geprägten und dominierten Welt tun, und Verhoeven darum niemals herum redet, ist ihre Stärke eine indirekte.
Im Verhältnis zu dieser indirekten Stärke sind Männer dann in einer prekären Lage. Man könnte seine Filme daher genauso auch auf die Formel bringen, dass es in ihnen um die Krise des Mannes geht, nicht nur des amerikanischen. Alle seine Filme lassen sich auf diesen Punkt bringen, mit ihren von Natur aus starken Frauen, und den nur durch Artefakte stärkeren Männern.
Und wer diesen Gedanken jetzt für Unsinn hält, dem sollte es, bevor er das Magazin zur Seite schmeißt, zumindest zu
denken geben, dass Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, keine Frauenfeindin, in ihrer Carte Blanche bei den Salzburger Festspielen, zu der sie fünf Kinofilme aussuchen durfte, neben unbestrittenen Klassikern wie Nosferatu und Alien auch Verhoevens Starship Troopers wählte.
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Es sind die menschlichen Basisinstinkte – Sex, Gewalt, Voyeurismus, Fetischismus – die Verhoeven interessieren. Seine Handschrift ist Kritik: Beißende, bittere Kritik. Und Provokation. Sein Mittel dazu ist der Tabubruch, sowie Sarkasmus und Ironie, beides von manchen mit Zynismus verwechselt. Verhoeven ärgert viele, und er macht sich noch einen Spaß aus der Wut, die er auslöst. Verhoevens Angriffe gelten der Macht: Der des Geldes und des Establishments, also auf ästhetischer Ebene: Dem guten Geschmack, dem warmen, braven, gediegenen Mittelmaß. Und auch der, dem seine ganze Haltung auf die Nerven geht, wird zumindest zugestehen müssen, dass Verhoeven sich keine leichten Gegner aussucht. Dieser Regisseur riskiert etwas.
Verhoevens Filme zeugen von großer handwerklicher Leichtigkeit und von ästhetischer Perfektion, es sind Fresken: Was auch immer er zeigt, zeigt er mit großer Unerbittlichkeit. Er zeigt es nicht nur ungeschönt, sondern direkt, dabei nie unvermittelt. Im Gegenteil sind die Vermittlungsinstanzen, die Medien zumal, immer offen Teil des Spiels. Und die Grenze zwischen Information, Propaganda und Werbung wird dabei aufgelöst. Dies verbindet die Werbeparodien aus RoboCop mit der Presse in Basic Instinct, den Bühnen der Showgirls und den als Nachrichten maskierten Propagandashows aus Starship Troopers.
Natürlich liebt Verhoeven das Spektakel. Womöglich würde er sogar behaupten, dass das Kino ohne Elemente der Propaganda, der Manipulation genauso wenig auskommt wie ohne Verführung und ohne Lust. Allem zugrunde liegt das Begehren des Zuschauers, den Verhoeven dadurch bei der Stange hält, dass er es – anstatt sich wie andere zu verweigern – übererfüllt, und das zudem auf eine irritierend kühle Weise.
Daher kommt die innige Verbindung, die dieser Regisseur mit der Exploitation eingeht: Der gute Geschmack, wie gesagt, ist der Hauptfeind. Das hat nicht wenige übersehen lassen, wie elegant Verhoeven inszeniert, wie stilbewusst seine Filme sind, wie nicht nur handwerklich erstklassig. Zudem hat der Trash bei ihm im Gegensatz zu anderen immer auch eine politische Schlagseite.
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Ein Beispiel dafür ist Black Book – eine Fabel über die Niederlande unter nazideutscher Besatzung, die am Ende fast nur Verräter übrig lässt. Und allein die, die man dafür hält, ist am ehesten keine: Rachel, eine jüdische Sängerin, die als Spionin im Dienst des Widerstandes ins Hauptquartier der Besatzer eingeschleust wird. Vor diesem Hintergrund entfesselt Verhoeven ein Karussell unterschiedlichster Begierden und Interessen. Wie so oft in Verhoevens Kino, vermischen sich die Grenzen zwischen Gut und Böse zu einer Atmosphäre der Ambivalenz. Entscheidend ist der Optimismus der Hauptfigur, ihr Überlebenswille noch unter widrigsten Umständen, und die Tatsache, dass sie frei ist, ihre Selbstbestimmung verteidigt.
Mit diesem Film kehrte Verhoeven 2006 in die Niederlande zurück. In seiner Heimat hatte man ihn, der ohne die »Hirnverletzung« einer religiösen Erziehung aufgewachsen war, Physik studiert und über Einsteins Relativitätstheorie promoviert hatte, gut 20 Jahre zuvor gern nach Hollywood ziehen lassen – seine frühen Werke wie Türkische Früchte, die Passionsgeschichte Keetje Tippel, Spetters und Der vierte Mann, gelten zwar heute als die besten Werke der holländischen Filmgeschichte. Zu ihrer Entstehungszeit aber lösten sie mit ihrem Anti-Konformismus, ihrer sexuellen Freizügigkeit und in jeder Hinsicht libertären Moral heftige Kontroversen aus. Bereits zu dieser Zeit spielt Verhoeven virtuos mit dem Publikum, seiner Gesinnung und seinen Erwartungen: Mit dem üblichen Ordnungsmuster Gut und Böse kommt man in Verhoevens Filmen selten weiter. Das beweist auch Verhoevens respektables, ebenso ungewöhnliches, wie unvergessliches US-Debüt: Flesh & Blood ist ein in exquisite Gewaltästhetik getunkter Ritterfilm, eine Mixtur aus Lust an Fleisch und verkommenen Charakteren – »Game of Thrones« trifft den Untergang des Abendlandes.
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Es folgte eine bemerkenswerte Trilogie, fünf Meisterwerke in Folge: RoboCop und Total Recall wurden später durch Starship Troopers vollendet: Eine SF-Trilogie, die Menschen zeigt, die mit Maschinen verschmelzen, auch dieses bemerkenswert »unreine«, »schmutzige« Filme in cleaner, gleißender Metal-Ästhetik. Dieses Faible für das Metallische ist Fetischismus pur – die Einlösung eines Versprechens, das immer schon mit dem Kino verbunden war: Das die Phantasien zeigbar werden.
Zugleich haben diese drei Filme den Pessimismus düsterer Zukunftsentwürfe gemeinsam. Sie sind – wie übrigens auch Verhoevens übrige Werke – zugleich Filme über Menschen im Überlebenskampf wie unterschiedlich temperierte apokalyptische Fresken voller unvergleichlicher Bild für Unterwerfung des Individuums durch Technologie, Diktatur, und Propaganda.
Mit dem geistigen Weltuntergang spielen auch Basic Instinct und Showgirls, die längst ihren anfangs zwielichtigen Ruf und den Hautgout von Frauenfeinschaft verloren haben. Geblieben ist die offene Exploitation – doch Verhoeven besteht darauf, dass es die Gesellschaft ist, die hier ausbeutet. Die selbstständige Frauen dazu zwingt zur fatalen Domina zu verhärten, oder auf der Showtreppe von Las Vegas auf den Strich zu gehen. In beiden Fällen verkaufen die
Hauptfiguren ihren Körper an den männlichen Blick, um innerlich frei zu bleiben. In beiden Fällen handelt es sich auch um abgründige Analogien auf Amerika und den amerikanischen Mann – der sich als zu schwach erweist für die Stärke dieser Frauen.
Filmisch ist hier auch der Antirealismus ein roter Faden. Es geht nicht darum die Welt zu zeigen »wie sie ist«, oder wie sie erscheint, sondern darum, ihre innerste Gestalt freizulegen. Darum stehen hier Menschen parallel zur Technik, Fleisch parallel zum Stahl. Auch Technik, sei es eine Prothese oder ein Eispickel, ist nur ein Objekt gewordener Instinkt. Hollow Man, eine vergleichsweise uninspirierte Auftragsarbeit, ist trotzdem ein veritabler Verhoeven, weil er hier dieses Prinzip auf die Spitze treibt: Technik bringt den Leib zum Verschwinden, und ermöglicht zugleich den Einblick in die amoralische Natur der Menschen – eine Erfahrung, die den Helden (der mit dem Zuschauer identisch ist) auf sein eigenes Wesen, den Instinkt des Voyeurismus zurückwirft.
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Möglicherweise sind ja die unvollendeten Projekte die interessantesten im überaus bemerkenswerten Kino-Kosmos des Paul Verhoeven. Es gibt da mindestens drei: Die Verfilmung von Lion Feuchtwangers Präfaschismus-Panorama »Erfolg«, von der er nach eigener Aussage seit Jahren träumt, die Geschichte des Lebens der Leni Riefenstahl mit Jodie Foster in der Hauptrolle, das nicht zuletzt am Kleinmut der deutschen Filmförderung scheiterte; und schließlich »Crusade« – ein
brachiales Kreuzzugsepos, geschrieben von The Wild Bunch-Autor Walon Green, und Anfang der 90er Jahre bereits weit gediehen: Mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle, Charlon Heston als Papst und Jennifer Connelly als Prinzessin wollte Verhoeven hier zur Zeit der ersten Golfkriege den selbstzerstörerische Clash zweier Zivilisationen ins Bild setzen, von christlicher Blutlust
erzählen, und vom Furor europäischer Fundamentalisten gegen eine überlegene multikulturelle Zivilisation.
Wer Verhoevens Filme kennt, der kann sich diese drei vorstellen in ihrer subversiven Melange aus sarkastischer Überzeichnung amerikanischer Dekadenz, aus Kritik am Militarismus, und der puren Lust am Spektakel. Und ihren Heldinnen. Spurenelemente
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Keiner hat soviel Sinn für interessante Kolportage, wie er: Verhoevens Werk ist ein bunter Strauß von Geschichten, deren Themen aus den Groschenheften der dreißiger und vierziger Jahre stammen könnten, die bei ihm aber die verspielte Gravitas eines Shakespeare-Stückes oder barocken Romans erhalten. Und die schlanke Form eines rasanten Spektakels. Verhoeven ist einer, dem Mittelmäßigkeit ein Graus ist. Zugleich hat er die Begabung, die eher beschränkten Handlungen seiner Filme hochtourig zu inszenieren, und zugleich seinen Filmen immer eine bestimmte Entspanntheit zu geben, eine Lust am Augenblick.
Selten war der Spaß so offen und ironisch, wie in Elle. Es ist nicht allein Isabelle Huppert zu verdanken, dass dieses Werk so gelassen ist: Es atmet alle Eigenschaften von Verhoevens Oevre: Voyeurismus, Fetischismus, beißende Kritik, Sex und Gewalt. Und doch ist dies der erste seiner Filme, den man auch ganz direkt als Spiegelbild verstehen sollte: Man muss sich dieses subversive Spektakel über eine Frau, die missverstanden wird, die von der puritanischen Mehrheit verfolgt wird, und die es schafft, gegen alle Widersacher und Widerstände die Spielregeln zu setzen, als ein Selbstporträt vorstellen.