67. Berlinale 2017
»We are all warriors!« |
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Sozialdrama mit heftigen Action-Elementen: Dheepan | ||
(Foto: Weltkino Filmverleih GmbH) |
Von Dunja Bialas
Der Auftakt der Berlinale findet seit letztem Jahr immer einen Tag vor offiziellem Festivalstart statt. Die Woche der Kritik, Dreh- und Angelpunkt für Filmkritiker und Diskursinteressierte, die dieses Jahr zum dritten Mal parallel zur Berlinale stattfindet, ergreift seit letztem Jahr die Gelegenheit, aus einer pole position heraus der Berlinale das entsprechende Framing zu geben. Dieses Jahr griff die »Konferenz« das Label der Berlinale auf, das »politischste der A-Festivals« zu sein und fragte: Müssen Filme politisch sein?
Dabei kann man hoffen, dass sich die Veranstaltung in umgekehrter Weise prognistizierend verhält. Bei der ersten Auftaktkonferenz wurde gefragt, weshalb der deutsche Film eigentlich keine Rolle bei internationalen Festivals spiele; das Jahr wurde geprägt durch die internationalen Erfolge von Toni Erdmann, Vor der Morgenröte, Wild. Wenn nun dieses Jahr, im Jahr 1 von Trump, gefragt wird, wieso eigentlich die politischen Filme derzeit so gute Erfolgsaussichten auf Preise haben, und Wim Wenders bereits die Forderung nach mehr politischen Filmen erhoben hatte (vor allem fordert er mehr Filme zum Thema Klimakatastrophe), kann man nun also hoffen, dass im Gegenteil wieder zu einem Kino der Cinephilie zurückgekehrt wird. Nicht aus einer Apolitisierung heraus, vielmehr, weil die kinematographischen Formen Politisierung beinhalten, wie artechock-Autor Rüdiger Suchsland, der das Podium moderierte, im Hinblick auf Godards berühmte Forderung formulierte, nicht politische Film zu machen, sondern Filme politisch.
Diskussionsgrundlage für den »politischen« Film war also der Themenfilm, der kinematographische Aspekte einer Message unterordnet und auch mal provoziert, um wachzurütteln. Wie zum Beispiel Jacques Audiards Dämonen und Wunder – Dheepan (Cannes-Gewinner 2015) der sein Sozialdrama mit heftigen Action-Elementen versieht, oder wie Gianfranco Rosis Fuocoammare (Berlinale-Gewinner 2016), der die Kamera »draufhält«: auf im Laderaum eines Schiffes verendete Flüchtlinge.
Das Podium, auf dem unter anderen die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari (Attenberg, Chevalier), die ehemalige Leiterin des Istanbul Filmfestivals Azize Tan und Alexander García Düttmann, Philosoph der Universität der Künste zu Berlin, saßen, zeigte zunächst einigen Widerstand, die Frage überhaupt zu diskutieren, brachte dann aber doch einige schöne Ideen zum Thema hervor. Düttmann hob darauf ab, dass »politisch« vor allem als das dargestellt wird, was »bereits da« sei, es also den so gemeinten Filmen nicht darum gehe, eine Vision zu entwickeln, sondern lediglich die Wirklichkeit unter bekanntem Vorzeichen abzubilden. Seine Folgerung: das politisch gemeinte Kino depolitisiere in Wahrheit, wie ein Sedativ, das nur Bekanntes hervorbringe und in dem man sich bequem einrichten könne. Tsangari fasste (im Hinblick auf die Finanzkrise und die aus ihr entwachsene Neue griechische Welle) das Politische universal auf: »We are warriors. We are fighting against all what we're supposed to do. Asking this question is wrong!« Kino sei per se politisch, aber auch das Leben und überhaupt: »Everything!«
Politisierung beginne jedenfalls dort, so Düttmann – der sich selbst im weiteren ironisch »der Philosoph« nannte, wie auch überhaupt das Podium bei aller Substanz locker und unterhaltend war –, wo eine gewisse Notwendigkeit entstehe, etwas nicht mehr toleriert werden könne. »Urgence« sei das Stichwort, »when you can’t wait.« Und als Demonstrativum trank er aus seinem Glas, um seinen nicht mehr tolerierbaren Durst zu stillen.
Aziz als ehemalige Leiterin des Istanbuler Festivals, die in der Vergangenheit mit etlichen Skandalen zu tun hatte, weil sie kurdische Filme gezeigt hatte, hielt vergleichsweise hinterm Berg. Offensichtlich hatte sie sich für den Abend eine mitteleuropäische Perspektive angeeignet, nach der das Politische vor allem als »Label« eingesetzt werde, um Filme an den Zuschauer zu bringen. Hier hätte es spannend werden können, da zum Beispiel Bakur von Cayan Demirel, der vor zwei Jahren in Istanbul zu einem Aufführungsverbot und zur Krise des Festivals geführt hatte, hart an der Propaganda vorbeischrammt und zugleich zeigt, wie politisches Kino auch Instrument sein kann – wovon die von den Organisatoren der Konferenz herangezogenen Filme wie Gianfranco Rosis Fuocoammare oder Dämonen und Wunder – Dheepan dann doch meilenweit entfernt waren. Man hätte sich auch einen Vertreter des Dokumentarfilms auf dem Podium gewünscht. Hier ist die Unverhandelbarkeit von relevanten Themen und Brisanz Agenda: Das Dokumentarfilmschaffen entwickelt sich derzeit zu einem nahezu obszönen Betroffenheitskino, auf dem das Elend der Welt zu Markte getragen wird. Das könnte doch ganz anders aussehen, wie Philip Scheffner mit seinem experimentellen Dokumentarfilm Havarie zeigt, für den er jetzt den Preis der deutschen Filmkritik erhielt.
»Wir sollten 'politisch' als Stichwort in einem sehr aufmerksamen Sinne einsetzen«, appellierte Aziz. Es solle sich organisch anfühlen, sich aus dem Film entwickeln und nicht aus Marketingstrategien den Filmen angeklebt werden. Düttmann stellte am Ende noch ein paar Begriffe in den Raum, um das Politische besser zu fassen: »urgence«, »resistance«. Danach gefragt, was für sie das Kinomachen und Filmeschauen bedeute, nannte Tsangari »transcendence« und »hope«, aus ihnen entstünde »power«, »consolation« und »Katharsis«. Düttmann stimmte zu: auf eine seltsame Art fühle man sich mit den Filmen weniger allein. Mit diesen letzten Bemerkungen wurden dann doch wieder recht privatistische Perspektiven für das Kino entworfen, die auch jenseits von Cinephilie funktionieren. Mal sehen, was das Kino dieses Jahr so hervorbringt.
Die Autorin ist im Vorstand des Verbands der deutschen Filmkritik, der das Podium mitveranstaltet hat, war bei der Organisation jedoch nicht beteiligt.