Landpartie im Fünfseenfilmland |
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Ehrengast Eva Mattes hier in Percy Adlons Céleste (1981) |
Von Ingrid Weidner
Das Fünf-Seen-Filmfestival mit Maudie zu eröffnen, war eine kluge Wahl von Festivalchef Matthias Helwig. Schon auf der diesjährigen Berlinale war die Verfilmung der rauen Lebensgeschichte von Maud Lewis (1903-1970) zu sehen, im Herbst läuft der Film im Kino an. Maud, gespielt von Sally Hawkins, leidet schon als Jugendliche an einer schweren Form von Arthritis. Nach dem Tod der Eltern verkauft ihr Bruder das Elternhaus ohne sie zu fragen und lässt ihr keine Wahl: Ohne Einkommen oder Ehemann muss sie zu ihrer zynischen, verbitterten Tante ziehen und deren Schikanen ertragen. Doch die junge Frau will sich nicht diesem Schicksal beugen und trifft eine Entscheidung: Sie nimmt das Jobangebot des kauzigen Fischers Everett (Ethan Hawke) an – ein Außenseiter wie sie – und arbeitet für ihn als Haushälterin. In der kleinen Hütte mit den zwei Räumen teilen sich die beiden fortan den Alltag. Es scheint, als habe Maud eine schlechte Wahl getroffen. Everett behandelt sie schlecht, beleidigt und schlägt sie. Doch sie sieht keine andere Chance, als irgendwie an diesem Leben festzuhalten.
Die grandiose Landschaft von Nova Scotia, der kanadischen Halbinsel an der Atlantikküste ist Schauplatz und Ereignis der Geschichte. Gerettet hat sie das Malen: Blumen, Vögel, Katzen. Sie bemalt Postkarten, Bretter, schließlich große Teile der bescheidenen Hütte. Die Bilder wirken auf den ersten Blick schlicht und naiv, doch sie strahlen eine große Posie aus. Die Postkarten und kleinformatigen Bilder verkaufen sie für einige Dollars und bessern damit das bescheidene Einkommen
auf.
Die berührende Geschichten zog das Festival-Publikum an; wegen der großen Nachfrage gab es eine Zusatzvorstellung von Maudie.
Anziehend auf das Publikum sind auch die Gäste: Regisseure und Schauspieler, die ihre Filme präsentieren und gerne Fragen dazu beantworten. Selbst für das 14-minütige Kunstvideo Parasite Island kommen anschließend Regisseur Herbert Nauderer und Schauspielerin Sibylle Canonica auf die Bühne sowie Jan de Boer, der im Video den Jungen darstellt. Nur Josef Bierbichler, neben Canonica der zweite Hauptdarsteller, winkt ab, bleibt lieber im Dunkel des Zuschauerraums sitzen und überlässt seinen Kollegen das Reden.
In diesem Jahr sind Eva Mattes und István Szabó die Ehrengäste (siehe unser Interview). Die Werkschau von Eva Mattes bringen Filme auf die Leinwand, die lange nicht mehr zu sehen waren, etwa Deutschland, bleiche Mutter (1980) von Helma Sanders-Brahms, die ihre eigene, schwierige Familiengeschichte verfilmte. Eva Mattes erzählt im Publikumsgespräch von den Anfeindungen zur Premiere und der harschen Kritik am Film. Dabei ist die Geschichte zeitlos. Ein Mutter versucht mit ihrer kleinen Tochter während des Kriegs zu überleben und anschließend wieder ins Leben zu finden. Doch für das Erlebte und Erlittene gibt es im Nachkriegsdeutschland keinen Platz; der aus dem Krieg zurückgekehrte, traumatisierte Ehemann will sie wieder auf ihr Hausfrauendasein reduzieren. Die Brutalität des Krieges setzt sich im Alltag fort.
Ganz anders dagegen Céleste (1980) von Percy Adlon. Eva Mattes spielt die verbürgte Haushälterin Céleste Albaret, die lange Jahre für den exzentrischen Schriftsteller Marcel Proust arbeitete und diese Zeit in »Monsieur Proust: Erinnerungen« niederschrieb. Der kränkliche Proust will beim Arbeiten nicht gestört werden, jedoch auf ein Klingelzeichen seinen Kaffee mit heißer Milch ans Bett gebracht haben. Die meiste Zeit wartet Céleste auf das Läuten, es passiert scheinbar nichts. Jemandem beim Stillsitzen und Warten zuzusehen, klingt öde. Doch langweilig ist der Film keine Minute. Eva Mattes erzählt anschließend im Publikumsgespräch, dass sie sich vom Regisseur viele Freiheiten in der Rollengestaltung gewünscht hatte, in der Nacht vor Drehbeginn aber doch aufwachte und überlegte, wie sie diese Rolle spielen sollte. »Also bin ich aufgestanden und habe mich zwei Stunden auf einen Stuhl gesetzt und ausprobiert.« 1982 erhielt sie für diese Rolle den Bayerischen Filmpreis.
Eva Mattes gefällt ihre Rolle als Ehrengast. Mühelos, immer charment, absolviert sie die vielen Auftritte – Film ankündigen, ein paar Sätze dazu sagen und anschließend mit dem Publikum diskutieren. »Haben Sie zur Vorbereitung Proust gelesen?«, will etwa ein Zuschauer wissen. Sie lächelt und meint: »Ich habe mir die Gesamtausgabe gekauft, sie steht immer noch ungelesen im Bücherregel«. Eigentlich bräuchte sie keine Moderatorin, die ihr höfliche Fragen stellt, denn sie erzählt, kommentiert, erinnert sich an Details und plaudert über Regisseure, komische Situationen am Set und wie ihre Karriere mit fünfzehn Jahren begann.
Auch bei der Diskussionsrunde »Filmgespräch am See« in der Politischen Akademie Tutzing sitzt Mattes auf dem Podium, als es um das Thema »Am Rand der Gesellschaft« geht. Regisseur Kai Wessel diskutiert ebenfalls mit, dessen Film Nebel im August (2016) am Sonntag Vormittag auf dem Festival lief. Angekündigt für die Podiumsdiskussion war auch Ehrengast István Szabó, doch der Regisseur zieht es vor, in der ersten Reihe des Saals Platz zu nehmen und nicht auf dem Podium.
Neu in diesem Jahr dazugekommen ist das ganz neue Breitwand-Kino in Gauting, wie alle »Breitwand«-Kinos der Region geführt von Matthias Hellwig. Die dortigen Kinosäle sind fester Bestandteil des Festivals, Starnberg als Zentrums des Filmfestivals rückt etwas ins Abseits. Anscheinend lockte das Festival auch viele neue Zuschauer nach Gauting, denn im Halbdunkel vor der Vorstellung und anschließend ist immer wieder zu hören »das ist aber ein schönes Kino« – »und so bequeme Sessel«.
Bis Samstag Nacht zeigt das Fünf-Seen-Filmfestival noch viele spannende Filme und Diskussionen mit zahlreichen Regisseuren. Eine Reise raus aufs Land und rein ins Kino lohnt sich auf jeden Fall. Am Samstag stehen noch die Abschlussfeier und viele Preise für die Kinomacher auf dem Programm. Wer auf den Glamour am »blauen Teppich« verzichten möchte, nimmt ein Bad in einem der Seen, setzt sich in der Biergarten vom Gasthof Schuster in Hochstadt und lauscht Lyrik oder genießt an einer der Open-Air-Locations wie beispielsweise am Wörthsee oder auf dem Starnberger Schlossplatz Kino pur.
11. Fünf-Seen-Film-Festival, 27.07.-05.08.2017.
Das komplette Festivalprogramm findet sich unter www.fsff.de.