03.08.2017

Land­partie im Fünf­se­en­film­land

Supermarkt
Ehrengast Eva Mattes hier in Percy Adlons Céleste (1981)

Das 11. Fünf-Seen-Filmfestival zeigt noch bis Sonntag Kino am See

Von Ingrid Weidner

Das Fünf-Seen-Film­fes­tival mit Maudie zu eröffnen, war eine kluge Wahl von Festi­val­chef Matthias Helwig. Schon auf der dies­jäh­rigen Berlinale war die Verfil­mung der rauen Lebens­ge­schichte von Maud Lewis (1903-1970) zu sehen, im Herbst läuft der Film im Kino an. Maud, gespielt von Sally Hawkins, leidet schon als Jugend­liche an einer schweren Form von Arthritis. Nach dem Tod der Eltern verkauft ihr Bruder das Eltern­haus ohne sie zu fragen und lässt ihr keine Wahl: Ohne Einkommen oder Ehemann muss sie zu ihrer zynischen, verbit­terten Tante ziehen und deren Schikanen ertragen. Doch die junge Frau will sich nicht diesem Schicksal beugen und trifft eine Entschei­dung: Sie nimmt das Joban­gebot des kauzigen Fischers Everett (Ethan Hawke) an – ein Außen­seiter wie sie – und arbeitet für ihn als Haus­häl­terin. In der kleinen Hütte mit den zwei Räumen teilen sich die beiden fortan den Alltag. Es scheint, als habe Maud eine schlechte Wahl getroffen. Everett behandelt sie schlecht, beleidigt und schlägt sie. Doch sie sieht keine andere Chance, als irgendwie an diesem Leben fest­zu­halten.

Die grandiose Land­schaft von Nova Scotia, der kana­di­schen Halbinsel an der Atlan­tik­küste ist Schau­platz und Ereignis der Geschichte. Gerettet hat sie das Malen: Blumen, Vögel, Katzen. Sie bemalt Post­karten, Bretter, schließ­lich große Teile der beschei­denen Hütte. Die Bilder wirken auf den ersten Blick schlicht und naiv, doch sie strahlen eine große Posie aus. Die Post­karten und klein­for­ma­tigen Bilder verkaufen sie für einige Dollars und bessern damit das beschei­dene Einkommen auf.
Die berüh­rende Geschichten zog das Festival-Publikum an; wegen der großen Nachfrage gab es eine Zusatz­vor­stel­lung von Maudie.

Anziehend auf das Publikum sind auch die Gäste: Regis­seure und Schau­spieler, die ihre Filme präsen­tieren und gerne Fragen dazu beant­worten. Selbst für das 14-minütige Kunst­video Parasite Island kommen anschließend Regisseur Herbert Nauderer und Schau­spie­lerin Sibylle Canonica auf die Bühne sowie Jan de Boer, der im Video den Jungen darstellt. Nur Josef Bier­bichler, neben Canonica der zweite Haupt­dar­steller, winkt ab, bleibt lieber im Dunkel des Zuschau­er­raums sitzen und überlässt seinen Kollegen das Reden.

In diesem Jahr sind Eva Mattes und István Szabó die Ehren­gäste (siehe unser Interview). Die Werkschau von Eva Mattes bringen Filme auf die Leinwand, die lange nicht mehr zu sehen waren, etwa Deutsch­land, bleiche Mutter (1980) von Helma Sanders-Brahms, die ihre eigene, schwie­rige Fami­li­en­ge­schichte verfilmte. Eva Mattes erzählt im Publi­kums­ge­spräch von den Anfein­dungen zur Premiere und der harschen Kritik am Film. Dabei ist die Geschichte zeitlos. Ein Mutter versucht mit ihrer kleinen Tochter während des Kriegs zu überleben und anschließend wieder ins Leben zu finden. Doch für das Erlebte und Erlittene gibt es im Nach­kriegs­deutsch­land keinen Platz; der aus dem Krieg zurück­ge­kehrte, trau­ma­ti­sierte Ehemann will sie wieder auf ihr Haus­frau­en­da­sein redu­zieren. Die Bruta­lität des Krieges setzt sich im Alltag fort.

Ganz anders dagegen Céleste (1980) von Percy Adlon. Eva Mattes spielt die verbürgte Haus­häl­terin Céleste Albaret, die lange Jahre für den exzen­tri­schen Schrift­steller Marcel Proust arbeitete und diese Zeit in »Monsieur Proust: Erin­ne­rungen« nieder­schrieb. Der kränk­liche Proust will beim Arbeiten nicht gestört werden, jedoch auf ein Klin­gel­zei­chen seinen Kaffee mit heißer Milch ans Bett gebracht haben. Die meiste Zeit wartet Céleste auf das Läuten, es passiert scheinbar nichts. Jemandem beim Still­sitzen und Warten zuzusehen, klingt öde. Doch lang­weilig ist der Film keine Minute. Eva Mattes erzählt anschließend im Publi­kums­ge­spräch, dass sie sich vom Regisseur viele Frei­heiten in der Rollen­ge­stal­tung gewünscht hatte, in der Nacht vor Dreh­be­ginn aber doch aufwachte und überlegte, wie sie diese Rolle spielen sollte. »Also bin ich aufge­standen und habe mich zwei Stunden auf einen Stuhl gesetzt und auspro­biert.« 1982 erhielt sie für diese Rolle den Baye­ri­schen Filmpreis.

Eva Mattes gefällt ihre Rolle als Ehrengast. Mühelos, immer charment, absol­viert sie die vielen Auftritte – Film ankün­digen, ein paar Sätze dazu sagen und anschließend mit dem Publikum disku­tieren. »Haben Sie zur Vorbe­rei­tung Proust gelesen?«, will etwa ein Zuschauer wissen. Sie lächelt und meint: »Ich habe mir die Gesamt­aus­gabe gekauft, sie steht immer noch ungelesen im Bücher­regel«. Eigent­lich bräuchte sie keine Mode­ra­torin, die ihr höfliche Fragen stellt, denn sie erzählt, kommen­tiert, erinnert sich an Details und plaudert über Regis­seure, komische Situa­tionen am Set und wie ihre Karriere mit fünfzehn Jahren begann.

Auch bei der Diskus­si­ons­runde »Film­ge­spräch am See« in der Poli­ti­schen Akademie Tutzing sitzt Mattes auf dem Podium, als es um das Thema »Am Rand der Gesell­schaft« geht. Regisseur Kai Wessel disku­tiert ebenfalls mit, dessen Film Nebel im August (2016) am Sonntag Vormittag auf dem Festival lief. Ange­kün­digt für die Podi­ums­dis­kus­sion war auch Ehrengast István Szabó, doch der Regisseur zieht es vor, in der ersten Reihe des Saals Platz zu nehmen und nicht auf dem Podium.

Neu in diesem Jahr dazu­ge­kommen ist das ganz neue Breitwand-Kino in Gauting, wie alle »Breitwand«-Kinos der Region geführt von Matthias Hellwig. Die dortigen Kinosäle sind fester Bestand­teil des Festivals, Starnberg als Zentrums des Film­fes­ti­vals rückt etwas ins Abseits. Anschei­nend lockte das Festival auch viele neue Zuschauer nach Gauting, denn im Halb­dunkel vor der Vorstel­lung und anschließend ist immer wieder zu hören »das ist aber ein schönes Kino« – »und so bequeme Sessel«.

Bis Samstag Nacht zeigt das Fünf-Seen-Film­fes­tival noch viele spannende Filme und Diskus­sionen mit zahl­rei­chen Regis­seuren. Eine Reise raus aufs Land und rein ins Kino lohnt sich auf jeden Fall. Am Samstag stehen noch die Abschluss­feier und viele Preise für die Kino­ma­cher auf dem Programm. Wer auf den Glamour am »blauen Teppich« verzichten möchte, nimmt ein Bad in einem der Seen, setzt sich in der Bier­garten vom Gasthof Schuster in Hochstadt und lauscht Lyrik oder genießt an einer der Open-Air-Locations wie beispiels­weise am Wörthsee oder auf dem Starn­berger Schloss­platz Kino pur.

11. Fünf-Seen-Film-Festival, 27.07.-05.08.2017.
Das komplette Festi­val­pro­gramm findet sich unter www.fsff.de.