»Was man nicht probiert, kann nix werden!« |
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Eva Mattes, ganz entspannt | ||
(Foto: Simon Hauck) |
Das Gespräch führte Simon Hauck in Starnberg.
Eva Mattes ist eine Ausnahmeschauspielerin. Ihr gelang der direkte Sprung vom Kinderstar zur Peter-Zadek-Schauspielerin. Parallel arbeitete sie mit den wichtigsten Autorenfilmern des neuen deutschen Films (z.B. mit Rainer Werner Fassbinder, Michael Verhoeven oder Roland Klick) und war eine Zeitlang mit Werner Herzog liiert, mit dem sie auch eine gemeinsame Tochter – Hanna Mattes – hat. Seit 1992 lebt die preisgekrönte Schauspielerin, Synchronsprecherin, Sängerin und Rezitatorin zusammen mit dem österreichischen Künstler Wolfgang Georgsdorf in Berlin-Kreuzberg. Das 11. Fünf Seen Filmfestival ehrt die gebürtige Bayerin als Ehrengast mit einer Werkschau.
artechock: Frau Mattes, Sie sind Ehrengast des diesjährigen Fünf Seen Filmfestivals. Wie kamen Sie zu dieser Ehre, und was bedeutet Ihnen dies ganz persönlich?
Eva Mattes: Es ist wirklich eine Ehre. Allein schon dadurch, dass ein Filmfestival eine sogenannte Retrospektive für mich macht, fühle ich mich sehr geehrt. Das heißt ja auch: Man hat schon einige Filme gemacht, und es lohnt sich, dass man so etwas über einen macht. Angesprochen hatte mich dazu Kurt Tywker (Vater von Regisseur Tom Tykwer und dem Filmfestival seit Jahren verbunden, Anm. d. Red.). Und zwar auf eine so überzeugende und herzliche Weise, dass ich mir gedacht habe: Ja – und ich habe auch gerade Zeit – also warum nicht? Das mache ich jetzt mal. Und Starnberg leuchtet mir auch sehr ein: Die Seen...
artechock: Sie hatten ja selbst schon von Beginn an so etwas wie einen direkten »See-Bezug«. Anstatt in München brachte Sie Ihre Mutter, die UFA-Schauspielerin Margit Symo, 1954 in Tegernsee auf die Welt...
Mattes: Warum gerade dort, weiß ich eigentlich auch gar nicht so genau. Das müssten Sie meine Mutter fragen. Es war auch nicht die Sommerfrische. Eine Zeit lang lebten meine Eltern (der österreichische Filmkomponist, Arrangeur und Dirigent Willy Mattes, der 2002 starb, war der Vater von Eva Mattes, Anm. der Red.) dann auch am Schliersee: Mit mir als Säugling. Aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern.
artechock: Aufgewachsen sind Sie in München-Laim, wo zum Beispiel auch der junge Helmut Dietl nach dem Krieg groß wurde. Haben Sie heute noch Erinnerungen an diese Zeit in Ihrer Kindheit?
Mattes: Oh ja, daran kann ich mich noch gut erinnern. Ich weiß noch genau, wie unser Kinderzimmer aussah. Ich hatte mir da eine extreme Puppenwelt eingerichtet. Mit Allem: Mit Kochgeschirr und Waschtrögen, alles natürlich in Puppengröße, und da denke ich heute noch gerne dran zurück. Bis zu meinen zehnten Lebensjahr habe ich dort gewohnt. Und danach sind wir dann nach Steinhausen gezogen. Das ist da, wo die Prinzregentenstraße endet, in der Nähe der Unterführung zum ehemaligen Flughafen München-Riem.
artechock: Zugleich haben Sie bereits als Kind sehr früh mit der Schauspiel- und Synchronarbeit begonnen...
Mattes: Ja, mit zwölf habe ich schon angefangen.
artechock: Und bis heute haben Sie – höchst erfolgreich – in mehr als 200 Produktionen mitgewirkt. Viele Ihrer Schauspielrollen sind inzwischen legendär: Egal ob als Vergewaltigungsopfer Phan Ti Mao in Michael Verhoevens Berlinale-Skandalon O.K., als Hanni Schneider in Reiner Werner Fassbinders Fernseheklat Wildwechsel, als Prostituierte Monika mit blonder Perücke in Roland Klicks Supermarkt oder als Marie in Werner Herzogs preisgekrönter Woyzeck-Verfilmung. Welche dieser allesamt gewagten Frauenrollen ist Ihnen im Rückblick besonders wichtig?
Mattes: Es sind im Grunde schon viele dieser Filme, die hier auch auf dem Fünf Seen Filmfestival laufen. Dazu hatte ich mit Kurt Tykwer und Matthias Helwig auch vorab gesprochen. Da gehört also zum Beispiel auf jeden Fall Deutschland, bleiche Mutter von Helma Sanders-Brahms dazu – oder Céleste von Percy Adlon. Aber eben auch auf jeden Fall ein Film wie Supermarkt von Roland Klick, den ich nach wie vor für einen der besten Regisseure des jungen deutschen Films halte. Stroszek und Woyzeck müssen natürlich ebenso dabei sein. Und besonders Wildwechsel hätten wir gerne wieder einmal gezeigt, aber der Herr Kroetz…: Der mag' des ned! Ich weiß nicht, warum er’s immer verhindert, ich verstehe das überhaupt nicht. Ich find’s einfach nur blöd! Das können Sie gerne auch genauso schreiben. O.K., meinen ersten Kinofilm, hätte ich hier natürlich auch sehr gerne gesehen, aber da ist es ganz ähnlich: Da will der Produzent (Rob Houwer, Anm. der Red.) eben nicht und gibt die Rechte einfach nicht raus.
artechock: Gleich für O.K. haben Sie blutjung Ihr erstes Filmband in Gold als beste Nachwuchsschauspielerin – zusammen mit Ihrer Leistung als Kathi in Reinhard Hauffs Mathias Kneissl-Adaption – gewonnen. Was haben Sie eigentlich mit all diesen Preisen gemacht? Stehen die wirklich bei Ihnen zu Hause in Berlin-Kreuzberg in einer prächtigen Vitrine, wie es Ihre Mutter immer wollte?
Mattes: Die stehen in der Tat nicht alle bei mir. Den Chaplin-Schuh zum Beispiel (gemeint ist der Deutsche Darstellerpreis, der von 1977 bis 1990 von Bundesverband Regie für herausragende schauspielerische Leistungen verliehen worden war, Anm. der Red.) hat meine Schwester bei sich. Der steht bei ihr wirklich am Fußboden, weil er so schwer ist. Den konnte ich nie mit mir mitschleppen. Meine Bundesfilmpreise, die ja vor der heutigen Lola-Figur wirklich noch in der Form von Filmbändern in Gold gestaltet waren, liegen bei mir zu Hause einfach in der Schublade. Und die letzte Lola steht wiederum bei mir auf dem Fußboden. Ich habe ihr auch noch so ein kleines, gelbes Plastikhütchen verpasst.
artechock: Und Ihre Auszeichnung aus Cannes für die Marie in Woyzeck?
Mattes: Die liegt bei mir in irgendeinem Schrank unter irgendwelchen Papieren: Das ist nur ein Dokument. Die wirkliche Goldene Palme haben Sie mir nämlich nie geschickt. Die hatten zu mir immer gesagt: Das bekommen Sie dann noch hinterher… Aber sie ist nie bei mir angekommen. So habe ich wenigstens die Urkunde. Ach, was soll’s!
artechock: Machen Sie sich generell selbst viel aus diesen Preisen? Was bedeuten sie Ihnen – und sehen Sie sich diese prämierten Filme privat auch ab und zu mal an?
Mattes: Nein, ich hole sie nicht regelmäßig raus. Das mache ich weder für mich noch für meine Familie: Die nehmen mich schon so wie ich bin. Dafür brauche ich überhaupt keine Preise! Und die Filme? Ja, im Rahmen von Festivals sehe ich sie natürlich immer wieder mal.
artechock: Der lange verschollene Mathias Kneissl wurde zum Beispiel jüngst wieder auf dem Filmfest München gezeigt im Rahmen der Hommage für Reinhard Hauff.
Mattes: Oh ja, den hätte ich wahnsinnig gerne wieder gesehen! Das war eine phantastische Drehzeit – und ein ganz wunderbares Ensemble! Da wäre ich gerne ins Filmmuseum gekommen, aber ich war gerade beim Drehen und konnte deshalb leider nicht. Es ist so schade, dass es den nicht auf DVD gibt. Und keiner weiß, ob’s ihn so überhaupt auch mal geben wird. Abgesehen davon: Zusammen im Kino ist das natürlich noch mal ein ganz anderes Erlebnis!
artechock: Frau Mattes, wenn man heute in alten Kritiken liest, fallen einem Begriffe wie „Vollblutschauspielerin“, forsche „Kindfrau“ oder das ewige „Hippie-Mädchen“ ins Auge. Sehen Sie sich darin widergespiegelt – und lesen Sie heute überhaupt noch Kritiken über sich? Welche Meinung zu Ihrer Arbeit ist Ihnen überhaupt besonders wichtig?
Mattes: Naja, ich habe eigentlich immer das gemacht, was ich will. Das heißt: Ich hatte immer das Glück, mir meine Rollen auszusuchen und auch die Leute, mit denen ich arbeite. Das war bei Peter Zadek so, bei Fassbinder war es ganz ähnlich. Mir ist heute die Meinung meiner Freunde oder der Leute, mit denen ich arbeite, wichtig. Und natürlich ist mir auch die Meinung meiner Familie sehr wichtig. Die Meinung dagegen von einem einzigen Kritiker… Zum Glück habe ich nur ganz selten wirklich schlechte Kritiken bekommen – auch im Theater. Es ist oft so: Man probiert zum Teil monatelang an einem Stück, man setzt sich wirklich damit auseinander. Und dann geht da ein Mensch rein und verreißt das Ganze mit so ein paar Worten und tut das Ganze so ab… Das finde ich ein bisschen undifferenziert. Und davon kann ich mich auch absetzen. Das ärgert mich dann zwar, weil ich mir denke: Da könnte man sich auch noch ein bisschen anders damit auseinandersetzen und vielleicht ein bisschen genauer zuschauen, ein bisschen genauer hinsehen. Ich denke mir dann auch: Vielleicht interessiert den sein Job einfach nicht mehr.
artechock: Ihre Darstellung der Klara Blum im SWR-Tatort war ebenfalls nicht unumstritten…
Mattes: Ja, auch mit der Fernsehkritik ist das so seine Sache. Ich kann mich aber ganz gut davon lösen. Für unseren „Bodensee-Tatort“ wurden wir regelmäßig in der „Süddeutschen Zeitung“ verrissen. Aber ich stehe da drüber: Das hat mir überhaupt nichts ausgemacht! Darüber musste ich wirklich jedes Mal selbst schmunzeln und dachte mir: Ja, mei! Ist halt so! Diese Kritik hat mich aber nicht getroffen oder weiter berührt. Ich war ja auch nicht mit jedem Tatort einverstanden und hätte mir manches auch noch ein bisschen anders vorgestellt, als wie es dann war. Aber ich habe immer versucht, das Beste draus zu machen. Und manche Kritiken waren ja auch sehr lustig.
artechock: Aktuell sind Sie im ZDF als Eva Lorenz in der Zieglerfilm-Heimatserie „Lena Lorenz“ zu sehen. Ganz ehrlich: Langweilen Sie sich da als gestandene Theaterschauspielerin nicht am Set?
Mattes: Ja. Aber die Berge sind sehr schön! Ich genieße es sehr, dort zu sein. Ich habe wunderbare Kollegen und in den Drehpausen unterhalten wir uns gut. Es ist ja nicht so, dass das nicht Arbeit ist. Und die so genannte Langeweile ist eben dabei: Das Warten gehört zum Beruf. Spielen tue ich zum Vergnügen, bezahlt werde ich für’s Warten.
artechock: Der Künstler Wolfgang Georgsdorf, mit dem Sie seit 1992 in Berlin leben, hat Sie einmal eine „Triebtäterin im Spiel“ genannt. Was treibt Sie heute als extrem erfahrene Schauspielerin überhaupt noch an? Und was können Sie mit dem Bonmot „Einmal Schauspieler – immer Schauspieler“ anfangen?
Mattes: Ich bin jedenfalls noch nicht am Ende. Ob ich es immer so weitermachen werde, weiß ich jetzt noch nicht. Ich lasse einfach vieles auf mich zukommen, bin aber durch meine eigenen literarisch-musikalischen Abende, die ich mache, auch selbst genügendinspiriert: Zum Beispiel im Hinblick auf das Thema Flucht. Viele, viele Menschen waren immer schon auf der Flucht und mussten ihre Heimat verlassen, weil sie nichts zu essen hatten, weil der Boden nichts hergibt, weil es Kriege, Hunger und Umweltzerstörung gibt. Und davon handeln diese Abende, die ich zusammen mit der Dirigentin Irmgard Schleier mache. Das Singen ist mir dabei ein großes Begehren! Das will ich auch noch weiter ausbauen. Ich langweile mich auch nicht.
artechock: Trotzdem berichten ebenfalls renommierte Schauspielerinnen wie Hanna Schygulla, Margit Carstensen oder Irm Hermann immer wieder davon, dass sie einfach in ihrem Alter keine spannenden Rollen mehr angeboten bekommen.
Mattes: Ich will gar nicht hofiert werden: Ich will einfach gerne tolle Rollen haben! Das liegt oft daran, dass diese Rollen einfach nicht geschrieben werden. Das ist das Problem! Ich glaube nicht, dass sich die Leute nicht trauen mich zu fragen.
artechock: Warum werden dann diese Rollen so selten geschrieben? Und liegt es nicht auch daran, dass es bei uns so wenige Intendantinnen oder Regisseurinnen gibt?
Mattes: Ich weiß es nicht. Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, woran es liegt.
artechock: Den Kontakt zu starken Frauen suchten Sie bereits in der Vergangenheit. Für das von Ihnen mitorganisierte Bochumer Friedenskonzert 1982 wollten Sie zum Beispiel Marlene Dietrich nach Deutschland zurückholen.
Mattes: Was man nicht probiert, kann nix werden! Es hätte ja sein können. Allein mit ihr zu sprechen war natürlich wunderbar: absolut großartig. Ich bin froh, dass ich damals diesen Mut hatte. Ich war natürlich furchtbar aufgeregt. Sie war ja sehr politisch! Und ist ganz bewusst aus Nazi-Deutschland weggegangen. Sie war immer engagiert, hatte zum Beispiel auch die amerikanischen Soldaten unterstützt.
artechock: In Ihren langen Probenzeiten mit Peter Zadek kam es durchaus schon mal vor, dass sie zu ihm sagten: »Du spinnst wohl! Das mache ich nicht!« Gibt es – übertragen auf Ihre Arbeit als Film- und Fernsehschauspielerin – etwas, das sie vor einer Kamera nie tun würden: Eine Art »rote Linie«?
Mattes: Das kann ich so pauschal nicht sagen. Es kommt immer drauf an. Das liegt wiederum oft an den Büchern, die geschrieben werden, oder an den Regisseuren und Regisseurinnen. Es hat in erster Linie damit zu tun, was man gemeinsam erzählen will. Und da kann ich mir eigentlich alles vorstellen! Aber auch, dass es Dinge gibt, die ich ablehnen würde. Das ist von Fall zu Fall sicherlich anders.
artechock: Gibt es denn abschließend ein Lieblingsprojekt, das Sie gerne noch realisieren möchten? Oder eine Rolle, die Sie nach all den Jahrzehnten unbedingt noch spielen wollen?
Mattes: Nein, das gibt es so eigentlich nicht. Das erfülle ich mir in gewisser Weise mit meinen musikalisch-literarischen Abenden. Genauso mit den Lesungen: Denn ich lese auch wirklich gerne! Das macht mir großen Spaß und da habe ich immer wieder große Lust drauf, weil ich einfach auch sehr lange an meiner Stimme gearbeitet habe. Das begann schon ziemlich früh durch meine Synchronisationsarbeit, wo ich hauptsächlich Jungs synchronisiert habe: Bei „Lassie“ zum Beispiel oder auch bei „Pippi Langstrumpf“. Und weil ich auch nie auf einer Schauspielschule war, habe ich mir das Ganze im Prinzip in der Praxis durch meine Zeit am Hamburger Schauspielhaus mehr und mehr erarbeitet, ja: erobert! Irgendwann habe ich dann auch Gesangsstunden genommen – und dadurch habe ich meine jetzige Stimme entwickelt. Und dieses flüssige Lesen, das auch gar nicht so einfach ist, habe ich im Grunde auch dadurch gelernt, dass ich meinen Kindern so viel vorgelesen habe. In ein Buch einzutauchen, wie zum Beispiel in die Welt von Jane Austen, das ist für mich eigentlich genau wie Theaterspielen, obwohl ich meinen Körper beim Lesen überhaupt nicht bewegen darf, weil ich vor dem Mikrofon ganz ruhig bleiben muss. Das fordert mich!