Die Frau, die nicht stillsitzen wollte |
||
Fahrstuhl zum Schafott : Eine ihrer größten Rollen hatte Jeanne Moreau im Film von Louis Malle |
Eine hypnotische Erscheinung: Strahlend, auch wenn sie nicht lächelte, das Gesicht dominiert vom starken Kinn, das immer ein wenig nach vorn geschoben wirkte, dazu die berühmten Mundwinkel, die Verachtung ebenso ausdrücken konnten wie Ironie. Egal, wo man sie sah und traf, stand Jeanne Moreau im Zentrum. Noch hoch in ihren 80ern drehte sie Filme, allein 2012 waren es vier, noch mit weit über 70 Jahren reiste sie durch die Welt, um hier einen Ehrenpreis entgegenzunehmen, dort eine Retrospektive ihrer Filme zu eröffnen und ein paar Tage lang Interviews zu geben.
Auch von uns ließ sie sich zweimal interviewen – zuletzt vor elf Jahren, als Die Zeit die bleibt, ihr Film mit François Ozon ins deutsche Kino kam. In dem geht es um den Umgang eines jungen Mannes mit dem Sterben. Sehr freimütig sprach Moreau über den eigenen Tod: »Sterben kann man jeden Tag«, meinte sie, die Frage nach dem Tod habe nichts mit dem Alter zu tun. Aber »Das Leben ist ein großer Schatz.«
Selbstbewusstsein und Gelassenheit, auch Experimentierfreude zeichneten sie aus. Die Grundlage zu diesen Eigenschaften legte eine glückliche Kindheit: 1928 geboren, als Tochter eines Franzosen und einer Britin, wuchs die Moreau im französischen Zentralmassiv auf – inmitten einer wilden Natur. Später erzählte sie gern vom Barfußlaufen im Gebirge, von Übernachtungen im Wald, vom Unterschied zwischen Schlangen und Vipern. Einiges von dieser Wildheit brachte sie nach
Paris mit, wohin sie schon während der Zeit der deutschen Besatzung, also mit dreizehn, vierzehn ausriss und wohin sie Ende der 40er Jahre endgültig zog. Dort begann sie am Theater, lernte Cocteau kennen, wurde mit zwanzig das bis dato jüngste Mitglied der Comedie Française, auch dies ein Ausweis der frühen Perfektion ihrer Kunst.
Es dauerte nicht lang, da wurde sie fürs Kino entdeckt. Von Anfang an spielte Jeanne Moreau in der ersten Garde des französischen Kinos, zuerst für
klassische, am Theater orientierte Filme, bald aber im Kino des neuen Aufbruchs, aus dem die »Nouvelle Vague« wurde. Sie war ein neuer Frauentyp mit ihrer Auzsstrahlung, die unorthodoxe Schönheit und Intelligenz verreinte.
Bei Jacques Becker war sie an der Seite von Jean Gabin in dem großen Gangsterfilm Touchez pas au grisbi zu sehen, dann in zwei Klassikern des jungen Louis Malle: Fahrstuhl zum Schafott (1957) und Die Liebenden (1958). Es folgten ihre ersten Auftritte bei François Truffaut, die sie unsterblich werden ließen: Sie küßten und sie schlugen ihn und Jules und Jim. Aber auch wenn sie dann nochmal für Truffaut und noch zweimal für Malle – bezeichnenderweise nur einmal in einer Nebenrolle für Godard –, vor der Kamera stand, wenn sie zu einer der Musen der Nouvelle Vague wurde, war Jeanne Moreau nicht der Typ, der sich auf dem Erreichten oder irgrendwelchen Lorbeern ausruhte. Sie konnte und wollte nicht stillsitzen. Und auch wenn sie in Frankreich wohnen blieb, hatte die Moreau schon sehr jung Lust, zu experimentieren: In La notte spielte sie bei Antonioni, in Tagebuch einer Kammerzofe bei Luis Buñuel, in Der Prozeß bei Orson Welles – bei dreien der größten Regisseure des Kinos.
In den 70ern dann ging sie für ein paar Jahre nach Amerika – ausgerechnet mit William Friedkin war sie, die alle möglichen Anträge abgelehnt hatte, eine Weile verheiratet, auch das einer der vielen rätselhaften Episoden in diesem Leben.
Später waren es dann weniger interessante Filme – auch eine Jeanne Moreau musste mit den Beständen rechnen, dem Alter Tribut zollen und der um sich greifenden Ödnis, der Ratlosigkeit des Autorenfilms. Querelle immerhin passte durch den Bezug zu Genet. Auftritte bei Wenders und Angelopoulos waren achtbar, blieben aber im Vergleich marginal und konnten ihrer Aura doch nichts anhaben.
Aber sie blieb immer neugierig, hatte Spaß daran, Jeanne Moreau zu sein, und ihr Esprit flackerte immer wieder auf. So spielte sie bei Luc Besson und eben bei François Ozon – zwei Vertreter ganz anderer Generationen, Post-Nouvelle-Vague.
Die Moreau faszinierte ihre Regisseure auch als Männer – mit nicht wenigen soll sie Verhältnisse gehabt haben, neben den »offiziellen« mit Louis Malle und Lee Marvin (!). Zugleich war ihre Wirkung immer ambivalent: Der Charme könnte im Nu in eisige Kälte umschlagen, und ihr auch sexuelles Selbstbewusstsein schüchterte genau so ein, wie es faszinierte.
Auch deshalb hat man sie gern als »Femme fatale« bezeichnet – was sie selbst nicht besonders schätzte, schon weil es vom Blick der Männer dominiert war. Tatsächlich ging des ihr mehr auf Freiheit und Gleichberechtigung. Und wenn es eine Kontinuität im Werk dieser Charakterdarstellerin gab, dann dies: Dass sie immer, schon als ganz junge Anfängerin, eine ausgewachsene Frau war, nie ein Mädchen, nie ganz unschuldig, nie passiv. Und dass sie zugleich, bis ins hohe Alter, verführerisch blieb, einen Hauch von Laszivität aussstrahlte – Jeanne Moreau war nie eine »nette Oma«.
Eine ihrer schönsten Rollen fängt diese grundsätzliche Ambivalenz ein: In Die blonde Sünderin spielt sie für Jacques Demy eine Spielsüchtige. Wasserstoffblond im weißen Sportwagen, strahlte sie, wenn sie gewonnen hat, heller als die Sonne und wenn sie verlor, sah sie aus wie eine uralte Geisterfrau.
Es ist dieses Schillern zwischen zwei Seiten, über deren Verbindung man nie ganz klar,
das man nie komplett durchschaut, und das deswegen immer ein Rätsel bleibt, das man erforschen möchte, mit dem Jeanne Moreau noch lange im Gedächtnis bleiben wird.