»Touchez ma baguette, Madame!« |
![]() |
Von Dunja Bialas
Jetzt ist er also da. Der Gegen-Diskurs der Frauen. Ich sage bewusst nicht feministischer Gegen-Diskurs, denn was die »Catherines« (Federico Sanchez) Frankreichs Anfang Januar in einem Gastbeitrag in »Le Monde« schrieben, gehorcht der Regel, dass die stärksten Feinde des Feminismus immer auch die Frauen selbst waren, wie die Geschichte der Frauenbewegung lehrt. Was umso stärker wirkt, als hier mit der gleichen Betroffenheit argumentiert wird: hier wie dort sprechen Frauen in ihrer Angelegenheit.
Die Verfasserinnen des Artikels, der in Frankreich nun als »tribune«, Debattenbeitrag, diskutiert wird, formulieren ein Festhalten an den Geschlechterstereotypen: Hier die Frauen, die selbst verführen und ihrerseits umworben werden wollen, dort die Männer, die letzteres gefälligst auch zu tun haben. Die »liberté d’importuner«, so der Titel des Beitrags, wird ja nicht als passives Freiheitsrecht eingefordert (da müsste dann stehen: »être importunées«, »belästigt werden«), sondern als Aktivum, das interessanterweise die Position der Männer einnimmt. Die Verfasserinnen möchten das ja keinesfalls sein: passiv, Objekt – oder gar Opfer.
Mein Kollege Rüdiger Suchsland begrüßte den Text der »Catherines« – und, ja, dies hier ist erneut eine, wie mir scheint, notwendige Replik. Vor allem prangert er auch die »Gedankenpolizei« der Feministinnen an (wo auf der Gegenseite ein »Das wird man doch wohl noch sagen dürfen« mitschwingt). Allein schon die jeweils angebotenen Übersetzungen des im Deutschen schwer zu fassenden Verbs »importuner« – »aufdringlich sein«, »lästig werden« oder »belästigen« – sind symptomatisch. Der »Petit Larousse« bietet als Definition an: »causer du désagrément, gêner, incommoder, ennuyer«, also jemandem Unannehmlichkeiten bereiten, stören, nerven. Das »Reservo Dictionnaire« ruft online noch die Redeweise auf: »importuner en bavardant« (»beim Plaudern«), die es synonym setzt zu: »tenir la jambe«. Zu deutsch etwa: »jemanden aufhalten«. Wörtlich: »das Bein halten«. Womit wir auch schon beim »Knie« wären, das die »Catherines« auch weiterhin unterm Tisch von ihrem Gesprächspartner berührt haben wollen. »Importuner« ist also ein ausgewiesenes Verb der Anmache. So viel steht fest.
Wenn ich an meine Zeit in Paris zurückdenke, erscheint die Stadt wie das Paradies der Importunisten. Ich habe Kilometer zurückgelegt, um die mich wie lästige Fliegen begleitenden Anquatscher abzuschütteln (später, als ich besser Französisch konnte, machte ich die Erfahrung, dass idiomatische Kraftausdrücke mehr Wirkung zeigen). Kaum ein Supermarkt-Einkauf verlief ohne ein aufforderndes »Bonjour«. Zurück in Deutschland ging ich wieder unbeachtet einkaufen und dachte, meine Attraktivität sei jetzt wohl perdu. T., Leiterin des frankophonen Verlags Le Serpent à Plumes, bei dem ich damals ein Praktikum machte, also eine Frau des intellektuellen Paris und darin den Unterzeichnerinnen des »Le Monde«-Artikels ebenbürtig, zeigte sich bei ihrer Rückkehr von der Frankfurter Buchmesse empört über die deutschen Männer. Sie sähen durch einen hindurch, wenn man mit ihnen spricht, sie würden einen überhaupt nicht als Frau wahrnehmen! »C'est hallucinant!« Unter uns nannten wir sie respektvoll »la reine en sabots«, die Königin in Holzschuhen, weil man ihren hochhackigen Gang schon von weitem vernehmen konnte. Sie war eine Frau hochprozentiger Weiblichkeit.
Geht es nun darum, dass hochprozentige, exzessiv-hedonistische Frauen antreten gegen eher reduziert weibliche, lustfeindliche, am Ende »frigide« oder gar, wie es bei den »Catherines« heißt, »männerhassende« Frauen? Unter den fünf Verfasserinnen des Textes sind drei mir bislang unbekannte Autorinnen: die Sexualpsychologin Sarah Chiche, die Anti-Feministin oder »Evofeministin« (Feminismus unter evolutionären Aspekten) Peggy Sastre (Publikation: »Ex-Utero, pour en finir avec le féminisme«) und die aus dem Iran stammende Abnousse Shalmani, die sich mit »Pourquoi je ne suis plus féministe« (»Warum ich keine Feministin mehr bin«) gegen die blinden Stellen des islamischen Feminismus wandte, der den Wunsch, den Schleier abzulegen, als islamophob einordnet. Prominent sind die anderen beiden Verfasserinnen, die »Catherines«: Die Schriftstellerin Catherine Millet gab mit ihrem vielbeachteten und vieldiskutierten autobiographisch-philosophischen Bekenntnisroman »La Vie sexuelle de Catherine M.« (»Das sexuelle Leben der Catherine M.«) 2002 freizügig Einblick in ihre »éducation sexuelle«, und Catherine Robbe-Grillet, Witwe des Nouveau-Roman-Autors Alain Robbe-Grillet, drehte mit diesem viele trashige Erotikfantasien, in denen es meist um sadomasochistischen Sex und das Opfern einer Jungfrau im weißen, durchscheinenden Nachthemd geht. Die gerne in einem Atemzug mit den Verfasserinnen genannte Catherine Deneuve ist übrigens nur eine der über hundert Unterzeichnenden.
Die Verfasserinnen sind, das verrät die jeweilige Biographie, auf offensive Weiblichkeit aus und wenden sich dezidiert gegen die Traditionen und Themen des Feminismus. Diese Einordnung fehlt sowohl bei den Gegnern als auch bei den Befürwortern des Textes. Er wird vielmehr als repräsentativ für »die« Frauen Frankreichs wahrgenommen (»die« Deneuve als Nationaldenkmal ist daran wohl nicht ganz unschuldig). Andernorts, bei den französischen Fürsprecherinnen der #Metoo-Bewegung, wird jedoch betont, man könne durchaus zwischen Privatheit und Öffentlichkeit unterscheiden, und gerade deshalb sei die #Metoo-Solidarität ein wichtiges bewusstseingebendes und darin auch gesellschafts-evolutionäres Politikum.
Genau dies, die Weiterentwicklung der Gesellschaft oder die »Um-Ordnungen der Geschlechter« (Claudia Opitz), scheinen die Verfasserinnen trotz Evofeminismus jedoch abzulehnen. Im Gegenteil halten sie eine Tradition hoch, die als Kulturgut in Frankreich eingeschrieben ist. Die Kunst zu gefallen und zu verführen, der »libertinage« als sexuelle Freizügigkeit, das alles gab es bereits in der höfischen Gesellschaft unter dem angeödeten, weil funktionslos gewordenen Adel von Versailles. Allenthalben wird für diese Zeit (und für herausgehobene Schichten) ein gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis festgestellt, in dem die Frauen stilgebend (die Mode der Männer effeminierte sich zusehends), aber auch intellektuell äußerst einflussreich waren. Die »Salonnières«, die Gastgeberinnen der intellektuellen Salons des 17. und 18. Jahrhunderts, Vorzimmer der Académie Française, versammelten Künstler, Schriftsteller und Philosophen und gaben die Diskurs-Impulse. Sie waren Akteurinnen der Veränderung und Wegbereiterinnen für die Konzepte von Gleichheit, Demokratie und Freiheit. Eine relative Gender-Ausgeglichenheit also, die mit der französischen Revolution einkassiert wurde. Als sich dann eine Bewegung formierte, die daran erinnerte, dass die Menschenrechte auch Frauenrechte sind, kam Napoleon und machte alles kaputt.
Dass es in den Salons auch körperlich zuging, kann in Philipp Bloms »Böse Philosophen« nachgelesen werden. Ausschweifend wurde es im Adel, der die Kunst der Verführung zur Höchstform brachte, wie der 1782 veröffentlichte Briefroman »Les Liaisons dangereuses« (»Gefährliche Liebschaften«) suggeriert. Die Galanterie, die die »tribune«-Verfasserinnen so hochhalten, ist ein Überbleibsel aus dieser Zeit. Die salonfähige wie die hoffähige Erotik sind der kulturelle Hintergrund, wenn der »Verteidigung der Anmache« ein Katalog von »harmlosen« Verhaltensweisen subsumiert wird: »toucher un genou, tenter de voler un baiser, parler des choses 'intimes' lors d’un dîner professionnel« (ein Knie berühren, einen Kuss erheischen, von intimen Dingen beim Geschäftsessen sprechen).
Kurioserweise lassen es sich die Verfasserinnnen aber nicht nehmen, auch den geradezu folkloristischen »frotteur dans le métro« (also einer, der in der überfüllten Metro auf Tuchfühlung geht) zu verteidigen. Dieser ist bemitleidenswert und kaum gemeint, wenn #Metoo die sexuelle Machtausübung über Frauen im beruflichen Kontext anprangert. Regelrecht dämlich mutet ein letzter Satz der Verfasserinnen an: »Car nous ne sommes pas réductibles à notre corps. Notre liberté intérieure est inviolable.« »Wir sind nicht auf unseren Körper reduzierbar. Unsere innere Freiheit ist unverletztlich«, so könnte man übersetzen. In »inviolable« steckt aber auch »le viol«, »Vergewaltigung«. Also: Unsere innere Freiheit kann nicht vergewaltigt werden. Im Maße, wie die innere Freiheit hier gegen den (unfreien? beschädigten?) Körper ausgespielt wird, ist dies eine höchst bedenkliche Satzfolge.
Anti-Feministinnen begleiten die Frauenbewegung schon, seit es sie gibt. Man sollte daher den Artikel der »Catherines«, auch wenn er jetzt breite Rezeption erfährt, nicht überbewerten. Er kommt aus einer klar besetzten Nische. Um wirklich eine repräsentative Stimme aus Frankreich darzustellen, fehlen hier Unterzeichnerinnen wie zum Beispiel Isabelle Huppert, Juliette Binoche, Agnès Varda, Claire Denis oder Virginie Despentes. Die Liste ist lang.
Die Verfechter und Verfechterinnen des gepflegten Flirts, des One-Night-Stands, der »friends with benefits« und von mir aus auch der Besenkammer und des Betriebsunfalls sollten aufhören, absichtlich #Metoo und die daraus resultierende neue feministische Bewegung misszuverstehen und zu diffamieren. Andererseits geht es hier auch nicht nur um einen Generationenkonflikt, wie in Frankreich diskutiert wird. Und schon gar nicht geht es um das Duell einer männerhassenden Schwanz-ab- gegen eine sexbejahende Der-Schwanz-bleibt-dran-Bewegung. Durchaus spielen aber Kastrationsängste der Gesellschaft in die Diskussion hinein und die grundlegende Frage, wie sich auch Männlichkeit im Zuge der Geschlechterumordnungen verändern wird. Den »Catherines« und ihrer Befürchtung, von den Männern zu sehr in Ruhe gelassen zu werden, sei entgegnet: Ihr müsst mehr fordern! Denn erst, wenn die Frauen und Männer gleichermaßen grapschen und anquatschen können, hat sich die »liberté d’importuner« erfüllt. Und dann darf, ja muss es heißen: »Touchez ma baguette, Madame!« Denn auch der Mann hat ein Recht darauf, begrapscht zu werden. N’est-ce pas?