Cinema Moralia – Folge 169
»Wir sind nicht auf unsere Körper reduzierbar« |
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Immer noch auf kommerzieller Siegesfahrt: Das Boot | ||
(Foto: Constantin) |
»Es hält sich das Gerücht über Frankreich, dass man dort mehr vom guten Leben versteht als anderswo und ganz speziell, wenn es um Liebe geht oder um Verführung. Verführung ist ein Wort, das im Alltag hierzulande eigentlich kaum mehr gebraucht wird.«
Thomas Pany, telepolis vom 9.1.18»Die Freiheit, die ich meine, kommt nicht von alleine.«
Graffiti, um ‘68
Catherine Deneuve, das wissen regelmäßige Leser dieses Blogs, war mir schon immer hochsympathisch. Nicht nur eine großartige Darstellerin, sondern auch humorvoll und intelligent, beweist sie seit Jahrzehnten, dass sie zu vielem etwas zu sagen hat und dabei immer zu unabhängigen Urteilen in der Lage ist.
Einmal mehr gelingt ihr das jetzt: Als prominentester Kopf unter 100 französischen Frauen hat die Deneuve in »Le Monde« einen offenen Brief veröffentlicht, in dem die Damen gegen Tugendterror, moralischen Puritanismus und die neue Mode des Denunzierens – vgl. der »Fall« Dieter Wedels vorherige Woche in der »Zeit« – im Gefolge von Weinsteins Entlarvung ins Feld ziehen. Im Brief ist treffend von
»Hexenjagd«, »grenzenlosen Säuberungswellen«, von »Feministinnen-Furor« und von »Zensur« die Rede.
Auch eine deutsche Schauspielerin und Sängerin hat den Brief unterzeichnet: Die Fassbinder-Gefährtin Ingrid Caven. Weitere Unterzeichnerinnen sind die Schriftstellerin Catherine Millet, die Journalistin Elisabeth Lévy, die Feministin Peggy Sastre, die Präsidentin der ETHIC-Bewegung Sophie de Menthon, die Radio-Moderatorin Brigitte Lahaie, die Psychologin und Psychoanalytikerin Sarah Chiche, die Schrftstellerin und Journalistin Abnousse Shalmani.
Die Unterzeichnerinnen beklagen »ein totalitäres Klima«, in dem Verbrechen wie Vergewaltigung mit Verhaltensweisen in einen Topf geworfen werden, die noch nicht einmal allen Menschen als geschmacklos erscheinen.
»Insistierendes Flirten ist kein Verbrechen, Galanterie ist keine chauvinistische Aggression. ... Als Frauen erkennen wir uns in dem Feminismus nicht wieder, der über die Anprangerung des Machtmissbrauchs hinaus, das Gesicht eines Hasses der Männer und der Sexualität annimmt. Wir denken, dass die Freiheit, 'nein' zu einem sexuellen Angebot zu sagen, nicht funktioniert ohne die Freiheit, jemandem lästig zu fallen. Wir betrachten die Sache so: Man muss wissen, wie man auf diese Freiheit, jemandem lästig zu fallen, antwortet oder reagiert, ohne dass man sich in die Rolle einer Beute oder eines Opfers verpuppt.«
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Wer den Unterzeichnerinnen nun vorwirft, sie würden Vergewaltigung relativieren oder gar verteidigen, der überliest bewusst den – bewusst gewählten – Anfangssatz: »Vergewaltigung ist ein Verbrechen.« Alles andere aber, alles was keine Straftat ist, sollte auch nicht gesellschaftlich geächtet werden, sondern Privatsache bleiben.
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In seiner prinzipiellen und philosophischen Argumentation ist der Inhalt des Briefs großartig: Die entscheidende Passage lautet: »Zufälle, die den Körper einer Frau verletzen, müssen nicht notwendig auch ihre Würde verletzen. Sie müssen nicht, so hart sie auch sein mögen, dazu führen, dass sie ein ewiges Opfer wird. … Denn wir sind nicht auf unsere Körper reduzierbar. Unsere innere Freiheit ist unverletzlich. Und diese Freiheit, die wir feiern, gibt es nicht ohne Risiken und Verantwortungen.«
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»Was mich stört, ist dieses plötzliche Kesseltreiben im Netz«, ergänzt die französische Autorin Catherine Millet im Interview in der SZ. »Nicht alle Männer, die sich mal daneben benommen haben, sind Vergewaltiger oder Besessene«. Die Debatte führe zu einer öffentlichen Verurteilung von Männern, ohne dass sich diese gegen die Anschuldigungen wehren könnten. »Wir genießen heute sexuelle Freiheit. Die beinhaltet Gesten und Signale, die unangenehm sein können.« Und weiter: »Viele der Frauen, die sich zu Wort melden, hängen einem veralteten Feminismus an. Diese Feministinnen, die die Frauen als Beute in den Fängen der männlichen Raubtiere bezeichnen, arbeiten mit überkommenen Zerrbildern.«
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Bemerkenswert sind auch die unterschiedlichen Akzente, wie nun über den Brief berichtet wird. Die Überschrift lautet wörtlich »Wir verteidigen die Freiheit, aufdringlich zu sein.« In der deutschen Berichterstattung wird daraus: »Deneuve fordert die Freiheit, zu belästigen.« Die Amerikaner haben andere Sorgen: »Deneuve and others denounce the #MeToo-Movement« heißt es in der New York Times.
In Deutschland nennt man dann die Unterzeichnerin Brigitte Lahaie und setzt immer hinzu, dass diese ja »Pornodarstellerin« sei. Nun hat sie auch Bücher geschrieben und in Nichtpornos mitgespielt, aber »Pornodarstellerin« klingt natürlich besser. Dass bei den zahlreichen Me-Too-Wortmeldungen je dazugeschrieben wird, in was für schlechten Filmen sie zum Beispiel mitgespielt haben, ist mir noch nie aufgefallen.
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»Deneuve setzt auf die falsche Freiheit« – so fährt im »Deutschlandfunk Kultur« Barbara Kostolnik den 100 Frauen über den Mund und behauptet: »Was die 100 Frauen komplett ignorieren, ist, dass es bei Kampagnen wie #MeToo eben nicht um Sexualität, also um Anmache, Flirt oder Galanterie geht, sondern
schlicht um Macht und den Missbrauch dieser Macht von Mächtigen – meist Männern – gegenüber Abhängigen, Ohnmächtigen – meist Frauen.«
Die Autorin will sich gar nicht mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass hier nun auch Männer zum Opfer werden können – Opfer einer Kampagne, die über das Ziel hinausschießt.
Die Autorin schadet mit dieser Argumentation nicht zuletzt dem Anliegen der Frauen, die sich in den letzten Wochen zu Wort gemeldet haben. Denn einer der wichtigsten Grundsätze der Me-Too-Kampagne lautet: »Glaubt den Frauen.« Hört ihnen zu, lasst sie ausreden, nehmt erst einmal an, dass das, was sie erzählen, zutrifft. Genau diesen Grundsatz durchbrechen nun – einige Frauen selber, die es nicht ertragen können, dass nicht alle ihre Ansichten teilen, und die ihnen jetzt gern Anweisungen erteilen möchten, was man sagen darf und worüber man schweigen solle. Wer das nicht tut, ist eine Verräterin.
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Bahn frei für die Gedankenpolizei! Wer von der »falschen Freiheit« redet, die weiß offenbar sehr genau, was die richtige Freiheit ist. Nun ist es mit der Freiheit aber so eine Sache.
Es gibt keine falsche und keine richtige Freiheit, es gibt nur Freiheit und Unfreiheit. Es gibt Einschränkungen der Freiheit, die legitim sind. Die allermeisten sind aber illegitim, wenn man in einer offenen Gesellschaft lebt, in der jeder nach seiner Façon frei sein und leben darf. Und genau über
solche Legitimität debattieren wir alle.
Aber auf Gedankenpolizistinnen, die einem vorschreiben wollen, was wir zu denken haben, können wir verzichten.
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Die derzeitige Hexenjagd-Stimmung im Gefolge von »Me Too« treibt weiterhin seltsame Blüten. In Los Angeles wurden Poster plakatiert, auf denen das Gesicht von Meryl Streep zu sehen ist, neben einem halb zu sehenden Harvey Weinstein und dazu über ihren Augen die Schlagzeile: »She knew.«
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Auch Meryl Streep bringt einen anderen Akzent in die Debatte: »Ich möchte über das Schweigen von Melania Trump reden«, sagte Streep.
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And now to something completely different. Jost Vacano, der Chefkameramann von Wolfgang Petersens zum Klassiker gereiften Film Das Boot, bekommt nach jahrelangem Rechtsstreit laut einem Urteil des Oberlandesgerichts München knapp 600. 000 Euro Honorar-Nachzahlung einschließlich Zinsen. Zudem stehe Vacano eine prozentuale Beteiligung an weiteren Erlösen zu, entschied das Gericht kurz vor Weihnachten. Für künftige Fernseh-Ausstrahlungen könne er eine Vergütung verlangen.
Vacano hatte bei der Produktion des Spielfilms im Jahr 1981 ein Honorar von rund 100 .000 Euro erhalten. Er hielt dies für nicht ausreichend und forderte einen angemessenen Anteil an den Erlösen der Film-Vermarktung. In seiner Klage berief er sich auf den Fairnessparagrafen im deutschen Urheberrecht: Die Produktionsfirma Bavaria Film, der Westdeutsche Rundfunk (WDR) und die »E. V.M.« GmbH, die den Film auf Video und DVD verbreitet, hätten mit dem Film derart hohe Einnahmen erzielt, dass ein auffälliges Missverhältnis entstanden sei.
Der größte Gewinn des Urteils ist aber, dass die Lizenzinhaber und Leistungsschutzrechteinhaber vom Gericht gezwungen wurden, über ihre Einnahmen und Verdienste öffentlich Rechenschaft zu geben. Das Ergebnis: Der Film hatte der Bavaria alleine mit ihrer »Filmtour« in Grünwald zwischen 1995 bis 2013 über 40 Millionen Euro eingespielt. Sende- und Aufführungslizenzen nicht mitgerechnet.
Hieran gemessen ist die Summe der Nachvergütung mit etwa einem Prozent extrem gering. Die
jetzige Summe setzt sich aus 162. 000 Euro von der Bavaria, 90. 000 vom WDR, 186. 000 von E.V.M. zusammen, plus rund 150. 000 Euro an Zinsen.
Ebenso wichtig dürfte für alle potentiellen Kläger die Feststellung des Gerichts sein, dass Vacano auch zukünftig angemessen an den Erlösen beteiligt werden muss: Was die Bavaria und die Videofirma angeht, so müssen sie halbjährlich ihre Erlöse abrechnen und ihm davon 2,25 Prozent ausbezahlen. Der WDR ist für jede Wiederholung des Films mit 20 Prozent der Erstvergütung dabei. Das Ganze gilt für die gesamte Dauer des Urheber-Schutzes, also 70 Jahre nach Vacanos Tod.
Das Urteil ist das erste bundesweit, in dem einem Kameramann eine Nachvergütung zugesprochen wird. Vacanos Kollegen können sich nun darauf berufen, müssten aber jeweils eigens klagen – solange, bis die Unternehmen ihre Nachvergütungsregeln an die Rechtssprechung angleichen. Das Oberlandesgericht hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) nicht zugelassen.
(to be continued)