04.04.2019

»There’s no such things as ghosts«

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Die Filmemacherin als Sherlock Holmes: Maya McKechneay und das Wiener Sühnhaus

Die 19. Architekturfilmtage in München begeben sich auf die Spuren der Spukschlösser unserer Zeit

Von Dunja Bialas

»Baukunst und Film – Aus der Geschichte des Sehens« nannte der Film­kri­tiker und Kino­theo­re­tiker Helmut Färber 1977 sein Buch, in dem er Grund­le­gendes über den Zusam­men­hang von Archi­tektur und Film formu­lierte. Vor allem der Reprä­sen­ta­ti­ons­ge­danke, der in der Baukunst mitschwingt, gibt ihm die Brücke zum Film, wo sich die Wirk­lich­keit umwandelt »in Bilder, die Wirk­lich­keit sugge­rieren, von Bildern in Begriffe, von Begriffen in Signale«. Auch ein Film ist etwas Konstru­iertes, mit einem Fundament, mit Seitenein- und –ausgängen, mit einem Dach­ge­schoß und viel­leicht sogar einer schwin­del­erre­genden Wendel­treppe wie in Hitch­cocks Vertigo, die allein schon den ganzen Film enthält.

Unbe­streitbar also ist die Affinität des Films zur Archi­tektur. Der Münchner Film­his­to­riker Klaus Volkmer widmet diesem Zusam­men­hang seit 19 Jahren mit den »Archi­tek­tur­film­tagen« eine eigene Reihe im Film­mu­seum München. Hierbei geht es freilich nur noch am Rande um diese Grundsatz-Über­le­gungen; im Zentrum des Programms stehen konkrete Filme und konkrete Bauten, von real exis­tie­renden Archi­tekten. Und doch enthält die Film­aus­wahl immer auch den beson­deren filmi­schen Blick auf die Archi­tektur. Mit anderen Worten: Wie lässt sich Archi­tektur verfilmen? Und welche Geschichten lassen sich über Häuser erzählen?

Die großen Baumeister: Renzo Piano, Toyo Ito, Le Corbusier

Den Auftakt der Reihe macht der jetzt im Kino startende Doku­men­tar­film des Bewahrers spani­scher Kultur: Carlos Saura. Renzo Piano – Architekt des Lichts eröffnet die Archi­tek­tur­film­tage mit einem klas­si­schen Doku-Portrait über das Centro Botín, das der italie­ni­sche Baumeister (u.a. Centre Pompidou, leider auch Potsdamer Platz), an der Ufer­pro­me­nade des baski­schen Santander errichtet hat. Mit großer Geste führt Saura dessen Bauten auf die Höhlen­ma­lerei in Altamira zurück und lässt viele Kollegen zu Wort kommen. Das ist mindes­tens gewagt, aber immerhin, das Wortspiel sei mir verziehen, erbaulich. (Donnerstag, 4.4., 19 Uhr)

Filmisch anspre­chender ist bereits der mexi­ka­ni­sche Sin Manual (zu deutsch verfüh­re­risch trocken: »Ohne Gebrauchs­an­wei­sung«) über den japa­ni­schen Archi­tekten Toyo Ito. Der heute 77-Jährige hat Gebäude wie die Tachung Opera in Taiwan oder den Tower of Winds in Yokohama entworfen. Die Doku­men­ta­tion zeigt die mit weichen Formen spie­lenden Gebäude, während Ito seine Philo­so­phie des Entwer­fens erläutert. Der Film hat eine zen-buddhis­ti­sche Anmutung, das Pure seiner Bilder und der Musik von Juan Morales spiegelt die klare und erhabene Archi­tektur des Urhebers wider, die immer wieder auch Vertigo-mäßige Strudel erzeugt. (Freitag, 5.4., 18:30 Uhr)

Bonne maman et Le Corbusier von Marjo­laine Normier ist ein Pflicht­termin für alle, die bei einem Marseille-Aufent­halt schon einmal »La Cité radieuse«, die bahn­bre­chende Siedlung in einem einzigen Gebäu­de­hoch­haus, besucht haben, mit der Le Corbusier in den fünfziger Jahren seine eigen­wil­lige Utopie des Wohnens konkret werden ließ. Die Filme­ma­cherin ist Enkelin der titel­ge­benden Groß­mutter, die in einer der Corbusier-Wohnungen lebt. Als diese durch einen Brand zerstört wird, muss sie rekon­stru­iert werden. Der Film dringt tiefer in die Archi­tektur der Utopie ein, als es eine Über­nach­tung im Hotel, das sich im Herzen des Corbusier-Gebäudes für alle Archi­tektur-Aficio­nados befindet, je könnte. (Freitag, 5.4., 21 Uhr)

Geis­ter­häuser

Wie sich Archi­tektur in Erzählung verwan­delt, lässt sich erfahren, wenn man die Menschen bei den Häusern mitdenkt. Ein Haus ist der stumme Zeuge des Lebens, das sich in ihm zuträgt, es sammelt Geschichten, von ihnen wird es auch manchmal heim­ge­sucht. »Haun­to­logy« heißt ganz ernst gemeint die auf Derrida zurück­ge­hende Wissen­schaft von den Gespens­tern, die sich an Orten und Plätzen aufhalten. Das rote Haus der israe­li­schen Filme­ma­cherin Tamar Tal Anati ist so ein Gespenster-Film. In dem Gebäude in Palästina befand sich eine Textil­fa­brik, später eine Synagoge, dann eine Künst­ler­gruppe. In Stop-Motion belebt sich das Haus für den Film noch einmal, bevor das gebaute Gedächtnis abge­rissen wird. Im Doppel mit Ein Haus in Berlin zeigt sich, wie stark die alten Gespenster-Geschichten wirken. Eine Lite­ra­tur­do­zentin aus Glasgow erbt ein Mietshaus in Berlin. Die fremden Erin­ne­rungen der vielen Menschen, die in ihm gewohnt haben, nehmen sie buchs­täb­lich gefangen. (Samstag, 6.4., 18:30 Uhr)

Um ein veri­ta­bles Geis­ter­haus geht es im japa­ni­schen Our House der erst 27-jährigen Regis­seurin Yui Kiyohara. »There’s no such things as ghosts«, beruhigen sich die Prot­ago­nis­tinnen gegen­seitig, als sie im fahlen Licht des Mond­scheins durch ihr nächt­li­ches Haus streifen. Ein beson­derer Film über das Un-Heimliche, das viel­leicht jeder schon einmal in den eigenen vier Wänden verspürt haben mag. Kiyohara ist ein sehr konzen­trierter, moderner und auch leichter Film gelungen, ein Beispiel für eine neue Stimme aus Japan, die sicher­lich viele Ozu-Filme gesehen hat, in denen es ebenfalls (grob gesagt) um die fami­liären Verhält­nisse in den Behau­sungen geht. Die typischen Einstel­lungen auf Kniehöhe zumindest lassen dies vermuten. (Samstag, 6.4., 21 Uhr)

Mit dem Sühnhaus hat die aus München stammende Wienerin Maya McKech­neay ein betö­rendes Essay über das einstige Wiener Ring­theater geschaffen, das anno 1881 komplett abbrannte. 400 Menschen starben. An der Stelle des Theaters wurde das soge­nannte »Sühnhaus« errichtet, das die morbiden Gedanken der Einwohner von Wien vertreiben sollte. In der Stadt von Freud aber ist es nicht so leicht mit der Verdrän­gung, die Psycho-Geogra­phie der Kata­strophe, die sich an dem Ort zuge­tragen hatte, hielt sich. Zumal einer der ersten Mieter des neuen Hauses Sigmund Freud hieß. Heute steht am Ort des Sühn­hauses ein Neubau, der die Landes­bau­di­rek­tion birgt. Ein unbedingt empfoh­lener Spukhaus-Film, in dem sich die Filme­ma­cherin wie ein Sherlock Holmes der Geister auf Spuren­suche begibt. (Sonntag, 7.4., 18:30 Uhr)

19. Archi­tek­tur­film­tage München
4. bis 7. April 2019
Film­mu­seum München
Karten unter 089 / 23 39 64 50