Female Figures |
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Selfie oder Spiegelstadium? Pia Hellenthals Searching Eva |
Von Nora Moschuering
Drei ist natürlich keine Anzahl an der man Theorien festmachen, Probleme benennen oder Eigenheiten herausfinden kann. Drei ist einfach ein Trio, die kleinste Gruppe, eingehakt unter dem Thema: Weibliche Filmschaffende – weibliche Figuren, die auf dem diesjährigen DOK.fest mit anschließenden Werkstattgesprächen gezeigt wurden.
Die erste Frage nach wie vor: Muss es das geben, ein Programm unter dem Thema »weibliches Dokumentarfilmschaffen«? Es ist ein wenig müßig, so oft hat man schon darüber geschrieben, aber ja, denn – ähnlich wie die Quote, – so ist dieser Fokus dazu da, das Thema zu benennen, um es eben irgendwann nicht mehr zu haben, dass man irgendwann nicht mehr loben muss, dass 45% der Filme auf dem DOK.fest von Filmemacherinnen stammen, weil es einfach selbstverständlich ist. Seit Jahren versuchen wir, die inoffizielle Quote von Männern zu überwinden, die, zwar meist nicht gesetzlich verankert, so doch lange universell akzeptiert war. Es gab eine Quote, und sie lag bei nahezu 100%. Aber zurück zu den Filmen.
Natürlich spielt die vor- und außerfilmische Realität eine große Rolle, und bei jedem dieser drei Filme konnte man sehen wie sie besonders auf die Form des Films Einfluss hatte. Also das »Was zeige ich wie«. Das hat mit wechselseitigem Vertrauen, Verständnis und Gefühl für das Medium und mit einem Interesse für die Protagonistinnen zu tun.
Dazu gehören auch die Publikumsfragen im Anschluss. Vielleicht ist eines der beruhigendsten Versprechen eines fiktionalen Films, dass er abgeschlossen ist, das eins unumwunden auf das andere folgt, es kein Zögern gibt, keine andere Wendung und (scheinbar) keine andere Möglichkeit? Diese Suggestion eines Ganzen, das so und nicht anderes existiert? Beim Dokumentarfilm besteht diese Abgeschlossenheit nicht (es sei denn, er ist sehr alt), fast immer lauten daher die ersten Fragen aus dem Publikum: »Wie ging es weiter? Wie geht es den Protagonistinnen heute und ja: gefällt ihnen der Film?« Man sucht nach einem Abgleich mit der Wirklichkeit. Man hat teilgenommen, man interessiert sich. Eine zeitlang fand ich diese Fragen überflüssig, weil ich an den Film dachte, den Film als Werk, als (subjektive) Aussage zu einem bestimmten Thema. Dann aber begann ich, das Bedürfnis zu verstehen, dieses zeitlich limitierte Andocken an das Leben anderer und einem verständlichen »Weiter wissen wollen«. Vielleich aus Anteilnahme, Empathie, vielleicht auch aus Neugier, Voyeurismus oder Schadenfreude.
Searching Eva war der letzte Film in der Reihe, in der die Regisseurin Pia Hellenthal die Fragmente einer jungen Frau zusammensetzt, die zwischen Umziehen (dem move, der Bewegung), der Instagram-Welt, Partys, ihrer Arbeit als Model, als Sexarbeiterin und ihrer Vergangenheit wechselt. Eva setzt modular ihr Leben zusammen und lässt alle daran teilhaben, auch die Filmemacherin, die in ihrem Film genau das versucht: aus Einzelteilen und Wiederholungen eine Identität zusammenzusetzen, die eben nicht mehr dem linearen Werdegang eines Menschen der Moderne entspricht, in dem die Identität und deren Stabilität ein Gut an sich ist, bebildert im Eigenheim und dem Job auf Lebenszeit, sondern als postmoderne Identitätsfindung/-schaffung.
Der Film ist außerdem im besten Sinn ein Porträt mit der Porträtierten und nicht über sie. Zumindest für mich. Aber Fragen aus dem Publikum kreisten gerade um moralische Fragen: Inwiefern wird Eva ausgestellt? Muss man die Protagonistin vor sich selbst schützen, wenn sie z.B. vor der Kamera Drogen nimmt, oder über ihre Sexarbeit spricht, oder gerade beim Arbeiten ist? Ja, darüber muss man nachdenken. Unbedingt. Allerdings ist hier eine die meiste Zeit sehr selbstreflexive und selbstbewusste Eva zu sehen – und darüber hinaus eine Person, die sich wahrscheinlich besser mit ihrem Bild und dessen Erscheinen in verschiedenen Kontexten auskennt, als die meisten von uns. So ist das mit dieser Generation: klar kann durch das Aufwachsen mit den digitalen Medien eine gewisse Unbedachtheit und Naivität einhergehen, aber sie lernen eben auch viel stärker, wie Bilder funktionieren und wie sie genutzt werden können: sie filmen und schneiden selber. Heutige Filmschaffende müssen sich mit der Demokratisierung der Produktionsmittel auseinandersetzen. Das macht die Arbeit nicht leichter oder schwieriger, es macht sie nur anders.
Interessanterweise kam dann noch zwei Mal die Anmerkung aus dem Publikum, dass man nicht das Gefühl habe, Eva wirklich näher gekommen zu sein, das alte Lied: Hinter die Fassade blicken, die Wahrheit hinter der Oberfläche sehen. Als Beispiel wurde Werner Herzogs Gasherbrum – Der Leuchtende Berg (1985) angeführt, wo irgendwo bei Minute dreißig der bärtige (ja, das steht jetzt hier für: »stark«) Messner weint. Wow. Intense. Ich höre den beiden zu und frage mich, wie es sein kann, dass da zwei das Gleiche wollen, sie sich aber doch widersprechen. Was heißt moralisches Filmemachen? Ist das denn ok, der weinende Messner? (Ich schreibe nicht, dass ich es nicht ok finde) Aber was heißt dieses »die Wahrheit finden«? Ist es wichtig, Eva weinen zu sehen (um mal beim Offensichtlichsten zu bleiben)? Sie nackt zu sehen (nicht körperlich nackt)? Ist das nicht ausstellen?
Searching Eva ist eine Kollaboration zwischen Eva und Pia, eine Komplizinnenschaft zwischen zwei Frauen, die uns ZuschauerInnen zum Nachdenken über unsere eigenen Identitäts-Module bringt.
Wir springen zum ersten Film der Reihe: White Mama (blöder Titel, der in seinen unterschiedlichen Bedeutungsebenen aus dem Russischen anscheinend auch nicht so einfach ins Englische zu übertragen ist). White Mama zeigt, – anders als Searching Eva, der in cleanen Bildern die Glam-Performance-Welt von Instagram aufgenommen hat – eine intime, abgeschlossene Familienwelt, in der die Hand-Kamera Direktheit und Nähe erzeugt, die eben auch im Sujet steckt. Zosya Rodkevich und Evgeniya Ostanina zogen in die Wohnung einer Großfamilie in der Nähe von Moskau, in der die Mutter, neben den sechs Kindern, ein weiteres, emotional instabiles Kind adoptiert. Man bewegt sich fast nur in geschlossenen Räumen, folgt der Mutter bei ihrem Umgang mit ihren leiblichen und adoptierten Kindern. Es ist eine Art Mutter-Teresa-Syndrom (nicht als Krankheitsbild bitte), das sie dazu anzutreiben scheint, gegen alle Hindernisse Kinder aufzunehmen und ihnen viel Geduld und vor allen Dingen Liebe zu schenken.
Man weiß nicht immer genau, wer die Kamera führt, mal sind es Teile der Familie, meist ist es aber tatsächlich eine der Filmemacherinnen selber. Die »Home-Video-Attitüde« ist also Schein. Damit ist der Film aber so dermaßen unmittelbar, manchmal auch unangenehm dicht am Geschehen, dass man sich ab und an die Einordnung durch den Menschen hinter der Kamera gewünscht hätte.
Der dritte Film Lovemobil steht visuell zwischen den beiden Filmen. Elke Margarete Lehrenkrauss zeigt darin das Leben von Prostituierten, die in der Nähe von Wolfsburg/Niedersachsen in Wohnwagen in Waldwegen stehen. Es sind mit Lichterketten verzierte mobile Bordelle, »betreut«, nein gegen Geld zur Verfügung gestellt, von einer ehemaligen Prostituierten. Die Filmbilder bewegen sich zwischen inszeniert anmutenden Einstellungen und einer bewegten Kamera, die den Protagonistinnen folgt, also sowohl die bewegte Kamera aus White Mama, als auch die tableauartigen Einstellungen aus Searching Eva. Er ist aber darin nicht so konsequent wie die beiden anderen Filme, aber vielleicht ist es immer schwierig, im Changieren konsequent zu sein.
Es gab eine lange Diskussion zu dem Begriff »Sexarbeit«, den Eva in Searching Eva völlig selbstverständlich als Berufsangabe gibt (auch mit der Begründung, den Kapitalismus in all seiner Perversität für sich zu nutzen). Natürlich geht es dabei immer um eine Bestimmung des Begriffs »Arbeit«, um Freiwilligkeit, Ausbeutung und Objektifizierung und einiges mehr. Aber nicht nur um sprachliche auch um visuelle »Begrifflichkeiten« ging es, z.B. um die Vermutung, das einiges inszeniert sein könnte. Manchmal treffen sich die Momente einfach zu gut, und Menschen im Raum sind zu schön drapiert. Die Regisseurin verneinte das. Dabei, warum nicht? Es wäre/ist passend, so passend wie schon bei den beiden anderen Filmen. Lovemobil hat beides, wie die Protagonistinnen selber. Sie leben zwischen Inszenierung im bunten Licht und in Dessous im Beifahrersitz und im wackligen Hand-Kamera-Alltag, beim Wäsche waschen, essen und ihren Sorgen. Lovemobil erinnert an Kurz davor ist es passiert von Anja Salomonowitz, auch hier geht es um Menschenhandel und Prostitution. In ihm wird die akustische von der visuellen Ebene getrennt. Menschen, z.B. ein Zollbeamter oder eine Hausfrau erzählen, während sie ihren täglichen Tätigkeiten nachgehen, Erlebnisse von Prostituierten, an denen sie theoretisch selber hätten teilhaben können. Dadurch wird es auf eine Weise abstrahiert, wie im epischen Theater, das Thema gleichzeitig fremd aber auch erschreckend alltäglich, weil es alle betrifft.
Von der stimmigen, formalen Herangehensweise jedes einzelnen Films wird nun der Bogen zum Anfang geschlagen: natürlich ist es interessant zu wissen, wie diese Frauen jetzt leben, aber zurück zu den Filmen: Was zeigen sie über die Einzelschicksale hinaus (ohne diese freilich kleinreden zu wollen)? Welche übergeordneten, gesellschaftlichen Themen verfolgen sie? Wir bewegen uns in einem Interpretations-Hin-und-Her, einem von innen nach außen und zurück. Wir sehen den Film und trennen ihn gleichzeitig vom Leben: Wollen wissen, wie es begann, wie es weiterging, also was um den Film herum geschehen ist. Wir lassen aber auch den Film als eines gelten: Als ein geschlossenes Werk mit einem Thema, einem Thema, das uns etwas zeigen, etwas erklären, näher bringen will, das unabhängig ist von der Entwicklung im direkten »Filmumfeld«. Wahrscheinlich schwenken wir immer hin- und her wenn wir Dokumentarfilme sehen, ein bisschen wie ein filmischer hermeneutischer Zirkel: Wir kommen über die Menschen zum Thema und wieder zurück.