Mit den Augen der Kinder |
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Rote Backen gegen die Trauer: Fridas Sommer | ||
(Foto: Grandfilm) |
Von Jens Balkenborg
Augen auf, gerade auch bei den kleineren Streamingplattformen! Beim Arthouse-Streaminganbieter Mubi etwa sind mit Sean Bakers The Florida Project und Carla Simóns Fridas Sommer zwei Perlen verfügbar: beide auf Augenhöhe mit Kindern, ohne jedoch Kinderfilme zu sein; beide flirren sie auf ihre Art, Bakers Film in leuchtendem Lila und Simóns Film vor südländischer Hitze. Und beide verstehen sie es meisterhaft, neue Perspektiven zu eröffnen: auf uns selbst und unser eigenes junges Ich und vor allem darauf was es bedeutet, wenn die Welt in all ihrer Diversität auf Kinder hereinbricht.
In Simóns Debütfilm bricht sich die harte Realität gleich zu Beginn Bahn: Nachdem die sechsjährige Frida (Laia Artigas) den Vater bereits verloren hat, ist nun auch die Mutter tot. Die ersten Einstellungen des Films kartografieren Fridas altes Leben. Da streift das Mädchen mit den wilden Locken durch die alte Wohnung, während draußen ein Feuerwerk den Sommer der Trauer einleitet und die Sachen gepackt in der Ecke stehen, bereit für den Umzug aufs Land zur Familie des Onkels.
Was folgt, ist die Geschichte eines unfassbaren Abschieds, inspiriert und – dafür spricht der äußerst sensible Blick – bereichert durch eigene Erfahrungen. Die katalanische Regisseurin ist nach dem Tod der Eltern selbst bei einer neuen Familie groß geworden.
Wie gestaltet sich die Trauerbewältigung? Was bedeutet es, wenn das alte Leben in der Unschärfe zu verschwinden droht? Und wie mit dem neuen Leben umgehen? Vorher die Großstadt, hier nun flitzen die Hühner durch die Sonne und um die Beine der sympathischen, aber auch grobschlächtigen neuen Nachbarn. Und dann ist da mit der Frau des Onkels eine Mutterfigur, der die altkluge und gerne auch patzige Frida Paroli bietet. Trotz des schweren Themas ist Fridas Sommer ein lebensbejahender Film.
Das gilt ohne Frage auch für The Florida Project, Sean Bakers lila leuchtende Ode an die Abgehängten am Rande des Walt Disney World Resorts, die gleich großartig beginnt: Da rotzen Moonee (Brooklynn Prince) und ihre Kinder-Gang auf ein Auto, um dann schreiend vor der Besitzerin davon zu flitzen. Zur Strafe heißt es: Gemeinsames Autoschrubben!
The Florida Project ist ein liebevoller, vor Leben nur zu strotzender Film. Mit Moonee und ihrer Gang lernen wir das Leben im »Magic Castle« kennen, einem billigen Motel, in dem das freche Mädchen und ihre Mutter Halley (Bria Vinaite) ein Zimmer behausen. Die beiden halten sich mit Almosen, dem Verkauf von gestohlenen Einstrittsbändchen für das Disney Ressort oder billigem Parfüm über Wasser.
Wirklich auf die Reihe bekommt die überforderte Mutter ihr Leben allerdings nicht. Daran kann auch der nachsichtige Hotelmanager, den der wieder einmal fantastische Willem Dafoe als sympathisch-strengen Sheriff spielt, nichts ändern. Traum und Realität gehen Hand in Hand in The Florida Project. Genau das wird in dem furiosen Final schmerzlich konkret.
So wie Bakers Film Sozialdrama ohne sozialtouristischen Kitsch ist, so betreibt Simóns Debüt Trauerbewältigung ohne falsche Sentimentalitäten. Beide Filme bewegen sich größtenteils in dem Erfahrungshorizont der Kinder. An den Rändern ihrer und damit unserer Wahrnehmung wird mal mehr, mal weniger konkret, dass drastische Dinge um sie herum passieren oder passiert sind.
Etwa wenn Moonee an der Hintertür des Imbiss klopft, in dem eine Freundin der Mutter arbeitet, um Essen zu schnorren. Oder wenn sie laut Musik hörend alleine in der Badewanne sitzt. In Fridas Sommer gibt es jene sagenhafte Szenen, in der Frida eine rauchende Bohème-Frau mit Pelzschal gibt und die von der Ersatzschwester gespielte Tochter zunächst abweist, weil der »ganze Körper schmerzt«, dann aber doch nicht nein sagen kann. Die Geister der Vergangenheit im kindlichen Spiel.
Fridas Sommer und The Florida Project sind herausragende Filme. Einen großen Verdienst daran haben die durch die Bank weg tollen Schauspieler, allen voran allerdings Laia Artigas und Brooklynn Prince. Diese beiden Mädchen (Prince wurde von Baker als Laie für den Film gecastet!) spielen, als hätten sie niemals etwas anderes getan. Entwaffnend natürlich verschmelzen sie mit ihren Figuren.
Wie vielschichtig und schwierig die Arbeit mit Kindern sein kann, veranschaulicht die Anekdote um Das weiße Band: 7000 Kinder ließ der chronische Perfektionist Michael Haneke für das Casting für seine »deutsche Kindergeschichte« sichten. Wie viele es bei Sean Baker und Carla Simón waren, ist ungewiss. Großartig sind sie jedenfalls in beiden Filmen.