Beschwörungsformeln |
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Der Untergang des Hauses Usher, Fin-de-Siècle-Horror | ||
(Foto: Cinémathèque française) |
Die Münchner Filmemacherin Susanne Quester hat zusammen mit Mieko Azuma einen berückenden Dokumentarkinderfilm über Migration gemacht, der natürlich auch für alle Erwachsenen zu empfehlen ist, hier in unserer Kritik nachzulesen. Eigentlich sollte der Film jetzt ins Kino kommen, aber … Susanne Quester hat sich daher schweren Herzens entschlossen, den Film über Ostern als kostenlosen Stream zu zeigen. Auf ihrer Website gibt es viele Informationen und die tollen Animationen zu dem Film. Spenden sind willkommen! – Ein Tipp von der artechock-Redaktion | Text: Dunja Bialas
Seit Donnerstag (9.4.2020) zeigt die renommierte Cinémathèque Française im virtuellen Kinosaal »Henri« (der Name ist geborgt von Henri Langlois, dem legendären Gründer der Cinémathèque) kostenlos und ohne Regionalbeschränkung Filme aus dem restaurierten Repertoire – bis zur Wiedereröffnung der realen Cinémathèque. Jeden Tag kommt um 20:30 Uhr ein neuer Film hinzu. Den Anfang macht Jean Epsteins Der Untergang des Hauses Usher (Der Untergang des Hauses Usher) aus dem Jahre 1928. Der Horror-Stummfilm wird als digitale Abtastung einer historischen, von der Cineteca di Bologna restaurierten, 35mm-Kopie gezeigt und macht deutlich, wie der Stummfilm mit Einfärbungen bereits Tag-/Nachtunterschiede und Stimmungen als Farbgestaltung realisiert hatte. Auf in die Cinémathèque! Französischkenntnisse sind hilfreich. Aber wir wollten doch jetzt sowieso alle Sprachen lernen, oder vertiefen. – Ein Tipp von Dunja Bialas (frankophile Filmkritikerin, München) | Text: Dunja Bialas
Seit Karfreitag hat auch das Filmmuseum München einen virtuellen Kinosaal geöffnet und zeigt Filme des Hamburger Kino-Experimenteurs Klaus Wyborny. Anlass ist der 75. Geburtstag des Filmemachers. Er ist Mitbegründer der Hamburger Filmmacher Cooperative und hat sein oft aus in der Kamera geschnittenes und mit sehr tollen Musikkompositionen begleitetes Werk jetzt digital zugänglich gemacht. Das Filmmuseum will die Wahl des Kino-Avantgardisten für seinen virtuellen
Kinosaal ausdrücklich als »bewusste Setzung eines eigenwilligen künstlerischen Akzents in der Menge der Streaming-Unterhaltungsangebote« verstanden wissen. Bravo dafür!
Wer nicht so experimentierfreudig ist, kann sich auch auf Filmklassiker freuen, die nur am Wochenende zu sehen sind. Jeder Filmstream ist auf maximal vier Tage begrenzt, so dass sich der Effekt der echten Freizeitplanung ergibt.
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Neugierig geworden? Dann gibt es hier einen Trailer aus Wybornys SYNTAX (1976), mit dem einschlägigen Satz: »Ich bleibe heute – natürlich – zu Hause.« Seufz. – Ein Tipp von der artechock-Redaktion | Text: Dunja Bialas
Wer verzweifelt versucht, im eigenen Wohnzimmer durch die richtige Beleuchtung (gar kein Licht? Licht hinter dem Bildschirm? Seitlicher Lichteinfall?), mit einer einigermaßen angemessenen Lautstärke (»Das muss man schon richtig hören, Zimmerlautstärke ist jetzt echt zu leise!«) und durch möglichst wenig Ablenkung (»Kannst du jetzt mal bitte das Handy liegen lassen?«) für Kinoatmosphäre (»Popcorn? Also echt jetzt!« – »Ich hohl mir noch ein Bier.« – »Pssst!«) zu sorgen, der sehnt sich ins Kino zurück, wo man sich um das alles nicht kümmern muss.
Die Kinobesitzer haben jetzt gerade die allergrößten Sorgen. Werden die Besucher zurückkehren? Dass auch im normalen Alltag ihre größte Sorge ist, ob die Leute kommen, haben sie mit der Schaustellertradition sozusagen mit der historischen Muttermilch auf den Weg bekommen: »Kommen Sie näher, kommen Sie rein, hier sehen Sie was, was Sie noch niiiiiiie gesehen haben!«
Der wunderbare italienische Kino-Neurotiker Nanni Moretti hat einen Kurzfilm über diese angespannte Nervosität eines Kinobetreibers gemacht und sich dazu exemplarisch den Tag gewählt, an dem Abbas Kiarostamis Close Up in sein Kino kommt. Bei uns war der Film übrigens nicht im Kino zu sehen. – Ein Tipp von Patrick Holzapfel (Filmemacher, Filmkritiker, Wien) | Text: Dunja Bialas
Direkt aus Beirut, wo ebenfalls der Lockdown herrscht, sendet »radiokarantina« wunderbare Ambient-meets-Song-and-Voice-Mixtapes in die Wohnzimmer der ganzen Welt, die von DJs, Künstlern und Filmemachern aus verschiedenen Städten in Asien, USA und Europa zusammengestellt werden. Gemischt werden Voice-Fragmente und Songs, die auch Niesen oder Diskussionsfragmente dieser Tage (sogenannte »germs«) enthalten, mit Sixties-Sound und Elektronischem – ein schwebendes Antidot gegen den schweren Ernst dieser Tage.
Musik gab es in den letzten Tagen von DJ No Breakfast, dem Berliner Filmemacher Philip Widmann, dem libanesischen Künstler Giorgio Bassil, dem Berliner Künstler Abraham Zeitoun oder der libanesischen Künstlerin, Autorin und DJ Jessika Khazrik. Gesendet wird jetzt schon den 25. Tag! Trost zum Abheben. – Ein Tipp von Philip Widmann (Filmemacher, Berlin) | Text: Dunja Bialas
Derzeit müssen wir alle tänzelnd einander ausweichen, immer schön Abstand haltend. Nur im Supermarkt, einem der wohl gefährlichsten Orte dieser Tage, ist dies nicht möglich, weil einfach die Gänge zu schmal sind und das Gedränge vor den Klorollen zu groß. Flat Worms aus Los Angeles machen in ihrem kraftvollen Punkrock-Video »Petulance« bereits 2016 vor, wie das alles mit Verve und Kreativität gelöst werden kann. Seitlich aneinander vorbeipogen, sich um die eigene Achse drehen (senkrecht oder am Boden), mit Beute jonglieren. Die einhämmernde Eindringlichkeit monotoner Melodieführung inbegriffen. So können wir in der eingeschlossenen Zeit auch die nervigen Ausflüge in den Supermarkt besser ertragen. – Ein Tipp von Wolfgang Lasinger (Experte für The Fall) | Text: Dunja Bialas
Wie wichtig kleine Kinos, unabhängige Filmclubs und freie Kurator*innen sind wird hier mehr als deutlich: »The Magic of Nigeria – On the Cinema of Ola Balogun« ist die erste internationale Publikation über das Filmschaffen Ola Baloguns, einer der bedeutendsten Regisseure Nigerias. Bemerkenswert ist daran schon der Entstehungskontext: Crowdgefunded aus dem Recherchematerial für die Retrospektive über Balogun, die das Filmkollektiv Frankfurt und speziell deren Mitbegründer, Gary Vanisian, 2015 kuratierte, und die 2017 auch im Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. zu sehen war.
Wie aus einer intensiven Recherche eine Annäherung an eine Person und ihr künstlerisches Schaffen entstehen kann, wird hier besonders gut deutlich. Statt einer chronologischen Abhandlung präsentieren die Herausgebenden persönliche Erinnerungen seiner Frau und Produzentin, ein Interview mit Balogun selbst, Perspektiven seiner Kolleg*innen und Mitstreitenden auf die gemeinsame Arbeit unter schwierigsten Produktionsbedingen und mehrere Essays über sein Werk und dessen Rezeption. Besonders toll sind die über 50 Seiten Bildmaterial mit Stills, Filmsequenzen, Postern, Zeitungsartikeln und privaten Aufnahmen. Für die filmische Recherche überaus hilfreich ist die beigefügte Filmographie mit ausführlichen Synopsen.
In seinem fragmentarischen Aufbau verdeutlicht das Buch den immensen Rechercheaufwand und ist gleichzeitig doch viel mehr, denn hier entsteht allein schon beim Lesen ein unglaubliches Sehvergnügen. – Ein Tipp von Sarah Adam (freie Kuratorin, Mitglied im B-Movie Kino und A Wall is a Screen) | Text: Sarah Adam