Die denkerische Form der Leichtigkeit |
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Screenshot im Wohnzimmer: Dietrich Brüggemann in einer digitalen Disco-Kugel | ||
(Foto: Kurzfilmtage Oberhausen / Dunja Bialas) |
Von Dunja Bialas
»Sometimes questions of art are also questions of life.« Dies ist einer der bedeutungsvollen, atmosphärischen Sätze aus dem diesjährigen Eröffnungsfilm der Kurzfilmtage Oberhausen. Der Leiter Lars Henrik Gass, der diesmal selbst Hand angelegt hat, hat den Satz bei Robert Walser geliehen, aus seinem Roman »Geschwister Tanner«. Aus diesem hat er bereits vor dem Festival im neu geschaffenen Oberhausen-Blog gelesen: »Nun sind aber allerdings Kunstfragen bisweilen auch Lebensfragen.« Eine ätherisch-suggestive Montage aus Szenen, die augenblicklich tiefes Kino assoziieren, Filmgeschichte, den großen Saal. Gass lädt in seinem Film ganz ohne Kitsch zum großen Träumen ein, von der Schönheit des Kinos, aber er findet auch eine wunderbare Bildmetapher vom großen Kräfteziehen der Menschheit, in den Zeiten der Krise.
Vier Programme sind am ersten Abend freigeschaltet, man hat 48 Stunden Zeit, sie zu sehen. Oberhausen übernimmt vom analogen Festival die Kombination der Filme in Programmen, auch das Slot-Prinzip, das sonst immer vor Ort gilt. Die Neugier auf das online-Erlebnis ist entsprechend groß, auch wie sich die Kurzfilme auf dem Laptop-Screen anfühlen. Das Vorurteil: Kurzfilme eignen sich für diese Art der Präsentation besser als zum Beispiel abendfüllende Dokumentarfilme, wie sie derzeit beim DOK.fest München gestreamt werden, und vorher bei »Visions du Réel« zu sehen waren, die es schwer haben, die Aufmerksamkeitsspanne im alltagserfüllten Wohnzimmer zu halten. Also, ran an die Kurzfilme!
Nur: leider ist der Online-Zugang nicht, naja, zugänglich. Nichts tut sich hier. Mach ich was falsch? Load & reload: Nein, keine Chance. Als Ausweichmöglichkeit bietet sich aber der Blog an, für den Filmemacher*innen im Vorfeld Beiträge erstellt haben. Die Frage lautete »Kann und muss man Filme jetzt machen?«
Hier kommt einem Launiges und Melancholisches entgegen. Diese Mischung aus heiterem Ernst ist wohl eine der Grundstimmungen von Kurzfilmfestivals generell, zumindest kommt es mir nun so vor, während ich isoliert von der Welt auf dem Sofa in die Kurzessays eintauche. Gerade noch hat mich ein Conférencier – der in der finalen Pointe, typisch Kurzfilm, was man sich ja sonst bei Oberhausen verkneift, unten ohne war – durch den Eröffnungsabend geführt und mich dazu animiert, mir auch die Rede des heute hemdsärmlig auftretenden Oberhauser Oberbürgermeisters anzusehen – übrigens schönes Wetter dort und taghell. Das wurde wohl aufgezeichnet, was einen kreativen Umgang mit dem Live-Aspekt verrät. Live ist, wenn man nicht dabei sein kann, eben auch nur »live«, in Anführungszeichen, virtuell und relativ. Wer anders herum jetzt gerne die Eröffnung noch einmal sehen will, wird enttäuscht, der von mir geteilte Link meldet: »Inhalt nicht mehr verfügbar.« Dabei hatte ich mich genau auf die Wohltaten des Internets verlassen: Zuerst entspannt sehen, und dann noch mal nachgucken und mitschreiben.
Das Leben online ist voller Tücken.
Immer noch kein Zugang in den Kinosaal von Oberhausen. Jetzt kommt eine Mail rein: »Es scheint, dass unser Festival-Hub gerade unten ist – wir arbeiten fieberhaft an einer Lösung und werden Sie hier informieren, sobald es weitergeht. Es tut uns sehr leid und wir geben nicht auf!«
»Hub«, google ich, ist ein Knoten im Netzwerk.
Auch ich gebe nicht auf. Zurück also zur ausgehenden Blog-Frage: Warum heute Filmemachen? Kerstin Honheit, Kunst-Dozentin aus Kassel, gibt in ihrem Film viele Antworten. Erst einmal, ganz naheliegend: »because filmmaking, like hoarding toilet paper, has to do with the fear of death.« Schön der Gabenzaun, den man jetzt von allen Städten kennt, an den auch Sprüche geklopft wurden: »because everything is not the same«, die anderen Zettel kann ich leider nicht lesen, Laptop zu klein.
Mit einemmal sinnfällig: Das Leben im Schrumpfformat.
»Filmemachen ist eine der raffiniertesten Erfindungen zur Kontaktaufnahme«, sagt Franz Müller aus dem Off seines Kurzessays Die bewohnte Insel. Er zeigt eine Aufnahme, die er schon 2012 gedreht hat, noch nicht wissend, ob daraus jemals ein Film entstehen würde. Es ist eine Plansequenz in einem Park, gefilmt wie ein Tableau oder Wimmelbild, in dem im Vorder-, Mittel- und Hintergrund viel Bewegung herrscht. Rot ist die dominante Farbe, ein Signalrot, ganz hinten wird eine Bahre in einen Krankenwagen geschoben. Vorne im Bild eine leere Cola-Flasche, das Etikett leuchtet rot. »Ein bisschen Schwund ist immer«, habe die Oma der Ex-Freundin immer weise gesagt, erzählt uns Franz Müller. »Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang«, wollte Müller seinen Film nennen. Nach dem Roman von Arkadi und Boris Strugazki, die auch »Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein« geschrieben haben. Letzteres hat Alexej German erdenschwer verfilmt (Es ist schwer, ein Gott zu sein). Müller zählt in seiner lakonischen Melancholie, während sich das Bild leert, einige Buchtitel der sowjetischen Science-Fiction-Brüder auf. Alle wären auch gute Filmtitel gewesen, und alle passen gut in unsere Zeit: »Aus anderen Sphären«, »Ausnahmezustand«, »Das lahme Schicksal«, »Die dritte Zivilisation«. (Der Film ist hier zu sehen.)
Der Anblick von Andreas Reihse in dem nächsten Kurzessay katapultiert mich augenblicklich nach Oberhausen. Reihse, Gründungsmitglied der Musikgruppe Kreidler, hat sonst immer während der Kurzfilmtage gegenüber der schönen Lichtburg, dem Festivalkino, einen Bücherstand mit ausgewählter Literatur zum Kino – mein Ruin. Jetzt hat er zusammen mit dem georgischen Filmemacher Zaza Rusadze ein Video gedreht, zu seinem Musikvideo, das im Muvi-Award zu sehen ist und auch fürs Publikum zur Abstimmung steht – ein online-Publikumspreis, den Oberhausen übrigens schon seit Jahren durchführt, er ist also anders als andere jetzt neu geschaffenen Online-Publikumspreise kein Corona-Preis. Lars Henrik Gass ehrt seit seinem Antritt als Kurzfilmfestivalleiter das Musikvideo als eigenständige filmische Kurzfilmform – eine Seltenheit der Kurzfilmfestivals, wo sonst Musikvideos meist nur den Status launiger Zwischendurchfilme haben.
Reihses und Rusadzes Videoessay zur Frage: »Warum jetzt noch Filme machen?« ist eine Art Making-off ihres Musikvideos, das sich die filmischen Möglichkeiten des Distant filming aneignet und den Film selbst zum Meta-Video über die Konditionen des Filmemachens zu Corona-Zeiten überhöht. Die geteilte Leinwand, die jetzt alle kennen, die an Videokonferenzen teilnehmen, oder versuchen, sich künstlerische Darbietungen im Netz anzusehen, nutzen die Künstler als veritable geteilte Leinwand, fluten sie mit Farbe, in den Grundtönen des Kreidler-Albums, während auf der anderen Hälfte der andere über den künstlerischen Ansatz spricht. Da hinein mischen sie auch den Jingle des »Coronavirus-update« mit Christian Drosten, gehen weiter in philosophische Überlegungen über den Konsumverzicht. Kreidler haben bereits den strengen Architekturfilmen von Heinz Emigholz zu Höhenflügen verholfen, hier heben sie ein weiteres Mal ab. Auch dieses Essay: absolut sehenswert, ein Film, der bleibt.
22:30 Uhr: Die Kurzfilmtage haben ihre Serverprobleme gelöst, Hut ab. Es gab zu viele Zugriffe, das System ist in die Knie gegangen. Aber jetzt bleibe ich bei den tollen Videoessays. Immerhin kommt da noch Vielversprechendes: Max Linz, der zum 50. Geburtstag des Oberhausener Manifests eine eigene Serie gemacht hatte. Sein Film, zusammen mit den Studierenden der Berliner UDK gemacht, ist ebenfalls ein Metafilm: »Die erste Szene des Films ist der Raum, in dem er gesehen wird« – die Übergabe des Films an den Raum, auch das ist Corona, denke ich mir in meinem Wohnzimmer, in dem ich in den letzten Wochen so viele Filme gesehen habe.
Dann Jovana Reisinger und Kristina Kilian, die beide noch an der HFF München studieren. Reisinger hat einen Film gemacht mit Bildern, die sie vor einem Jahr in China aufgesammelt hat, eine Kompilation aus Alltagseindrücken, sehr nah dran, an einem ungewohnt dichten Leben, eine bestandsaufnehmende Rückschau, ganz ohne Wehmut – oder doch ein bisschen? Zum Glück habe ich keinen Film gedreht, vor einem Jahr, so ihr lakonisches Fazit. Kristina Kilian sieht sich in Zeiten der Krise »digital verschwinden«, sich komplett im virtuellen Raum einer alten Aufnahme aufgehen. Und schließlich Dietrich Brüggemann, bekannt für seine starken filmischen Positionen. »Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden«, sagt er, in einen hypnotischen Raum getaucht, Instagram-Format, hochkant. Alles flirrt in Farben und Lichtflecken, als befände sich Brüggemann in einer gigantischen digitalen Disco-Kugel. Kann und muss man jetzt Filme machen?, fragt auch er. Man kann immer Filme machen, und man muss nie, so seine Antwort.
Oberhausen hat mit dieser Kommissions-Serie den bestechenden Beweis geliefert, dass Filmemachen genau die richtige Form ist, über das Leben nachzudenken, und dem Essay eine überzeugende Vitalimpfung verpasst. Wenn was nach Corona bleiben soll, dann bitte diese denkerische Form der Leichtigkeit.