29.04.2021

Oscar so woke

Nomadland
Frances McDormand im großen Oscar-Gewinner Nomadland
(Foto: Joshua James Richards/20th Century Studios/Disney /dpa)

Alles so schön bunt hier: Doch am Ende setzt auch bei den Oscars das US-Kino aufs Altbekannte und scheut die Veränderung

Von Rüdiger Suchsland

Es war noch nicht einmal über­ra­schend, dass es keine Über­ra­schungen gab. Als in der Nacht zum Montag die immer noch popu­lärsten Film­preise der Welt vergeben wurden, gab es erwartbar nichts, was das euro­päi­sche Publikum auf dem Fern­seh­sofa am Einschlafen hindern konnte.

Die Favoriten haben gewonnen, zugleich blieb einem einzelnen Film der große Durch­marsch versagt, obwohl mehrere von ihnen gleich sechs Mal nominiert waren, und David Finchers Mank, eine Hommage ans klas­si­sche Hollywood, sogar zehnmal.

Die wich­tigsten Preise – bester Film, beste Regie – gingen an Chloe Zhao, die Regis­seurin des doku­fik­tio­nalen Misch­films Nomadland. Womit sich alle, die in so einer Preis­ver­lei­hung in erster Linie eine poli­ti­sche Gleich­stel­lungs­ver­an­stal­tung sehen wollen, gleich doppelt bestätigt fühlen können: Denn Zhao ist nicht nur eine Frau, sondern auch als China-Stämmige auch noch eine Einwan­derin.

Man sollte Oscar-Verlei­hungen aber nicht über­schätzen. Sie sind ein Spiegel mehr der Industrie als der Gesell­schaft, und nicht etwa ein Vorreiter für politisch-soziale Entwick­lungen der Zukunft. Sie bilden ab, was augen­blick­lich gerade in der ameri­ka­ni­schen Film­branche geschieht. Oder wovon die Mächtigen in dieser Branche glauben, dass es endlich einmal geschehen müsse.
Das hat gerade auch die dies­jäh­rige Oscar-Verlei­hung wieder ganz gut unter Beweis gestellt. Iden­ti­täts­po­litik ersetzt die Kunst.

Mehr als in irgend­einer Oscar-Verlei­hung zuvor ging es diesmal um »Wokeness«. Mit diesem Modewort ist politisch-kultu­relle »Wach­sam­keit« gemeint, eine Wach­sam­keit, der ist vor allem darum geht, niemanden zu verletzen und möglichst jeden mögli­cher­weise früher Unter­drückten zu Wort kommen zu lassen und zu reprä­sen­tieren.

In derart beflis­senen, auf poli­ti­sche Über-Korrekt­heit bedachten Verhalten kommt es dann manchmal zu kleineren oder größeren Absur­di­täten. Wie zum Beispiel der, dass während der Oscar-Veran­stal­tung für ein paar Minuten dann mal anstatt des Preis-Paten eine Gebär­den­dol­met­scherin ins globale Fernseh-Bild trat. Viel­leicht war das tatsäch­lich gut gemeinte Inklusion. Es war aber auch völlig über­flüssig, denn zeit­gleich mit den Gebärden der Dame wurden auch die von ihr kommu­ni­zierten Namen der jewei­ligen Sieger einge­blendet. Da auch Gehörlose ja des Lesens mächtig sind, ging es also offenbar mehr um die poli­ti­sche Geste als um die Sache selbst.

Solcherlei symbo­li­sches Kapital stand ganz im Zentrum der Preis­ver­lei­hung und der verge­benen Preise. Das Ergebnis ist das, was man mit einem – durchaus nicht unpro­ble­ma­ti­schen – Wort dann eine bunte Preis­ver­lei­hung nennen kann. Viele schwarze und asiatisch-stämmige Filme­ma­cher traten auf – als Mode­ra­toren, aber auch als Nomi­nierte und Preis­träger. Das steht zum Teil für tatsäch­liche Verän­de­rung in der Branche; es ist aber auch ein Statement, das mehr das Abstim­mungs­ver­halten vieler Akademie-Mitglieder abbildet, als das, was wirklich in den Chef­etagen der Film­in­dus­trie oder auf der Leinwand passiert.

Es gab aber auch signi­fi­kante Leer­stellen: Wo waren zum Beispiel die Latinos?

Auch in den Filmen selbst domi­nierte Mono­the­matik – als ob es darum ginge, die Sünden Amerikas auszu­glei­chen oder wieder­gut­zu­ma­chen. Einen Kontra­punkt zu derart lang­wei­ligen Vorher­seh­bar­keiten setzte neben Mank und Tenet (s.u.) nur Thomas Vinter­bergs Druk (Der Rausch), der alle Erwar­tungen auf Korrekt­heit in der Anklage des Alko­hol­kon­sums immer wieder unterlief.

Zudem geht es bei den Oscars schon seit Jahr­zehnten so, dass soge­nannte »wichtige« und »relevante« Filme über­pro­por­tional vertreten sind. Also Filme, deren Themen gerade politisch disku­tiert werden, oder die irgend­etwas machen, was noch nie in einem Film gemacht wurde.

Um künst­le­ri­sche Qualität, also um das, was man immer noch einfach »einen guten Film« nennt, geht es bei den Oscars noch viel weniger als etwa beim Deutschen Filmpreis oder bei den fran­zö­si­schen Césars.

Darum wurden die beiden besten ameri­ka­ni­schen Filme des letzten pandemie-geschä­digten Jahres, David Finchers Mank und Chris­to­pher Nolans Tenet nur in Neben­ka­te­go­rien prämiert.

Die beiden echten Über­ra­schungen waren daher die ganz am Schluss verge­benen Preise für die besten Darsteller. Sie gingen nicht an die favo­ri­sierte Mill­en­nial-Jugend, sondern an Frances McDormand und Anthony Hopkins, also an eine mit 63 Jahren eini­ger­maßen alte weiße Frau und einen richtig alten weißen Mann.

Was lernen wir also aus der Oscar-Verlei­hung? Ganz so so schnell verändert sich gar nichts in Hollywood. In Zeiten der Pandemie setzt auch das Kino auf Sicher­heit.