Die verbrecherische Lust einen Film zu machen |
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Christoph Schlingensief in Tunguska – Die Kisten sind da | ||
(Foto: Filmgalerie 451) |
Ich finde es, nach meinen Filmen Tunguska – Die Kisten sind da, Menu total und Egomania – Insel ohne Hoffnung an der Zeit, ein wenig von mir zu erzählen, besonders meinen Luxus zu beschreiben, wenn ich einen Film mache, also den Lohn der schrecklichen Ausschweifungen, damit ihn jeder mit der trübseligen Lage anderer deutscher Regisseure und ihrem Lohn der Tugend vergleichen kann.
Ich bin 1960 geboren. Ganz sicher ein Jahrzehnt der Verlierer und zukunftsorientierter Phantasten. Mein Leben verlief verhältnismäßig normal: Kindergarten, dann Grundschule mit engagiertem Messdienerdienst, dann später etwas verwirrter, in Form von Gymnasium und anschließendem Abitur (Durchschnitt: 2,9). Ganz sicher eine Verwirrung, die einem noch über Jahre hinweg anhängen wird und die einzig und allein dem Glückswohl der eigenen Verwandtschaft und dem unsicheren Ich helfen
wird.
Dann 1979 rapide Selbstaufgabe: Die erste große Liebe zerbricht. Man verfolgt die Geliebte bis hin zum Sturz vom 6-stöckigen Neubau, direkt gegenüber vom unausstehlichen Nebenbuhler. Anschließend Selbstmordversuch und erheiternder Neubeginn mit einer Dachzimmerwohnung in München und der Prostituierten Erika, einer verzweifelten engagierten Alkoholikerin. Studium der dt. Philologie. Abends Besuche der wenigen Peepshows, Spaziergänge am Hauptbahnhof und
wiederholte Fragen nach dem Sinn des Lebens, einer bisweilen recht unerträglichen und penetranten Angelegenheit.
(...)
Dabei wollte ich eigentlich erst um zehn Uhr aufstehen, dann bis elf Uhr nur die intimsten Freunde empfangen, dann bis ein Uhr große Toilette nur in Gegenwart all meiner Verehrer machen und um eins all jene empfangen, die an mich Bitten hatten oder den Minister empfangen, wenn er einmal in München war. (*c) Doch wie das Leben so spielt, entwickelte sich die
Sache zur Farce: Ich wurde, schleimig und unsicher. Meine Seele landete auf dem Papier.
Mein Versuch, an der Filmhochschule anzukommen, scheiterte und der steinige Weg durch FREMD-Produktionen begann. Zwar lernte man dort eine Menge Wissenswertes über Technik und Organisation, doch nichts Genaues über Menschenführung, Mord und Totschlag. (*c) Noch immer gab es in meinem Kopf die eindrucksvolle Kinoszene, der Titel ist mir entfallen, in der ein kleiner Junge die Katze des Nachbarn
vierteilte, anschließend verbrannte und mit kühner Sicherheit behauptete, er habe nichts damit zu tun. Ein Film, den ich mit 9 Jahren gesehen habe. Der Weg ging weiter, und erst als ich Erika mit gebrochenem Bein und blutverschmiertem Gesicht im Treppenhaus liegen sah – ihr Mann hatte ihr das Bein quer und sie ihm dafür den Unterkiefer längs durchgebrochen –, wusste ich, was mich wirklich interessierte.
Immer wieder waren mir jene deutschen Filmregisseure aufgefallen, die sich zum Wohle der Menschen zum Märtyrer erklärten und stundenlange Essays über Gut und Böse ablieferten. Dabei hatte Erika lediglich ihren Charakter ausgelebt, so wie auch alle meine zukünftigen Darsteller ihren Charakter ausleben sollten. Ich suchte Drehorte aus, die unerträglich waren, die jeden Normalen veranlasst hätten, das Weite zu suchen. Ich plante den Drehplan so, dass er niemals zu schaffen war, es
sei denn, Team und Darsteller wären bereit gewesen, 10 Tage ohne Schlaf auszukommen. Und ich schrieb Drehbücher, die man nicht spielen konnte, geschweige denn verstehen. (*c) Denn nur das Zwischeneinander und vor allem das Gegeneinander geben einem die Gewissheit, den Anderen zu studieren und dem eigenen Geschmack freien Lauf zu lassen, sich also ganz frei zu entfalten. (...)
War man bei den bisher üblichen Produktionsmethoden nur darauf bedacht, den Ablauf möglichst keimfrei zu
halten, so war man hier in der Lage, alles zu verseuchen und somit ehrlich zu sein: (*c) Der Frauenverächter kann sich mit seinesgleichen befassen, die Frau oder der Mann, der nur sein eigenes Geschlecht liebt, sich seinen Einfällen hingeben, so wie er lustig ist: kein Zwang, keine Scham. Denn der bloße Wunsch, seinen Genüssen ein möglichst großes Feld zu bieten, bewirkt, dass man all sein Können der Gemeinschaft zur Verfügung stellt. Von diesem Augenblick an unterstützt der
allgemeine Vorteil den Bund; das Einzelinteresse ist an das der Allgemeinheit gebunden, was das gesellschaftliche Band unzerreißbar macht. (...)
Jetzt, gut drei Jahre später, denke ich zwar ähnlich, sehe aber auch meine Filme im Schatten der Versäumnisse: Aus dem Krämer wurde ein Möchtegern, aus dem pubertären ein sublimiertes Monstrum. Meine Filme, alle wie sie da sind, sind jungfräulich und verträumt.
Aus den biederen Versuchen, lauter zu sein als das Geschwafel der
Heiligen – in deren Gegenwart man zwangsläufig zum Märtyrer werden muss –, wurde das in allen Situationen vorsichtige Auftreten eines Opportunisten. Das Hirn kam zu spät in den Safe und der Wunsch, die 100 kleinen Kinder im Kopf der Perversion zu opfern, endete im einsamen Besäufnis unter der Bettdecke. Das formale Chaos brach aus und erreichte zwar die visuelle Bewunderung der Kritik und des Zuschauers, nicht aber den eigentlichen Nerv der Veranstaltung.
Der
Anspruch, das perfekte Verbrechen zumindest im Film auf die Beine zu stellen, bleibt bestehen. Der Wunsch, die Sülze kinematographischer Sprachrohre – gemeint sind die deutschen Regisseure meiner pubertären Zeit – vergessen zu können und lieber das jungfräuliche Blut unbeirrter Kinder sprechen zu lassen, bleibt infolge regierungsspezifischer als auch kultureller Förderungsinstanzen verboten.
Es gibt keinen Weg mehr, den Anspruch auf pubertäre Filmgestaltung äußern zu können, obwohl die besten Filme selbst jener deutschen Filmregisseure, die ich oben schon erwähnte, eindeutig als pubertäre Machwerke bezeichnet werden müssen. Die Welt des pubertären Films ist verschlossen worden, obwohl jedes Gremium, jede Regierung nach Innovation brüllt. Der pubertäre Film, so wie ich ihn gemacht habe, war ein Kraftakt mit hunderten von glücklichen Zufällen. Er bleibt einmalig, zumal er Einmaliges eingefangen hat.
Und dennoch steht er vor der Entscheidung, sich anzupassen oder das Zeitliche zu segnen. Welcher Produzent, welche Redaktion, welche Verleihfirma wird bereit sein, den Anspruch des inszenierten Verbrechens offen mitzubegleiten. Und welcher Schauspieler, welcher Drehbuchautor wird bereit sein, seinen Kopf darauf zu setzen?
Bis jetzt begleiten uns nur die Freunde des Kalküls, nicht aber die des organisierenden Verbrechens, einer viel reineren und ursprünglicheren Form der
Selbstachtung, die zwangsläufig, nach normalen Gesichtspunkten beurteilt, viel mit Imagination zu tun hat und den, möglichst effektvollen, eigenen Auftritt, nicht aber den verlogenen und Märtyrern zugeteilten – angeblich der Allgemeinheit nützenden – Auftritt zum Ziel hat.
Organisation bedeutet, den Kern der Welt zu verstehen. Der aber ist nicht zu verstehen. Er steht auf weiter Flur und lacht sich ins Fäustchen, wenn die Märtyrer kommen und für die bessere Welt in ihren Filmen predigen. Die bessere, weil ehrlichere Welt jedoch ist das Verbrechen. Sie will den Gescheiterten. Sie will jenen, der auf’s Verrecken nicht aufgeben will. Sie will den, der seinen Wahn zum Ausdruck bringt und sich nicht im geringsten auf das Danach konzentriert, sondern nur auf das Hier und Jetzt.
Diese Momente gilt es in Filmen einzufangen: Das Hier und Jetzt. Nicht das Gestern und Übermorgen. Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit ist eine ganz beschissene Lüge. Er will uns die Gegenwart vergraulen. Er will uns beruhigen. Er will uns in einen Bereich führen, der die Gegenwart zum Mörder erklärt, wobei die Gegenwart, die uneingeschränkte Berechtigung zum Mord, wenn nicht sogar zum Massenmord besitzt.
Der Mensch, oder besser gesagt, der Regisseur, der uns erzählen
will, die Gegenwart müsse sich der Vergangenheit gegenüber verantworten, jener Typus Mensch gehört in die Zukunft katapultiert. Denn nur ein Mensch, der seine Vergangenheit hat und sie ständig zu seinem Vor- oder Nachteil zitiert oder interpretiert, ist ein gefährdeter Mensch. Er befindet sich im Stillstand. Er sieht sich in der Verantwortung, eine, wenn nicht sogar seine, Tradition am Laufen zu halten, auch wenn sie noch so makaber oder sinnlos gewesen ist. Das klingt zwar recht
pessimistisch, ist aber nicht mehr als ein sich zur Tat bekennender positiver Nihilismus, dessen Ziel es nur sein kann, nach vorne zu blicken und die Zutaten von früher gut zu kennen, damit man sie möglichst frei und beliebig zur eigenen Tat benutzen kann.
Der Gangster, um wieder auf den Beginn meines Ergusses zurückzukommen, der nur seine früheren Taten ins Felde führt, ist ein schlechter Gangster. Er wird uns zwar im schlimmsten Fall, mitten in der Tat, zu unterhalten, nicht aber direkt zu reagieren wissen. Er wird schießen, weil er es schon einmal so und nicht anders getan hat, und er wird auch genauso davonkommen. Wir jedoch, die wir ihm schon ein früheres Mal geglaubt haben, werden dahocken und den Kopf riskieren. Dann aber haben wir verloren! (...)
Von daher bin ich der festen Überzeugung, dass man einen Film im Zustand der Ohnmacht und pubertären Einsicht gestalten sollte. Also in einem Zustand der Selbstaufgabe, ohne die Erfahrung der Bestrafung. Nur so wird es möglich sein, noch brutalere,noch perversere Gedanken zu entwickeln, die nicht mehr das Kleid eines Möchtegerns, sondern vielmehr das Gewand eines Kardinals tragen.
Darunter den beißenden Geruch des eigenen Körpers und darüber den Weihrauch von Millionen.
ZUSATZ
Wenn man nun also glauben könnte, ich würde hier ebenso wie die anderen eine Botschaft über die Welt oder meine eigene Empfindung in der Welt verkünden, also eine Message, dann muss ich denjenigen oder diejenige enttäuschen: Ich will keine Message, ich fordere lediglich eine Messe!
Eine Messe als Symbol, in einer Welt der peinlichen Symbole, für all die, die täglich um Verzeihung bitten und die täglich auf Erlösung hoffen (- aus Tunguska / Major Pater Hilf – Rede -). Eine Messe also für all jene, die wir schlachten und ermorden wollen.
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Erstmals veröffentlicht in: Filmwärts, Nr. 7, Mai 1987
Aus Anlass des Abschlusses der DVD-Edition mit allen Filmen von Christoph Schlingensief danken wir der Filmgalerie 451 für die freundliche Genehmigung zur Wiederveröffentlichung dieses Textes.