Land, ich sehe dich |
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Auf der Suche nach der verlorenen Kindheit: Apples | ||
(Foto: Trigon / Griechische Filmwoche) |
Von Elke Eckert
Nachdem die Griechische Filmwoche München 2020 erstmals online stattfand, ist die 35. Ausgabe wieder auf der großen Leinwand zu sehen. Eine Premiere gibt es allerdings auch in diesem Jahr: Das Jubiläumsprogramm wird wegen der Sanierung des Gasteigs im Interimsquartier Gasteig HP8 in der Hans-Preißinger-Straße 8 in Sendling gezeigt, nur der Eröffnungsfilm läuft traditionell im Carl-Orff-Saal in Haidhausen. 2021 feiert der Veranstalter Cinephile München e.V. mit seiner sehr facettenreichen Filmauswahl nicht nur dreieinhalb Jahrzehnte hellenische Filmkunst in der Isarmetropole, sondern auch 100 Jahre griechisches Kino.
Nach knapp zwei Jahren Pandemie kommt einem die Geschichte, die Christos Nikou in Apples erzählt, in gewisser Weise bekannt vor. Im Eröffnungsfilm der Filmtage geht es um eine seltsame Epidemie, die Griechenlands Bevölkerung heimsucht und bei Betroffenen akuten Gedächtnisverlust auslöst. Auch der 40-jährige Aris weiß plötzlich nicht mehr, wer er ist. Um sich wieder an irgendetwas erinnern zu können, nimmt er an einem Programm in einer Spezialklinik teil und lernt dabei Anna kennen… Die surreale Tragikomödie feierte ihre Weltpremiere 2020 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig und wurde von Griechenland ins Oscar-Rennen um den besten fremdsprachigen Film geschickt. (Donnerstag, 11. November, 19 Uhr, Carl-Orff-Saal, Gasteig und Mittwoch, 17. November, 18 Uhr, Gasteig HP8)
Die Hauptdarstellerin in Angeliki Antonious Drama Green Sea leidet ebenfalls an einer Amnesie und trägt darüber hinaus denselben Namen wie die Protagonistin im Eröffnungsfilm. Diese Anna landet allerdings in einer Taverne, wo sie Besitzer Roula und seine Gäste mit ihren Kochkünsten verzaubert. Die Überraschung ist groß, als Roula ihre wahre Identität entdeckt. – Die filmische Adaption des Romans »Um das Meer zu sehen« lief zum ersten Mal auf dem Internationalen Filmfestival von Thessaloniki. (Montag, 15. November, 20:30 Uhr und Samstag, 20. November, 18 Uhr)
Etwas aus der Zeit gefallen wirkt auch der penible Nikos mit seiner Vorliebe für Etikette. Als seiner Schneiderei in der Athener Innenstadt der Bankrott droht, wird ihm bewusst, dass er sich beruflich neu erfinden muss. Und so wird aus Nikos, dem Schneider alter Schule, Der Hochzeitsschneider von Athen, der sein Geschäft gegen einen Marktstand tauscht und fortan Brautkleider näht. – Der Film von Sonia Liza Kenterman punktet mit viel Humor und Poesie. (Sonntag, 14. November, 20:30 Uhr und Donnerstag, 18. November, 18 Uhr)
Gleichermaßen prekär ist die finanzielle Situation von Aliki und Petros. Als beide ihre Jobs verlieren, müssen sich das junge Paar und ihr kleiner Sohn wohl oder übel von liebgewonnenen Privilegien verabschieden. Statt der teuren Wohnung in der Hauptstadt wird eine billigere Bleibe in einem Küstenort zum neuen Zuhause. Doch die Angst, nie mehr in ihr altes Leben zurückkehren zu können, überschattet den Alltag der Familie. – Michalis Konstantatos' Drama All the Pretty Little Horses erzählt im Stil eines Horrorfilms von existenziellen Bedrohungen, mit der viele Angehörige der Mittelschicht seit der Finanzkrise zu kämpfen haben. (Montag, 15. November, 18 Uhr und Donnerstag, 18. November, 20:30 Uhr)
Obwohl erst Mitte 20, hatte auch Viktoras schon bessere Zeiten. In jüngeren Jahren war er ein erfolgreicher Turmspringer, jetzt bestimmt ein trostloser Job sein Leben in einer griechischen Kleinstadt. Als seine Großmutter stirbt, überwindet Viktoras seine Lethargie, wagt den titelgebenden Sprung ins kalte Wasser und macht sich auf den Weg nach Deutschland – zu seiner Mutter, die er lange nicht mehr gesehen hat. Unterwegs trifft er Mathias, einen jungen Deutschen, der Viktoras auf seinem Trip durch Europa begleitet und viele Fragen aufwirft. – Stelios Kammitsis' Roadmovie ist gleichzeitig eine romantische Liebesgeschichte, die mit jedem zurückgelegten Kilometer intensiver wird. (Dienstag, 16. November, 20:30 Uhr und Sonntag, 21. November, 20:30 Uhr)
Weniger romantisch, aber trotzdem eng ist die Beziehung der zwei Männer, die im Mittelpunkt von In the Strange Pursuit of Laura Durand stehen. Antonis und Christos teilen sich nicht nur eine Minibude, sondern auch das Arbeitslosengeld von Christos. Was sie sonst noch brauchen, verdienen sie sich mit Aushilfsjobs. Den Rest der Zeit verbringen die beiden Freunde mit ihrem gemeinsamen Idol Laura Durand beziehungsweise beim Schauen ihrer Filme. Dass der Erotikstar im wahren Leben auf geheimnisvolle Weise verschwunden ist, macht ihn nur noch interessanter. So interessant, dass Antonis und Christos sich eines Tages auf die Suche nach Laura begeben… – Die Komödie von Dimitris Bavellas lebt von ihren originellen Figuren und dem tollen Soundtrack.(Samstag, 13. November, 18 Uhr und Mittwoch, 17. November, 20:30 Uhr)
Über ihre Sexarbeit, aber auch über Anfeindungen und Verhaftungen erzählen drei griechische LGBTQIA-Aktivistinnen in der sehr persönlichen Doku The Oleanders. Die Regisseurin Paola Revenioti ist eine von ihnen. Bei einer gemeinsamen Tour durch das nächtliche Athen wird die Vergangenheit der drei Frauen wieder lebendig und damit auch die Schwierigkeiten, mit denen sie zurechtkommen mussten. (Samstag, 13. November, 20:30 Uhr und Dienstag, 16. November, 18 Uhr)
Ein intimes Porträt ist auch George Markakis mit seiner Doku Ex gelungen. Bei einem Streifzug durchs Berliner Nachtleben konzentriert er sich auf die Geschichten, die sich im Verborgenen beziehungsweise auf den Toiletten der Clubs abspielen. Diese Orte sind oft alles andere als still, weil sie nicht nur als Drogenumschlagplatz dienen, sondern dort auch Ängste und Wahrheiten schonungslos ausgesprochen werden. George Markakis ist Gast der Filmwoche und wird bei der Vorführung seines Films anwesend sein. (Samstag, 20. November, 20:30 Uhr)
Ebenfalls vor Ort ist die Regisseurin von Golden Dawn: A Public Affair bei der ersten Vorstellung ihrer Dokumentation. Angélique Kourounis befasst sich in ihrem Film mit der Rolle der Neonazi-Partei »Goldene Morgenröte« in der griechischen Politik. Und macht deutlich, welche Ursachen und Wirkungen dafür verantwortlich sind, dass die extreme Gruppierung, obwohl sie mittlerweile als kriminelle Organisation eingestuft wurde, immer noch auf der politischen Bühne aktiv ist. (Freitag, 12. November, 19 Uhr und Sonntag, 21. November, 18 Uhr)
Im Rio Filmpalast läuft der Dokumentarfilm King Otto als Special Screening – und er verbindet Griechenland und Deutschland tatsächlich auf besondere Weise. Die Hommage an die deutsche Trainerlegende Otto Rehhagel ist zugleich auch ein Rückblick auf den triumphalen Erfolg der griechischen Nationalmannschaft, der bei der Europameisterschaft 2004 mit Rehhagel als Trainer das schier Unmögliche glückte: als Außenseiterteam Europameister zu werden. Regisseur Christopher André Marks zeichnet die einzelnen Stationen nach und lässt die wichtigsten Protagonisten zu Wort kommen. (Freitag, 19. November, 18 Uhr)
Neben diesen aktuellen Produktionen umfasst das diesjährige Programm der Griechischen Filmwoche auch eine Auswahl von beliebten Klassikern der 100-jährigen griechischen Filmgeschichte, die anlässlich der 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit Griechenlands digitalisiert wurden.
Das Ganze steht unter dem Motto »Land, ich sehe dich« und ist eine Initiative der Griechischen Filmakademie unter der Schirmherrschaft der Kommission »Griechenland 2021«, gesponsert vom Nationalen Zentrum für Audiovisuelle Medien und Kommunikation, dem Griechischen Filmzentrum, dem Athen & Epidauros Festival sowie dem Internationalen Filmfestival von Thessaloniki mit Unterstützung des Griechischen Filmarchivs.
Einer der sechs ausgewählten Klassiker ist die musikalische Komödie Girls in Kisses von 1965. Die New Yorkerin Rena fliegt mit ihrer Nichte Jenny nach Rhodos und steckt dort bald mittendrin in einem Verwirrspiel um Geld und Liebe. – Die Musicalproduktion war der erste griechische Farbfilm, der im Cinemascope-Format gedreht wurde. (Samstag, 13. November, 14 Uhr)
Auch beim Dreh von Mantalena gab es eine Premiere. Die Tragikomödie von 1960 war der erste Film, der außerhalb eines Studios entstand. Als ihr Vater stirbt, muss Mantalena sich nicht nur um ihre jüngeren Geschwister kümmern, sondern auch das Fahrgeschäft übernehmen, das die Familie ernährt. Doch die Inselgemeinde hat ein Problem damit, dass die junge Frau berufstätig ist… Hauptdarstellerin Aliki Vougiouklaki wurde auf dem Internationalen Filmfestival von Thessaloniki als beste Schauspielerin ausgezeichnet. (Samstag, 13. November, 11 Uhr)
Annas Verlobung von 1972 ist das Spielfilmdebüt von Pantelis Voulgaris, einem der bedeutendsten Vertreter des griechischen Kinos. Auch hier geht es um eine junge Frau, die Geld für ihre Familie verdienen muss – allerdings nicht als selbständige Unternehmerin, sondern als Dienstmädchen, das von ihren großbürgerlichen Herrschaften auch noch einen Verlobten aufgedrängt bekommt. Anna begehrt gegen die Unterdrückung auf… Voulgaris kritisiert mit seinem Drama die Ständegesellschaft zu Zeiten der griechischen Militärdiktatur. (Sonntag, 14. November, 11 Uhr)
Von einem weiteren Regie-Großmeister stammt das Drama Die Wanderschauspieler. Theodoros Angelopoulos verknüpft die privaten Schicksale seiner Protagonisten meisterhaft mit den politischen Ereignissen zwischen den Kriegs- und Nachkriegsjahren 1939 und 1952. Der 230-Minüter von 1975 wird noch heute zu den besten europäischen Filmen gezählt. (Sonntag, 14. November, 13 Uhr)
In der tragikomischen Satire Loafing and Camouflage von 1984 wird noch einmal an die Militärdiktatur erinnert. Regisseur Nikos Perakis erzählt mit autobiografischen Anleihen, wie Soldaten zur Militärpropaganda abgestellt wurden, und macht daraus eine unterhaltsame politische Posse. (Sonntag, 21. November, 14 Uhr)
Höhepunkt der Klassikschau ist der Politthriller Z – Anatomie eines politischen Mordes, für den Meisterregisseur Costa-Gavras 1969 den Jurypreis der Internationalen Filmfestspiele von Cannes erhielt und der darüber hinaus mit zwei Oscars (bester fremdsprachiger Film und bester Schnitt) ausgezeichnet wurde. Das Drama beruht auf wahren Begebenheiten vor Beginn der Militärdiktatur. Bei einer Veranstaltung von Oppositionellen wird ein populärer Politiker ermordet. Die Regierenden wollen den Todesfall verharmlosen und übertragen die Untersuchung einem jungen Richter. Als dieser wider Erwarten sehr gründlich ermittelt, gerät er massiv unter Druck… Es war für Constantin Costa-Gavras nicht leicht, seinen regimekritischen Film während der Militärdiktatur zu realisieren. Die Dreharbeiten mussten nach Algerien verlegt werden, die Produktionsfirma und die Hauptdarsteller Yves Montand und Jean-Louis Trintignant kamen aus Frankreich. (Sonntag, 21. November, 11 Uhr)
Das Programm der Griechischen Filmwoche rundet wie immer eine Auswahl der besten Kurzfilme vom alljährlichen Thessaloniki International Short Film Festival ab. (Sonntag, 14. November, ab 18 Uhr)