06.01.2022

Regia: Donna

Figlia mia
Zwischen Müttern: Figlia mia
(Foto: Real Fiction)

Frauen führen Regie und schreiben das Drehbuch in der neuen Filmreihe des italienischen Kulturvereins Circolo Cento Fiori in München

Von Elke Eckert

Der Circolo Cento Fiori, Mitglied der Filmstadt München e.V., zeigt von kommendem Dienstag, 11. Januar, bis Mittwoch, 19. Januar, eine gute Woche lang seine dies­jäh­rige Filmreihe Regia Donna 2000 im Film­mu­seum München. Bei allen sieben Filmen haben Frauen die Regie über­nommen. Darüber hinaus hat jede der Filme­ma­che­rinnen zumindest am Drehbuch mitge­ar­beitet, wenn sie nicht die alleinige Autorin war. Auch vor der Kamera spielen Frauen die Haupt­rollen. Nicht alle kommen wie die Regis­seu­rinnen aus Italien, sondern zum Beispiel auch aus Groß­bri­tan­nien, der Ukraine oder der Slowakei. Was sie aber alle, unab­hängig ihrer Herkunft oder ihres Alters eint, ist die weibliche Sicht auf ihre Rollen und Geschichten. Sie wissen, was es heißt, Beruf und Familie unter einen Hut bringen zu müssen, welche Heraus­for­de­rungen Mütter zu meistern haben und dass familiäre Bezie­hungen sehr schwierig und fordernd sein können. Und sie über­tragen diese Erfah­rungen und Gefühle anrührend und aufrichtig in ihre Filme.

Im ersten Film der Reihe, Meine Tochter – Figlia Mia, konkur­rieren gleich zwei Mütter um die Liebe und Zuneigung der 10-jährigen Vittoria. Als diese ihre leibliche Mutter Angelica kennen­lernt, entfernt sie sich immer mehr von ihrer Adop­tiv­mutter Tina. Die will das Mädchen vor der alko­hol­kranken und sexuell frei­zü­gigen Angelica beschützen, hat aber vor allem Angst, Vittoria zu verlieren. Deshalb sichert sie der hoch­ver­schul­deten Angelica finan­zi­elle Unter­s­tüt­zung zu, in der Hoffnung, dass die Chaotin und Konkur­rentin ihren von Zwangs­räu­mung bedrohten Hof räumt und Sardinien in Richtung Festland verlässt… Regis­seurin Laura Bispuri hat das Origi­nal­dreh­buch gemeinsam mit Francesca Manieri geschrieben. Das Drama, mit Alba Rohr­wa­cher und Valeria Golino in den Haupt­rollen ausge­zeichnet besetzt, wurde im Rahmen der 68. Berlinale im Februar 2018 urauf­ge­führt. (Dienstag, 11. Januar, um 19 Uhr) (artechock-Kritik)

Alba Rohr­wa­cher spielt auch eine der Haupt­rollen in Ginevra Elkanns Fami­li­en­drama Magari (Wenn nur…). Diesmal aller­dings keine Mutter, sondern die neue Freundin eines getrennt­le­benden Vaters. Wenn nur… die geschie­denen Eltern wieder zusam­men­finden könnten – es gibt nichts, was sich die acht­jäh­rige Alma mehr wünscht. Als sie von ihrer Mutter mit ihren beiden älteren Geschwis­tern über die Weih­nachts­fe­rien zu ihrem Vater nach Rom geschickt wird, hat Alma, aus deren Perspek­tive die Geschichte erzählt wird, nicht das Gefühl, will­kommen zu sein. Sie fühlt sich ungeliebt und hadert mit ihrem Leben… Der leise und eindring­liche Film gerät schon durch seinen beson­deren Blick­winkel nie in Gefahr, in Bana­li­täten und Klischees zu versinken. Alma-Darstel­lerin Oro de Commarque überzeugt als Dreh- und Angel­punkt des Films. (Freitag, 14. Januar, um 19 Uhr)

Eine Mittel­schichts­fa­milie und der Ort der Handlung, die italie­ni­sche Haupt­stadt, verbinden Francesca Archi­bugis Drama Leben (Vivere) mit dem Vorgän­ger­film. Doch hier stehen nicht so sehr die Kinder im Zentrum, sondern die mit ihrer Mutter­rolle über­for­derte Susi und das irische Au-Pair-Mädchen Mary Ann, das für zusätz­li­ches Chaos im Fami­li­en­ge­füge sorgt. Dass Töch­ter­chen Lucilla an Asthma leidet, macht die Gesamt­si­tua­tion noch kompli­zierter. – Regis­seurin und Dreh­buch­au­torin Archibugi ist für ihren schnör­kel­losen Stil bekannt, der ihre Filme sehr realis­tisch erscheinen lässt. Das Bezie­hungs­drama feierte im August 2019, bei den 76. Inter­na­tio­nalen Film­fest­spielen von Venedig, seine Welt­pre­miere. (Mittwoch, 19. Januar, um 19 Uhr)

Im Drama Justiz­pa­last (Palazzo di giustizia) rücken zwei Kinder, deren Väter vor Gericht stehen, im Lauf des Films in den Mittel­punkt. Die beiden sitzen vor dem Gerichts­saal, in dem ein Raubü­ber­fall mit tödlichem Ausgang verhan­delt wird. Die kleine Luce ist die Tochter des jungen Mannes, der gemeinsam mit einem Komplizen eine Tank­stelle über­fallen hat. Dieser Komplize wurde dabei vom Tankwart in Notwehr erschossen, dessen fast erwach­sene Tochter Domenica ebenfalls im Gerichts­flur auf den Ausgang der Verhand­lung wartet. – Durch die genaue Beob­ach­tung der zwei Mädchen wird die mensch­liche Ebene des Gesche­hens gekonnt mit der unper­sön­li­chen Atmo­sphäre im Gerichts­ge­bäude verknüpft. Regis­seurin und Dreh­buch­au­torin Chiara Bellosi kommt ursprüng­lich vom Doku­men­tar­film, für ihr Spiel­film­debüt hat sie über ein Jahr in diversen Gerichten großer italie­ni­scher Städte recher­chiert und dabei auch das Vorbild für die Figur der Luce entdeckt. (Mittwoch, 12. Januar, um 19 Uhr)

Eine nicht unpro­ble­ma­ti­sche Beziehung zu ihrem Vater beein­flusste auch das Leben von Eleanor Marx, der jüngsten Tochter von Karl Marx. Die titel­ge­bende Miss Marx war eine der ersten Frauen, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hun­derts für Gleich­be­rech­ti­gung und Eman­zi­pa­tion stark machte. Einer­seits wollte sie unbedingt das Erbe ihres Vaters bewahren, ande­rer­seits war es ihr zeit­le­bens wichtig, als eigen­s­tän­dige Persön­lich­keit anerkannt zu werden. Ihr Kampf um Unab­hän­gig­keit schei­terte aller­dings letztlich an ihren privaten Liebes­be­zie­hungen. So frei sie in ihren poli­ti­schen Ansichten war, so emotional abhängig war sie sowohl von ihrem lang­jäh­rigen Verlobten als auch von ihrem späteren Lebens­ge­fährten… Das Biopic von Susanna Nicchia­relli war zuerst beim Film­fes­tival von Venedig und danach auf der Viennale zu sehen. Die britische Schau­spie­lerin Romola Garai brilliert in der Titel­rolle. (Dienstag, 18. Januar, um 19 Uhr)

In Letizia Lamar­tires Film Wir werden jung und schön sein (Saremo giovani e bellis­simi) geht es um eine kompli­zierte Mutter-Sohn-Beziehung: Die allein­er­zie­hende Isabella pflegt ein fast symbio­ti­sches Verhältnis zu ihrem erwach­senen Spröss­ling Bruno. Das geht so weit, dass die Sängerin mit ihrem Sohn gemeinsam auftritt und die beiden deshalb oft für ein Paar gehalten werden. Die unklare Rollen­ver­tei­lung in der engen Verbin­dung birgt aber auch darüber hinaus Probleme. – Dass die Regis­seurin selbst als Musikerin Erfahrung gesammelt hat, merkt man dem Film an. Vor allem insofern, als die Musik nicht nur eine wichtige Rolle innerhalb der Geschichte spielt, sondern auch für deren Struktur. (Samstag, 15. Januar, um 20 Uhr)

Welche Schwie­rig­keiten die Mutter­rolle mit sich bringen kann, zeigt auch Maura Delperos Maternal sehr eindring­lich. Im Mittel­punkt der Geschichte, die in einem von Nonnen betrie­benen Frau­en­haus in Buenos Aires spielt, stehen die 17-jährige Mutter Lu und die junge Novizin Paola. Die rebel­li­sche und unreife Lu lässt eines Nachts ihr Kind allein, um sich mit ihrem Liebhaber zu treffen. Paola springt ein und kümmert sich fürsorg­lich um die kleine Nina. Das Mädchen wächst ihr ans Herz, was proble­ma­tisch wird, als Lu wieder zurück­kommt… Das mehrfach ausge­zeich­nete Drama ist der erste Spielfilm der Südti­roler Regis­seurin und Dreh­buch­au­torin, die sich zuvor als Doku­men­tar­fil­merin einen Namen gemacht hat. (Samstag, 15. Januar, um 17 Uhr)

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Circolo Cento Fiori: Regia Donna
11.01.–19.01.2022
Film­mu­seum München