10.02.2022
Kinos in München – Theatiner-Offizierin

Die Kino-Offizierin

Marlies Kirchner
Wirkungsort der Grande Dame des Kinos: das Kassenhäuschen
(Foto: Marlies Kirchner)

Marlies Kirchner, Betreiberin der Theatiner Filmkunst in München, wurde mit dem zweithöchsten Orden des französischen Kultusministeriums geehrt. Sie ist jetzt »Officier des Arts et des Lettres«

Von Dunja Bialas

Marlies Kirchner, Kino­be­trei­berin des Theatiner in München, konnte man bis zum Ausbruch der Pandemie beinahe täglich an ihrem liebsten Platz antreffen: im Kassen­häu­schen. Ein Plausch mit den Besu­che­rinnen und Besuchern war immer an der Tages­ord­nung, und sie sorgte dafür, dass Stamm­gäste frisch aufge­brühten Kaffee bekamen. Sie behielt den Überblick über die Vorgänge im Eingangs­be­reich und hielt Kontakt zum unteren Foyer, wo sich die Flügel­türen zum eigent­li­chen Herzstück öffnen: dem denk­mal­ge­schützten Kinosaal.

Dass dieser gut besucht ist, ist Marlies Kirchners größtes Anliegen, aber nicht um jeden Preis. Sehr sorg­fältig wählt sie ihr Kino­pro­gramm aus, was ihr 2018 den Prix Europa Cinéma für die beste Programm­ge­stal­tung einbrachte, zwei Jahre nach der großen Auszeich­nung mit der Berlinale-Kamera.

Die Sorge um ihr Kino war immer auch eine Sorge um das Kino. Mitten im ersten Lockdown, als alle Kinos geschlossen waren und das Leben auf Null herun­ter­ge­fahren, rief sie mich an mit den Worten: »Dunja, wir müssen was tun.« Sie wollte ihr Kino als eine der ersten Betrei­be­rinnen wieder öffnen und gab den Anstoß für eine Vielzahl an offenen Briefen und zur »Gemein­schaft der Münchner Kinos«, die sich für die Proteste zusam­men­ge­schlossen hatten.

Jetzt wurde Marlies Kirchner mit einer der höchsten kultu­rellen europäi­schen Auszeich­nungen geehrt. Am 25. Januar 2022 erhielt sie für ihr Enga­ge­ment für die fran­zö­si­sche Film­kultur die Insignien des »Officier des Arts et des Lettres«.

Die Theatiner Filmkunst, wie »das Theatiner« korrekt heißt, ist benannt nach dem Verleih des 2009 verstor­benen Walter Kirchner (»Filmkunst Walter Kirchner«), der einer der großen Verleih­pio­niere ab den Fünf­zi­ger­jahren war. 1976 übernahm Marlies Kirchner das Kino in der Theatiner-Passage von ihrem Mann und leitet es seitdem in Eigen­regie. In 45 Jahren hat sie, das muss man hervor­heben, denn es könnte auch Ausrut­scher geben, mit überaus gutem Film­ge­schmack und program­ma­ti­schem Gespür fremd­spra­chige Filme der Romania und vor allem aus Frank­reich ins Kino gebracht – über die Hälfte der Theatiner-Filme sind fran­zö­sisch. Zu Zelluloid-Zeiten war das Theatiner das Licht­spiel­haus mit den besten Zuschau­er­zahlen im OmU-Bereich, weshalb bei der Umstel­lung auf die Digi­tal­pro­jek­tion allein für den Einsatz im Theatiner noch veritable Film­ko­pien gezogen wurden. Für die Verleiher hat es sich gelohnt. Gene­ra­tionen von Frank­reich­be­geis­terten konnten bei Marlies Kirchner die fran­zö­si­sche Kultur kennen- und lieben­lernen und sahen bei ihr die wichtigen Werke des Kinos, das in Frank­reich als »Septième Art« Hoch­kultur-Status genießt.

Bis vor wenigen Jahren fuhr sie regel­mäßig nach Cannes, dem großen Handels­platz für fran­zö­si­sche Filme, um die neuesten Produk­tionen in Augen­schein zu nehmen. Wenn die meinungs­starke und geschmacks­si­chere Frau Interesse an bestimmten Filmen zeigte, war dies auch maßgeb­lich für die deutschen Verleiher. Seit insgesamt siebzig Jahren prägt Marlies Kirchner so die Kino­kultur in Deutsch­land, mit größt­mög­li­chem und bisweilen auch uner­schro­ckenem Einsatz für den guten fran­zö­si­schen Film. Nur die Komödien aus Frank­reich hat sie oft mit Kopf­schüt­teln begleitet, wenn sie auch für volle Kassen sorgten – das war nicht ihre Idee vom Kino. Und weil ich ähnlich dachte, schickte sie mich einmal, um im Bild der Offi­zierin zu bleiben, als ihre »Soldatin« aufs Feld, damit ich in einem Interview einem Jour­na­listen sagen würde, was von den Komödien zu halten sei. Ich habe das gerne gemacht. Marlies Kirchner wirkte lieber im Hinter­grund.

Die fran­zö­si­sche Gene­ral­kon­sulin Corinne Pereira, die am Tag der Verlei­hung im Kinosaal – einen passen­deren Ort hätte man sich nicht wünschen können – den Orden ans Revers der Kino­be­trei­berin heftete, würdigte sie in der Rede als »Grande Dame der Münchner Kultur« und das Theatiner als »leben­digen Leucht­turm«. Marlies Kirchner ist nun Trägerin des Ordens »Officier dans l’ordre des Arts et Lettres«. Sie ist eine Offi­zierin der Künste, die zwar ohne Säbel, aber trotzdem mit Nachdruck und unbe­irrbar für das Kino als eine hohe Kunstform eintritt.