Kinos in München – Theatiner-Offizierin
Die Kino-Offizierin |
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Wirkungsort der Grande Dame des Kinos: das Kassenhäuschen | ||
(Foto: Marlies Kirchner) |
Von Dunja Bialas
Marlies Kirchner, Kinobetreiberin des Theatiner in München, konnte man bis zum Ausbruch der Pandemie beinahe täglich an ihrem liebsten Platz antreffen: im Kassenhäuschen. Ein Plausch mit den Besucherinnen und Besuchern war immer an der Tagesordnung, und sie sorgte dafür, dass Stammgäste frisch aufgebrühten Kaffee bekamen. Sie behielt den Überblick über die Vorgänge im Eingangsbereich und hielt Kontakt zum unteren Foyer, wo sich die Flügeltüren zum eigentlichen Herzstück öffnen: dem denkmalgeschützten Kinosaal.
Dass dieser gut besucht ist, ist Marlies Kirchners größtes Anliegen, aber nicht um jeden Preis. Sehr sorgfältig wählt sie ihr Kinoprogramm aus, was ihr 2018 den Prix Europa Cinéma für die beste Programmgestaltung einbrachte, zwei Jahre nach der großen Auszeichnung mit der Berlinale-Kamera.
Die Sorge um ihr Kino war immer auch eine Sorge um das Kino. Mitten im ersten Lockdown, als alle Kinos geschlossen waren und das Leben auf Null heruntergefahren, rief sie mich an mit den Worten: »Dunja, wir müssen was tun.« Sie wollte ihr Kino als eine der ersten Betreiberinnen wieder öffnen und gab den Anstoß für eine Vielzahl an offenen Briefen und zur »Gemeinschaft der Münchner Kinos«, die sich für die Proteste zusammengeschlossen hatten.
Jetzt wurde Marlies Kirchner mit einer der höchsten kulturellen europäischen Auszeichnungen geehrt. Am 25. Januar 2022 erhielt sie für ihr Engagement für die französische Filmkultur die Insignien des »Officier des Arts et des Lettres«.
Die Theatiner Filmkunst, wie »das Theatiner« korrekt heißt, ist benannt nach dem Verleih des 2009 verstorbenen Walter Kirchner (»Filmkunst Walter Kirchner«), der einer der großen Verleihpioniere ab den Fünfzigerjahren war. 1976 übernahm Marlies Kirchner das Kino in der Theatiner-Passage von ihrem Mann und leitet es seitdem in Eigenregie. In 45 Jahren hat sie, das muss man hervorheben, denn es könnte auch Ausrutscher geben, mit überaus gutem Filmgeschmack und programmatischem Gespür fremdsprachige Filme der Romania und vor allem aus Frankreich ins Kino gebracht – über die Hälfte der Theatiner-Filme sind französisch. Zu Zelluloid-Zeiten war das Theatiner das Lichtspielhaus mit den besten Zuschauerzahlen im OmU-Bereich, weshalb bei der Umstellung auf die Digitalprojektion allein für den Einsatz im Theatiner noch veritable Filmkopien gezogen wurden. Für die Verleiher hat es sich gelohnt. Generationen von Frankreichbegeisterten konnten bei Marlies Kirchner die französische Kultur kennen- und liebenlernen und sahen bei ihr die wichtigen Werke des Kinos, das in Frankreich als »Septième Art« Hochkultur-Status genießt.
Bis vor wenigen Jahren fuhr sie regelmäßig nach Cannes, dem großen Handelsplatz für französische Filme, um die neuesten Produktionen in Augenschein zu nehmen. Wenn die meinungsstarke und geschmackssichere Frau Interesse an bestimmten Filmen zeigte, war dies auch maßgeblich für die deutschen Verleiher. Seit insgesamt siebzig Jahren prägt Marlies Kirchner so die Kinokultur in Deutschland, mit größtmöglichem und bisweilen auch unerschrockenem Einsatz für den guten französischen Film. Nur die Komödien aus Frankreich hat sie oft mit Kopfschütteln begleitet, wenn sie auch für volle Kassen sorgten – das war nicht ihre Idee vom Kino. Und weil ich ähnlich dachte, schickte sie mich einmal, um im Bild der Offizierin zu bleiben, als ihre »Soldatin« aufs Feld, damit ich in einem Interview einem Journalisten sagen würde, was von den Komödien zu halten sei. Ich habe das gerne gemacht. Marlies Kirchner wirkte lieber im Hintergrund.
Die französische Generalkonsulin Corinne Pereira, die am Tag der Verleihung im Kinosaal – einen passenderen Ort hätte man sich nicht wünschen können – den Orden ans Revers der Kinobetreiberin heftete, würdigte sie in der Rede als »Grande Dame der Münchner Kultur« und das Theatiner als »lebendigen Leuchtturm«. Marlies Kirchner ist nun Trägerin des Ordens »Officier dans l’ordre des Arts et Lettres«. Sie ist eine Offizierin der Künste, die zwar ohne Säbel, aber trotzdem mit Nachdruck und unbeirrbar für das Kino als eine hohe Kunstform eintritt.