17.03.2022

Methode Rainer Werner Fassbinder

RWF
Die zwei Accessoires des R.W.F.: Kamera und Kippe
(Foto: Bonner Bundeskunsthalle)

Die Bonner Bundeskunsthalle widmete Rainer Werner Fassbinder zu seinem 40. Todestag eine umfassende Retrospektive. Eine persönliche Ausstellungsbegehung

Von Peter Kremski

Die große Fass­binder-Ausstel­lung in der Bonner Bundes­kunst­halle ist nach einem halben Jahr am 6. März zu Ende gegangen. Die Kuratoren Hans-Peter Reichmann & Isabelle Louise Bastian vom Deutschen Film­in­stitut Frankfurt mit Susanne Kleine von der Bundes­kunst­halle Bonn haben Groß­ar­tiges geleistet. Bei der Eröffnung am 10. September vorigen Jahres war ich der erhel­lenden Führung von Juliane Lorenz einmal durch die Ausstel­lung gefolgt, und mir war klar, für diese über­wäl­ti­gende Rückschau auf Fass­bin­ders Leben und Werk würde ich ganz für mich alleine noch ein zweites Mal brauchen. Wie das häufig so ist, schafft man das dann erst kurz vor Tores­schluss. Jetzt bin ich froh, dass es mir noch gelungen ist, zwei volle Tage in der Ausstel­lung abzu­tau­chen.

Inter­es­sant zu sehen, unter welchen, manchmal regel­recht aber­wit­zigen Arbeits­ti­teln Fass­bin­ders Filme entstanden. Götter der Pest hieß ursprüng­lich mal »Morgen­stund hat Gold im Mund«. Der ameri­ka­ni­sche Soldat, die Film­ver­sion von Fass­bin­ders gleich­na­migem Thea­ter­s­tück, wurde gleich unter zwei sonder­baren Arbeits­ti­teln in Angriff genommen; alter­nativ war einmal von »So viel Zärt­lich­keit«, ein anderes Mal von »Heilige Nacht« die Rede. »Kalter Stahl« war anfangs angedacht für Liebe ist kälter als der Tod. Und Warnung vor einer heiligen Nutte sollte zunächst »Zero Ville« heißen, was den Godard-Bezug sehr trans­pa­rent gemacht hätte (selbst Eddie Constan­tine spielt mit in diesem Film). Aus »Alle Türken heißen Ali« wurde später Angst essen Seele auf und aus »Fox – der spre­chende Kopf« zuletzt Faust­recht der Freiheit. Meist kann man froh sein, dass die Arbeits­titel keinen Bestand hatten.

Inter­es­sant natürlich auch, aus Fass­bin­ders Briefen zu ersehen, mit wem er per Du und mit wem er per Sie war. Per Du war er mit Alt-Produzent Horst Wendlandt und mit Romy Schneider, mit der er drei Projekte hatte, in einer ersten gemein­samen Vers­tän­di­gung 1975 Die Ehe der Maria Braun, drei Jahre später dann statt­dessen mit Hanna Schygulla reali­siert. Per Sie war er, zumindest am Anfang, mit seinem WDR-Produ­zenten Peter Märthe­s­heimer, der in einem Brief an Fass­binder von dessen »kühler Distanz« spricht. Und bis zum Schluss per Sie blieb er auf jeden Fall mit Bavaria-Chef Günter Rohrbach, dem er in einem Brief von 1980 an den Kopf wirft, der neue Luggi Wald­leitner geworden zu sein. Mit diesen Worten schmiss er ihm dann auch ein Film­pro­jekt vor die Füße, für das er schon das Drehbuch fertig hatte: »Hurra, wir leben noch«, auser­koren für die Haupt­rolle war Götz George. Bezeich­nend aber auch, in wie vielen Briefen an Fass­binder über die Jahre hinweg immer wieder die ignorante Schreib­weise »Faßbinder« verwendet wird.

In der Ausstel­lung auch zu finden: eine lange Liste von Musik­ti­teln, die Fass­binder in seinen Filmen verwendet hat. Englische und ameri­ka­ni­sche Rock- oder Popmusik, fran­zö­si­sche Chansons, deutsche Schlager und Werke klas­si­scher Musik werden von ihm regel­mäßig zitiert, das scheint ihm auch alles gleich­be­deu­tend gewesen zu sein. Fleetwood Mac, Velvet Under­ground oder Kraftwerk finden sich neben Georges Moustaki und Gilbert O’Sullivan, genauso wie neben Rocco Granata und Freddy Quinn oder Roy Black, nicht zu vergessen Ludwig van Beethoven und Gustav Mahler. Fünf Titel von Elvis Presley sind dabei, aber mit Abstand am häufigsten taucht immer wieder Leonard Cohen auf, der ihm anschei­nend besonders nahe war. Zehn Titel von Cohen sind in der Liste zu finden, darunter »Bird on a Wire«, »Sisters of Mercy« und »Lover, Lover, Lover«.

Impo­nie­rend die Gesangs­auf­tritte von Fass­bin­ders Diven, die sich in langen Loops anein­an­der­reihen, zu bewundern in Blackbox-Räumen auf großen Monitoren. Es treten auf: Carla Aulaulu, Ingrid Caven, Hanna Schygulla, Barbara Sukowa und zuletzt als krönender Abschluss die Nouvelle-Vague-Diva Jeanne Moreau. Auch Peer Raben hat für manche Filme Gesang­s­titel beigesteuert. Die gefühl­volle Musik von Fass­bin­ders Stamm­kom­po­nisten verleiht den Fass­binder-Filmen überhaupt erst ihre so ganz eigene Magie, wusste man irgendwie schon immer. Peer Raben hat sogar mal eine Doppel-LP zusam­men­ge­stellt, die sich »Anti­teater’s Greatest Hits« nannte und 1972 herauskam, mit Musik aus Bühnen­werken und Filmen der frühen Fass­binder-Zeit.

Erstaun­lich aller­dings, wie wenige Ehrungen Fass­bin­ders Filmen von Seiten der Film­kritik zuteil wurden. Nur zwei seiner zahl­rei­chen Filme wurden mit Kriti­ker­preisen bedacht. Immerhin gehörte da auch gleich sein zweiter langer Film dazu. Katzel­ma­cher gewann den Fipresci-Preis der inter­na­tio­nalen Film­kritik in Mannheim genauso wie ein Jahr später den Preis der deutschen Film­kritik als bester Film des Jahres 1969. Dass da ein großes neues Film­ta­lent auf sich aufmerksam machte, wurde also schnell erkannt. Den Fipresci-Preis gewann er dann noch einmal in Cannes, 1974 mit Angst essen Seele auf, das war der Film, der ihm den inter­na­tio­nalen Durch­bruch brachte.

Für mich persön­lich war Rainer Werner Fass­binder mit seinen Filmen in einer bestimmten Phase meines Lebens eine Art ständiger Begleiter geworden, schon allein durch seine unun­ter­bro­chene Präsenz im täglichen Kultur­ge­schehen aufgrund seines immensen filmi­schen Outputs innerhalb der relativ kurzen Zeit­spanne von gut 14 Jahren zwischen 1969 und 1982. Über Fass­binder habe ich auch immer wieder gear­beitet, so viel wie vermut­lich über keinen anderen Regisseur, in Texten, Fern­seh­bei­trägen oder auch in einer Werkschau, die ich 1992, zehn Jahre nach seinem Tod, zusammen mit Werner Bieder­mann für das kommunale Kino in Essen kuratiert habe. Darin haben wir mit Hilfe einer 16mm-Kopie aus dem Atlas-Film­ver­leih sogar noch seinen heute fast schon sagen­um­wo­benen, weil unter Verschluss befind­li­chen Film Wild­wechsel aus dem Jahre 1972 präsen­tieren können. Franz Xaver Kroetz, auf dessen Thea­ter­s­tück der Film basiert, blockiert bis heute Auffüh­rungen des Films mit der bedau­erns­werten Auswir­kung, dass es immer noch keine Restau­rie­rung und keine DVD-Veröf­fent­li­chung gibt.

Rührend für mich, an der letzten Station zu sehen, wie auf diversen Monitoren State­ments von Wegge­fährten Fass­bin­ders aufleuchten, darunter auch Marga­rethe von Trotta und Hans Günther Pflaum mit Rede­zi­taten aus meinem Film, den ich Anfang der 1990er Jahre über Fass­binder gemacht habe. In meinem Film war es nur um Fass­bin­ders Die Ehe der Maria Braun gegangen. Auch Peter Märthe­s­heimer und Hanna Schygulla hatten darin Fass­bin­ders Schlüs­sel­werk kommen­tiert.

Mit Marga­rethe von Trotta hatte ich in Paris in einer sepa­rierten Sessel­ecke des Hotels du Cygne gedreht. Dort saß sie, komplett umgeben von Spie­gel­wänden, von meinem Kame­ra­mann Raymond Grosjean nicht einfach zu drehen, weil wir natürlich Gefahr liefen, uns selbst darin zu spiegeln. Aber es passte einfach zu gut zu Fass­binder und zu den Spiegel-Obses­sionen, die er in seinen eigenen Filmen pflegte. Marga­rethe von Trotta reflek­tierte mit dem ihr eigenen Charme und Esprit Fass­bin­ders Blick auf Deutsch­land und auf die deutsche, insbe­son­dere die bundes­re­pu­bli­ka­ni­sche Geschichte und war dafür auch geradezu prädes­ti­niert, weil sie selbst sich in ihren eigenen Filmen immer wieder mit dieser Thematik ausein­an­der­setzte.

Hans Günther Pflaum wiederum hatte ich in seiner Münchner Wohnung gedreht, wo ich ihn vor dieselbe Bücher­wand in seinem Arbeits­zimmer setzen wollte, vor der er früher in den 1980er Jahren im ZDF seinen »Ratschlag für Kino­gänger« erteilte. Das war gewis­ser­maßen als eine fern­seh­his­to­ri­sche Zitat-Einstel­lung gedacht. Dagegen hat er sich dann aber vehement gewehrt. Bei seinen ZDF-Auftritten hatte er immer sehr adrett und wie aus dem Ei gepellt vor der Kamera sitzen müssen, und regel­mäßig musste er sich redak­tio­nelle Vorhal­tungen machen lassen, ob er sich etwa wieder nicht gekämmt habe. Jetzt zog er es statt­dessen vor, mitten im Raum zu sitzen, in einer abge­wetzten schwarzen Windjacke und natürlich unge­schminkt und mit verwu­schelten Haaren.

Mit Hans Günther Pflaum war ich komplett auf einer Wellen­länge, was unsere gemein­samen Versuche anging, Fass­bin­ders Die Ehe der Maria Braun als poli­ti­sche Allegorie zu deuten. In unserem Gespräch warfen wir einander die Bälle nur so zu, es war ein großes Vergnügen. Im Film, aus dem ich alle meine Rede­an­teile heraus­ge­lassen hatte, fungierte er daher in gewissem Sinne fast wie mein Alter Ego und führte seine Inter­pre­ta­tionen mit leisem Nachdruck und mit analy­ti­scher Über­zeu­gungs­kraft aus, beseelt von einem immer nur leicht ange­deu­teten freund­lich-wachsamen Lächeln.

Hans Günther Pflaum und Marga­rethe von Trotta jetzt am Schluss­punkt der Ausstel­lung uner­wartet aufblitzen zu sehen, gab mir dann das schöne Gefühl, am Ende doch noch einen ganz kleinen und beschei­denen Anteil zu dieser groß­ar­tigen Museums-Revue beigetragen zu haben.

Peter Kremski ist Film­kri­tiker und Regisseur und Autor zahl­rei­cher Fern­seh­do­ku­men­ta­tionen für den WDR.