UNDERDOX halbzeit: Dore O. |
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Lawale: Über das Einfrieren in der Familie | ||
(Foto: Deutsche Kinemathek / Dore O.) |
Von Peter Kremski
Underdox, das Münchner »Festival für filmische Zwischenformen«, macht abseits des regulären Festivalgeschehens im Herbst möglichst immer auch ein Zwischenangebot im Frühjahr, Halbzeit genannt. Dabei handelt es sich um Lectures, die sich in der Regel einem einzigen Filmemacher widmen, dessen Arbeiten einer sehr persönlichen künstlerisch-experimentellen Ästhetik verpflichtet sind. Unter den Artists in Focus, die im Laufe der Zeit auf diese Weise einer genaueren Betrachtung unterzogen wurden, finden sich illustre Künstlernamen wie etwa Klaus Wyborny, Romuald Karmakar, Peter Kubelka, Michael Snow, John Smith, Corinna Schnitt, Miranda Pennell oder Ute Aurand. 2019 hatte es mit Thomas Heise eine letzte Lecture gegeben, bevor das allseits geschätzte Festivalformat nach einem zweijährigen Ausfall dieses Jahr wieder aufgenommen werden konnte.
In diesem Jahr haben die Underdox-Gründer Dunja Bialas und Bernd Brehmer die avantgardistische Künstlerin Dore O. zum Artist in Focus erkoren. Das war bereits geplant vor ihrem unerwarteten Tod. Am Donnerstag, dem 2. Juni, hat die Veranstaltung im Filmmuseum München stattgefunden. Durch das Programm durfte ich gemeinsam mit der Filmwissenschaftlerin Masha Matzke führen, Restauratorin von Dores Filmen bei der Deutschen Kinemathek Berlin.
Der Fokus lag auf Dores frühen Arbeiten. Vier Filme waren ausgewählt, darunter Jüm-Jüm, eine gemeinsame Regie-Arbeit von Dore mit Werner Nekes, entstanden 1967, da war Dore 21 Jahre alt, für sie selbst war es die erste Regie. Selbst wenn die technische Materialbearbeitung sichtbar die Handschrift von Werner Nekes trägt, so machte Masha deutlich, wie stark der Film auch von Dore geprägt ist und dass thematisch wie formal vieles schon da ist, was Dore in ihren allein inszenierten Filmen weiterentwickelt. So heißt es gerechterweise in den Credits: ein Film von Dore O. und Werner Nekes, in dieser Reihenfolge.
Die Filme hatte ich alle 1988 gesehen im Rahmen einer denkwürdigen Werkschau im Städtischen Museum in Mülheim/Ruhr, über 30 Jahre ist das her, und sie hatten mich nachhaltig beeindruckt. Alaska, Dores zweiten Film nach Jüm-Jüm und ein Jahr später gedreht, hatte ich erst vor gut dreieinhalb Jahren wiedergesehen, frisch restauriert auf Dores Silvesterfeier in ihrem Atelier am Mülheimer Kassenberg. Jetzt, nach ihrem Tod, ihre Filme wiederzusehen, geht für mich nicht, ohne vor allem persönliche Bezüge wahrzunehmen und autobiographische Spuren zu entdecken, die in der Verlängerung bis heute reichen.
Bezeichnend, dass die ersten Bilder in Alaska Gefängnisbilder sind. Vergitterte Fenster aus Außensicht und trostlos-kahle Wände aus Innensicht: Frozen Views ohne Leben. Irgendwie handeln Dores Filme grundlegend vom Gefangensein und von der Sehnsucht auszubrechen, ohne dass ihr das jemals wirklich gelungen zu sein scheint. Das ist das Gefühl, das sich bei mir einstellt beim Wiedersehen ihrer frühen Filme.
Dores dritter Film Lawale, eine, wie es aussieht, unerbittliche Abrechnung mit der bourgeoisen Familie, der sie entstammt, ist ein Hammerfilm im buchstäblichsten Sinne, der reinhaut mit seiner unnachgiebig zugespitzten Beschreibung eines nur noch in leblosen Ritualen eingefrorenen familiären Zusammenlebens, unterlegt mit einem schrammend-schreienden Dauerton, der über die Bilder kratzt. Der revoltierende Geist von 1968 durchweht beide Filme, Alaska wie Lawale.
Von den in München gezeigten Filmen war es Lawale mit seiner systemischen Dekonstruktion einer Familie, der beim Publikum im Kino des Filmmuseums anscheinend den größten Nachhall hinterließ. Zum Abschluss war Kaskara zu sehen, fünf Jahre nach Lawale entstanden und Dores größter Erfolg, ausgezeichnet mit dem Hauptpreis des damals sehr renommierten Experimentalfilmfestivals in Knokke und mit dem Preis der deutschen Filmkritik.
Kaskara ist ein strukturell komponierter Film, den eine Flut von Fenstern durchzieht, welche unentwegt die Blicke aus einem schwedischen Blockhaus nach außen rahmen – auf eine freie Landschaft, die nur zu erahnen bleibt. Anstatt den Blick zu befreien, wirken die Fenster auch hier eher wie Vergitterungen. Immer wieder durchwandelt Werner Nekes die Bilder, zuweilen mit Tochter Rona auf dem Arm, die in jenem Jahr geboren wurde. Auch das ist nebenher auf diese Weise ein Familienfilm und in dieser Hinsicht vielleicht ein Gegenentwurf zu Lawale. Nach dem fiktiven Alaska als Fluchtraum einer inneren Emigration jetzt ein wesentlich konkreterer Rückzugsort in Schweden auf der utopischen Suche nach einer zweiten Heimat.
Zwei Jahre später entstand Dores nächster Film Frozen Flashes, da sind die Bilder wieder eingefroren, die Farbe ist ihnen größtenteils entzogen, nicht einmal gibt es einen Ton, was gar noch schlimmer zu ertragen ist als jeder schrammende Dauerton. Wie es aussieht, ein Film der Trostlosigkeit über den Stillstand in der Beziehung eines Paares und über ein erstarrtes Leben in repetitiven und ritualisierten Situationen. Der Film eröffnet mit dem frontalen Bild einer Frau, die den Blick gesenkt hat und in sich verloren scheint. Als Schlussbild dann ein Außenfenster, durch Sprossen parzelliert, den Blick ins Innere verwehrend. Mit diesem letzten Blick auf eine bürgerliche »Gefängnis«-Fassade wird der Zuschauer aus dem Film entlassen. Aber dieser Film wurde in München nicht mehr gezeigt.