Amore und ewige Jugend |
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Cleo Kretschmer und Wolfgang Fierek in Klaus Lemkes Amore | ||
(Foto: Klaus Lemke) |
Von Dunja Bialas
Kräftiges Pink und Orange. Das sind die fieberheißen Farben der diesjährigen Filmkunstwochen München. Solange die Energiekrise nicht gebietet, die Lüftungsanlagen auszuschalten, ist es in den elf Münchner Kinos, die bei den Filmkunstwochen mitmachen, angenehm temperiert. Als Begleitgetränk empfiehlt sich das Radler, direkt aus den Kühlaggregaten der Kinos.
Bei den Filmen selbst aber sollte man sich keine Abkühlung erwarten. Buchstäblich heiß – beschleunigter Puls, sich selbst Luft zufächern, plötzlicher Schweißausbruch – kann einem z.B. bei den Filmen von Denis Villeneuve werden, dem das Arena und Rio eine kleine Retrospektive widmen. Der Kanadier Villeneuve, das offenbart sich nach der Sichtung seiner beiden frühen Filme Incendies und Prisoners, hat als unterkühlter Drehbuchkonstrukteur begonnen, der seinen komplizierten narrativen Verschachtelungen ordentlich Adrenalin zuführt. Da kann man noch so laut »vorhersehbar!« und »lässt mich kalt!« rufen, wenn Jake Gyllenhaal in Prisoners Erlkönig-mäßig ein sterbendes Kind durch die schneegepeitschte Nacht von Pennsylvania laviert. Andere Autos nimmt er dabei als Slalomstangen. Und nicht nur nervliche Wracks zucken dabei unwillkürlich zusammen. Natürlich geht alles gut aus, aber die Windungen, die Villeneuve seiner Geschichte zugesteht, sind dann doch immer wieder ziemlich überraschende Twists.
Erlkönig und in Incendies die klassische Sage von Ödipus, dem unschuldig Schuldiggewordenen, sind für Villeneuve die mythischen Untergründe seiner Geschichten, die allein deshalb schon so klassisch wirken. Der wilde Villeneuve-Ritt geht in der zweiten Filmkunstwoche weiter mit Enemy (2013) (Do 4.8. 21:00 Arena + So 7.8. 20:00 Rio) und Sicario (2015) (Mo 8.8. 21:00 Arena + Di 9.8. 20:00 Rio), bevor dann in der dritten Woche das Wiedersehen von Arrival, Blade Runner 2049 und Dune auf dem Plan steht.
Seit einiger Zeit schon haben der Studiocanal- und der Arthaus-Verleih erkannt, dass die Wiederaufführung restaurierter Klassiker für das zeitgenössische Kino interessant ist. Zumindest sind es relativ bekannte Klassiker, die das Publikum locken – und diese einen fulminanten Unterschied zu ihrem Wohnzimmer erleben dürfen. Federico Fellinis La Dolce Vita ist so ein Fall (artechock-Kritik) (So 7.8. 11:00 Studio Isabella + Mo 15.8. 19:30 ABC). Die berühmte Szene im Trevi-Brunnen lässt sich übrigens derzeit in den Sommernächten bestens nachstellen.
Hauptsächlich nachts spielt auch Le notti di Cabiria (Mi 10.8. 18:00 Theatiner – auf 16mm!), Fellinis düsterer Zwillingsfilm zu La Strada – beide Filme sind mit Giulietta Masina. Wie sehr sie auf das italienische Kino heute noch nachwirkt, ließe sich in Paolo Virzìs Die Überglücklichen (2016) nachprüfen – der aber leider nicht im Programm läuft.
Aber auch andere jüngere Werke zeigen, dass das italienische Kino immer noch vorne mitspielt. Das City Kino zeigt eine Retrospektive zu Paolo Sorrentino, in der eigentlich nur Die Hand Gottes fehlt, den Netflix nicht mehr für die Kinoleinwand herausrückt. Dafür beweisen La grande bellezza (2013) (Do 4.8. 21:00 City Kinos) und Ewige Jugend (2015) (Do 11.8. 21:00 City Kinos) die satirische Ader der Italiener gegenüber ihrem Land und ihrer Eitelkeit (gefolgt von einem wundersam abgehalfterten Sean Penn in Cheyenne, Mi 17.8. 21:15 City Kinos).
Pietro Marcello gehört mit Alice Rohrwacher zu einer Clique italienischer Filmschaffender, die mit ihren sozialkritischen Filmen auch eine immer ein wenig nostalgische Italianità inszieren. Sie sind ein bisschen das Gegenteil des hochgetunten Paolo Sorrentino, der sich für das schrille Italien interessiert; Marcello ist ein Regisseur der leisen Töne und verzaubernden Geschichten. In L’envol (Scarlet) ist er in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, kurz vor der Machtübernahme von Mussolini im Jahr 1922. Auf dem Land müssen ein einfacher Schreiner und seine Tochter als Sündenbock herhalten – für alles, was in den Augen der Dorfbevölkerung nicht klappt, und für ihre besondere Begabungen, sei es in der Schnitzerei, Mathematik und im Gesang. Wunderbar die Musicaleinlagen beim einsamen Schwimmen im See, das erinnert auch an die Filme von Jacques Demy, La peau d’âne (1970) zum Beispiel. Scarlet ist auf eigenartige Weise rückwärtsgewandt, auch im Genderbild übrigens, wenn die Schreinerstochter von einem buchstäblich vom Himmel gefallenen »kleinen Prinzen« gerettet wird (Do 4.8. 15:00 + 20:00 ABC).
Ins italienische Lebensgefühl führt auch Michelangelo Antonionis Il deserto rosso (1964), der im Theatiner in Andenken an Monica Vitti gezeigt wird, die diesen Februar gestorben ist. Es ist hier ein Gefühl des allmählichen Irrewerdens und Irrealwerdens, mit einer Wüste so rot wie die Hitzeglut (So 7.8. 18:00 Theatiner). Und dass München die nördlichste Stadt Italiens ist, hat der Anfang Juli verstorbene Klaus Lemke gewusst.
In Amore (1978) hat er eine Liebesgeschichte der Münchner Großmarkthalle eingefangen, mit seiner geliebten Cleo Kretschmer und dem großartigen Wolfgang Fierek (Do 4.8. 20:30 Theatiner). Der Film ist der Auftakt zu einer Trilogie, die Klaus Lemke noch persönlich zusammengestellt hat. Weitere Filme sind Sweethearts (1977, mit Cleo Kretschmer) (Fr 5.8. 20:30 Theatiner) und sein noch persönlicher Rückblick auf sein Werk Champagner für die Augen – Gift für den Rest (2022) (Sa 6.8. 20:30 Theatiner).