Enttäuschte Skandalerwartung |
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Ulrich Seidls Sparta | ||
(Foto: SSIFF 2022 | Ulrich Seidl Filmproduktion) |
»Im Hass auf das moralische Lebensglück entdeckte Nietzsche das Ressentiment. ... Nicht jede Regellosigkeit ist sympathisch, auch wenn sie sich gegen den sogenannten Spießer, die Idealfigur des Ressentiment geladenen richtet ... Warum ist dieses Gefühl zwischen Hass und Empörung so besonders widerwärtig? Wahrscheinlich, weil es sich nicht direkt ausspricht, sondern lediglich verkniffen. Das Widerwärtige kommt aus der peinvollen Unsicherheit, den Mangel an Mut. An beidem merkt man, wie weit verbreitet es ist.«
- Karl Heinz Bohrer
Mit Ulrich Seidls neuem Film Sparta ging es gleich richtig los am Sonntagmorgen in San Sebastián. In den letzten zwei Wochen war eine regelrechte Hexenjagd über den österreichischen Regisseur hereingebrochen, der für seine Hybrid-Filme auf der Grenze zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm bekannt ist.
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Manche halten Seidl für einen »Skandalregisseur« und nennen ihn auch so. Aber was ist eigentlich ein »Skandalregisseur«? Schon die Idee des »Skandalregisseurs« ist eine dumme Behauptung.
Empörend ist die Frechheit, mit der in manchen Texten jetzt Seidl und auch Michael Haneke zu »Skandalregisseuren« heruntergebrochen wären, so als ob dies eine Rolle wäre, die man freiwillig sucht und nicht eher das Resultat skandalisierender Medien, die erst jemanden zum
»Skandalregisseur« erklären, um ihm dann aus der Tatsache, ein »Skandalregisseur« zu sein, einen Strick zu drehen.
Ebenso empörend ist die Scheinheiligkeit, mit der dann Texte, die eine reine Folge der Anschuldigungen sind, eingeleitet werden mit dem Satz: »erneut Aufregung um Ulrich Seidl.«
Man wundert sich über die Verwunderung. Denn die Methode Seidls ist bekannt: Es geht um Provokation, um unappetitliche Bilder. »Allen Filmen von Ulrich Seidl sieht man deutlich an, dass sie das Produkt eines starken Hangs zur Inszenierung sind.« schrieb Bert Rebhandl, und fügte hinzu: »Das bedeutet, auch für seine Dokumentarfilme, nicht per se, dass sie dadurch unwahr oder künstlerisch zweifelhaft werden. In jedem Fall aber musste man nicht auf Sparta warten, um zu wissen: Wer bei Ulrich Seidl vor die Kamera geht, liefert sich ihm aus und wird aufgefangen nur zu seinen Bedingungen.«
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Die meisten dieser Texte die jetzt über Seidl geschrieben werden, spielen mit dem Ressentiment der braven Bürger, die schwieriger Kunst, Provokation, Irritation und Grenzüberschreitungen sowieso nie etwas abgewinnen konnten, weil ihr geistiger Schrebergarten davon bedroht ist.
Die Autoren sind auch meistens keine Filmexperten. Und filmfremde Leute können ein Drehbuch noch weniger verstehen, als es schon Förderer verstehen können und Filmexperten.
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Eine Grenzüberschreitung ganz eigener Art findet sich auf Zeit-Online. Der Text ist das beste und krasseste Beispiel für Autoren, die offenbar die Filme Seidls schon immer doof fanden und die augenblicklichen Anklagen zum Anlass nehmen, Seidl an und für sich den ästhetischen Schauprozess zu machen. Auf den Gedanken, dass es vielleicht jetzt auch nicht gerade der beste Zeitpunkt ist, um alles das endlich mal zu sagen, was man schon immer gegen Ulrich Seidl hatte.
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Jetzt wurde der Film, den bisher keiner gesehen hatte, endlich gezeigt. Ein Kollege, der in einer anderen Pressevorführung war, schrieb mir dazu nach dem Film: »Es gab verhaltenen Applaus, keine Buhs. Eine einzige grenzwertige Szene, Georg Friedrich nackt beim Duschen mit den Jungs. Kein pädophiler Übergriff. Verhaltene Berührungen. Der Film hat andere Schwächen. Vom Film her sind die Vorwürfe nicht berechtigt. Der Spiegel-Artikel ist ein Dokument journalistischer
Unredlichkeit.«
Das deckt sich mit meiner Einschätzung.
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Starker Applaus, zum Teil stehende Ovationen und kein einziges Buh gab es nun bei der Weltpremiere des Films im Wettbewerb des Filmfestivals von San Sebastián. Im Team um den Wiener Regisseur dürfte man erleichtert aufgeatmet haben – zugleich war die Premiere im Baskenland keinesfalls eine normale, sondern in vieler Hinsicht besonders.
In der Folge hatte Seidl am Tag zuvor seine Reise nach San Sebastián und damit auch die eigentlich nach jeder Wettbewerbsvorstellung stattfindende Pressekonferenz abgesagt. Auch kein einziges anderes Teammitglied, weder Schauspieler noch Co-Produzenten, standen den Fragen der Journalisten Rede und Antwort – offenbar ist man überzeugt, dass jede Kommentierung der heftig bestrittenen Vorwürfe diesen nur unnötige Aufmerksamkeit verschafft und dass man dieses Feuer nicht löschen kann, sondern es ausbrennen lassen muss. Nicht bei allen kam das gut an: Ein spanischer Filmkritiker kommentierte: »Seidl verweigert sich der Verteidigung seines Films. Das kann ich nicht verstehen.«
Denn nach wie vor stehen – die bislang vollkommen unbewiesenen – Anschuldigungen im Raum, Seidl habe die beteiligten rumänischen Jugendlichen inkorrekt behandelt und seine Aufsichtspflicht verletzt. Das Filmfestival von Toronto hatte Sparta daraufhin aus seinem Programm ausgeladen. Auf der Website von Toronto wird übrigens dabei wahrheitswidrig davon gesprochen, der Film sei von nicht genannten Dritten »vom Festival« (»from festival«) zurückgezogen worden. Tatsächlich müsste es heißen »by the festival«, durch das Festival. Das sind so die kleinen, sehr gewollten Unschärfen.
Demgegenüber erklärte José Luis Rebordinos, der Direktor von San Sebastián, schnell, den Film in jedem Fall zeigen zu wollen: Man bewerte Festivalbeiträge »ausschließlich nach Interesse und Qualität« und sei nicht in der Lage zu beurteilen, wie ein Film gedreht wurde und ob es während der Dreharbeiten zu Vergehen kam. Man werde darum einen bereits eingeladenen Film nur im Fall eines gerichtlichen Verbots wieder aus dem Programm entfernen. »Wenn jemand Beweise für ein Verbrechen
hat, sollte er dies der Justiz melden. Nur ein Gerichtsbeschluss könnte dazu führen, dass wir eine geplante Vorführung aussetzen«.
Im Baskenland, das mit der Zensur während des Franco-Regimes leidvolle Erfahrungen machte, ist man traditionell sehr zurückhaltend mit allem, was auch nur ein bisschen nach Einschränkung künstlerischer Freiheiten klingt. Hier zeigte man auch schon Dokumentarfilme über die ETA unter Polizeischutz.
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Seidl, der alle Vorwürfe bestreitet, erklärte zu seiner Besuchsabsage am Samstag: »Ich bin José Luis Rebordinos sehr dankbar, dass er von Anfang an zu Sparta gestanden hat, trotz des Drucks der Medien und trotz der großen Turbulenzen, die plötzlich damit einhergingen. Das bedeutet mir sehr viel. Der erste Impuls, nach San Sebastián zu kommen, war, den Film, an dem mein Team und ich so viele Jahre gearbeitet haben, nicht allein zu lassen. Mir wurde jedoch klar,
dass meine Anwesenheit bei der Premiere die Rezeption des Films überschatten könnte, während es jetzt an der Zeit ist, dass Sparta für sich selbst spricht.«
Nimmt man diesen Wunsch ernst – was ist es dann, was Sparta zeigt?
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»So ein Tag, so wunderschön wie heute....« – eine Gruppe offensichtlich dementer Greise versucht in der allersten Einstellung des Films mehr schlecht als recht, dieses Lied zu singen. Man kennt die wohlkomponierte, symmetrische, latent cleane Kameraeinstellung von allen Seidl-Filmen, man kennt das Altersheim-Setting bereits aus Seidls letztem Film Rimini, der im Februar bei der Berlinale Premiere hatte. Beide Filme bilden ein Tandem, sie handeln von zwei Brüdern und ihrem Vater, einem der Insassen des Altersheims, den Hans-Michael Rehberg in seiner allerletzten Filmrolle verkörpert.
Kurz darauf fährt dessen Sohn Ewald (Georg Friedrich) nach Transsilvanien, und übt im Auto rumänisch mit Kassetten. Was der Mann eigentlich arbeitet, weiß man bis zum Ende des Films nicht wirklich. Man sieht dafür, dass er eine rumänische Freundin hat. Im Bett klappt es nicht, und auch sonst fühlt er sich in ihrer Gegenwart eher unwohl. Es ist eine große Leistung von Friedrich, wie er hier einen hypernervösen, verkrampften Mann spielt, der offensichtlich mit sich selbst
fortwährend hadert. Entspannung findet er nur in der Gegenwart von sechs- bis 14-jährigen Jungs. Erst nach und nach wird klar, dass er sie auch sexuell begehrt.
Bald kauft er in einem Dorf eine leerstehende Schule und baut sie zu einem Jugendcamp namens »Sparta« um, in dem er zwei Handvoll männlicher Kinder Zuflucht bietet, sie in Judo unterrichtet, Zeit mit ihnen verbringt, ohne ihnen aber jemals im falschen Sinn zu nahe zu kommen.
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Was man im Rückblick kaum mehr simulieren kann, auch nicht als Autor dieses Textes, ist, wie wir diesen Film wohl angesehen hätten, wenn es die jetzigen im Raum stehenden Vorwürfe nie gegeben hätte? Wir wären wohl deutlich überraschter, vielleicht auch über das eine oder andere schockierter.
Nun dominiert erst einmal eine enttäuschte Skandalerwartung. Denn Sparta ist viel ruhiger und viel humanistischer und viel weniger provozierend, als man das
vielleicht erwartet hätte. Die von manchen bereits bei Rimini konstatierte »Altersmilde« des Regisseurs ist auch hier erkennbar.
Sofern man so etwas als Film-Zuschauer einem Film überhaupt anmerken kann, haben die Kinder ganz offensichtlich ihren Spaß bei ihren Filmszenen.
Im Film ist keinerlei Missbrauchshandlung zu sehen, sie wird auch nicht angedeutet. Die Figur des Ewald ist
vielmehr einer jener Pädophilen, die ihren Trieb gegen alle Widerstände mit Disziplin und Willensstärke im Zaum halten und eben nicht ausleben.
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Zugleich ist offenkundig, dass Pädophilie gar nicht im Zentrum des Films steht. Sparta handelt vielmehr von der Gewalt der Väter. Das gilt für die rumänischen Väter, und Ewald ist hier der Einzige, der versucht den zum Teil zu Hause misshandelten Kindern gegen ihre Familien zu helfen. Ewald schützt die Jungs gegen ihre gewalttätigen Väter und gegen Vorstellungen von einer Männlichkeit, die nach Prinzipien wie »Hart wie Kruppstahl« und »Du musst in der Lage sein zu töten«, »Du darfst keine Gnade zeigen gegen deinen Feind« und mit ähnlichen Sätzen strukturiert ist.
Wenn man diesem Film etwas vorwerfen möchte, dann allenfalls, dass er ausgerechnet eine pädophile Figur als die einzig wirklich positive Figur des Films zeigt. Denn Ewald ist der Einzige, der sich um die Jungen kümmert; er versucht den zum Teil zu Hause misshandelten Kindern gegen ihre Familien zu helfen – gerade das zieht ihm dann den Hass der Eltern zu.
Immer wieder ist die Handlung in Rumänien auch von kurzen Szenen unterbrochen, in denen Rehbergs Figur Nazi-Lieder singt, oder aus Hitlerreden zitiert. Es ist ein großartiger Einfall: Aus dem Unterbewusstsein des dementen Hirns der Rehberg-Figur dringen diese Faschismus-Blasen immer wieder an die Oberfläche. Sie blubbern an die Oberfläche.
Die gewalttätige Erziehung durch diesen vom Faschismus durch und durch geprägten Vater hat seine beiden Söhne fürs Leben gezeichnet. Man kann Sparta sogar so verstehen, in der Pädophilie des Sohne die Folge einer traumatisierenden Erziehung zu sehen.
Es geht darum, die Gewalt der Männerbünde zu zeigen, aber auch die Gefühle, die in Männerbünden zugelassen und möglich sind.
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Es wäre womöglich besser gewesen, wenn Sparta zusammen mit Rimini ein einziger Film geworden wäre. So wie es ursprünglich einmal angedacht war.
Dann hätte Seidl nicht einen Film über Pädophilie gemacht, sondern ganz eindeutig einen Film über die Folgen des Faschismus gedreht.
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Vor diesem Hintergrund ist so oder so aber auffällig, dass es vor allem deutsche Autoren sind, die Seidl jetzt anklagen. Will man sich von der eigenen deutschen NS-Vergangenheit entlasten, indem man den Boten denunziert?
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Es sind vor allem deutsche Ankläger, junge Männer, die womöglich mit ihrer eigenen Männlichkeit zu kämpfen haben und ihrer eigenen männlichen Sexualität.
Aber auch das sind nur Vermutungen, so wie die Vermutungen der Autoren im Spiegel-Artikel.
(to be continued)