Ende des Bürgertums |
||
R.M.N.: Stillschweigend wird hier von einem untergehenden Landstrich erzählt | ||
(Foto: Cristian Mungiu / Rumänisches Filmfestival) |
Von Dunja Bialas
Je länger wir den Blick nach Osteuropa richten, desto mehr verblasst das großartige Filmland Rumänien. Es ist ja nicht so, dass aus Rumänien keine tollen Filme mehr kämen. Es ist nur so, dass Rumänien viel Konkurrenz bekommen hat: aus Litauen, Georgien, neuerdings auch aus Belarus und der Ukraine, seitdem wir unsere Festivals für die gebeutelten Länder der ehemaligen Sowjetunion öffnen und der Vorherrschaft Russlands auch kulturell eine Absage erteilen. Speziell Georgien hat es in besonderer Weise verstanden, die erfolgreiche Tonalität der Rumänischen Neuen Welle in den eigenen Filmen zu finden. Die Filme, die in den Familien spielen, mit langen Autofahrten, viel Dialog, auch absurdem, und wenig Handlung: Sie haben sich zumindest in Rumänien etwas erschöpft. Das Rumänische Filmfestival, das die Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und Tradition seit etlichen Jahren unter Beratung des Kurators Klaus Volkmer vom Filmmuseum München und des Filmkritikers Bert Rebhandl ausrichtet, duckt sich unter dieser neuen Entwicklung nicht hinweg.
Seit Jahren schon hält das Genre Einzug, die Polizeifilme mit den erschöpften Kommissaren, Erzählungen über Selbstjustiz mit plötzlichen Gewalteruptionen – für die traditionell bürgerliche rumänische Diaspora wie in München vermutlich eine immer noch schockierende Herausforderung. Anschlussfähiger sind dann wohl die eher moralischen Lehrstücke, die sich unter den neuen Produktionen ebenfalls finden lassen. Cristian Mungiu, der noch zur »ersten« Rumänischen Neue Welle gehört (bekannt wurde er mit dem Abtreibungsdrama 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage), ist, vereinfacht gesagt, generell an moralischen Wahrheiten interessiert. R.M.N., der in Cannes uraufgeführt und auf dem serbischen Festival von Palić zum besten Film gekürt wurde, gliedert sich da nahtlos ein. In seinem Zentrum steht eine dokumentarische Anordnung. Eine westdeutsche Schlachterei muss aufgrund ihrer katastrophalen Arbeitsbedingungen ausländische Kräfte entlassen – man denkt sofort an die Skandalschlachterei von Tönnies. Desorientierung kommt auf, als die Hauptfigur zurück in der Heimat immer noch Deutsch spricht, Versatzstücke zumindest, die sich mit dem Ungarischen (der Geliebten) und dem Rumänischen (der Kindsmutter) ablösen. Eine kauderwelsche Dreisprachigkeit zeigt sich da, und als drei Migranten aus Sri Lanka, die als Wanderarbeiter nach Rumänien kommen, verirrt durch den Wald laufen und den »Osten« suchen, der für sie im Westen liegt, ist das Verwirrspiel ob dieser neuen globalen Ordnung komplett. Auch muss man nicht nur wegen der Weihnachtszeit, zu der der Film spielt, an eine Anspielung an die biblischen Weisen aus dem Morgenland denken. Die Kirche bzw. die Glaubensgemeinschaft wird im Weiteren noch eine sehr unchristliche Rolle einnehmen, denn die Migranten, die in der Großbäckerei des Ortes zum Mindestlohn anheuern (2022 sind das in Rumänien 50 Cent), sollen nach Ansicht der Dorfbewohner wieder gehen – selbst wenn sie auch im Ausland, einem besser bezahlenden, anheuern. Es ist die klassische Sündenbockgeschichte und eine ein wenig zu offensichtlich geführte Geschichte von falscher Moral und Fremdenhass, der durch keine Argumente erreichbar ist. Und passt natürlich trefflich, als zynische Moritat, in die Weihnachtszeit.
Wie viele gute Filme des rumänischen Kinos schwingt sich R.M.N., benannt nach dem rumänischen Akronym für kernmagnetische Resonanz, jedoch auch zu einer metaphorischen Ebene auf. Die einmal erfolgende Untersuchung im Kernspin offenbart unheilvolle weiße Flecken in der Gehirnstruktur; dazu kommt ein Franzose, der hier ist, um den siebenbürgischen Bärenbestand zu kontrollieren. Außerdem hängen Schreckensbotschaften im örtlichen Wald, ein Mahnmal dafür, dass hier fundamental die Welt aus den Fugen gerät.
Ähnliches vermutet man bei Miracol von Bogdan George Apetri, der außerdem mit Neidentificat (Unidentified) (2020) im Programm steht und damit den Centerfold des Rumänischen Filmfestivals bildet. Miracol ist in zwei Teile unterteilt, die jeweils eine andere Perspektive erzählen und wird schon allein damit in eine unsichere Erzählsituation gebettet. Im ersten Teil stiehlt sich eine Novizin aus dem Kloster, um sich in der nahe gelegenen Stadt einer gynäkologischen Untersuchung zu unterziehen. Auf dem Weg zurück ins Kloster ereignet sich ein entsetzliches Verbrechen, dem dann Polizist Marius mit zunehmender Besessenheit und stellenweise eruptiver Gewalt nachgeht. Der Kontrast zwischen der Heiligen, dem Verbrechen und dem skrupellosen Jäger ist zu Teilen auch Genreerfüllung, zeugt aber auch von der Bereitschaft, das Religiöse, Heilige und Unschuldige von den Machenschaften der Zeit kontaminieren zu lassen. Auch hier drängen sich metaphorische Lesarten auf.
Miracol ist der zweite Teil einer Trilogie, die alle in Piatra Neamt, der Heimatstadt des Regisseurs Bogdan George Apetri spielen, Neidentificat ihr Auftakt. Wieder ein Thriller, dessen Ausgangspunkt diesmal eine Serie von Brandanschlägen auf Hotels in den Bergen bildet. Die beiden Teile der Trilogie hat Apetri nach dem Prinzip der »wiederkehrenden Figuren« verkettet, mit dem einst Honoré de Balzac in seiner »Comédie humaine« das Serienprinzip und den Spin-off erfand. Als Florin aus seinem Büro geht, trifft er auf den gewalttätigen Bullen Marius, der im zweiten Teil die Hauptrolle innehaben wird. Balzac hat sein Unterfangen dem »Effet de réel« zugerechnet: die Wahrhaftigkeit des Erzählten wird erhöht, wenn der Figurenkosmos kohärent ist. Sehr präzise erzählt, ist Neidentificat ein großartiger Auftakt in die neue Welt eines veränderten rumänischen Kinos. Man soll sich daher auf dem diesjährigen Rumänischen Filmfestival auf Entdeckungen gefasst machen.
Rumänisches Filmfestival
10.-19. November 2022, Filmmuseum München
Ein Programm des Filmmuseum München in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und Tradition e.V. München
Eintritt: ab 4 Euro
Tickets