19.01.2023

Einfach mal alles hinter sich lassen

Everything will Change
Die imaginäre Wildnis in uns: Everything Will Change
(Foto: Filmmuseum München / Marten Persiel, Everything Will Change)

Die FilmWeltWirtschaft im Filmmuseum München zeigt visionäre Filme für »danach« – und meint damit die Arbeitswelt

Von Dunja Bialas

Und was kommt danach? Es gibt ja viele Gründe, der Arbeit den Rücken zu kehren. Die Rente. Der Ausstieg aus der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft. Die Unge­rech­tig­keit in der Bezahlung. Der Burn-Out. Oder wir sind einfach viel zu motiviert und verhed­dern uns in der Selb­st­op­ti­mie­rung, ob wir sie wollen oder viel­leicht auch andere.

FilmWel­tWirt­schaft, so heißt eine konzen­trierte Filmreihe mit Filmen und Gesprächen, die seit ein paar Jahren immer den Jahres­auf­takt im Münchner Film­mu­seum macht. Kuratorin der Reihe ist Claudia Engel­hardt, stell­ver­tre­tende Leiterin des Film­mu­seums, und sie macht sich in ihrem Programm stets auf die Suche nach aktuellen Frage­stel­lungen und Trends in der Arbeits-Ökonomie, die bisweilen auch zu unserem Nachteil geraten.

Dieses Jahr geht es unter der Frage »Und danach?« grob gesagt um den Ausstieg. Die Filme des Programms befassen sich auf die eine oder andere Weise alle mit dem »Danach«. Program­ma­tisch ist da natürlich Alexander Riedels Doku­men­tar­film Nach der Arbeit (2022), in dem fünf Geschichten aus dem wahren Leben erzählt werden. Es geht um den Übergang aus dem Arbeits­leben in die Rente, eine Schwel­lenü­ber­schrei­tung, die in Spiel­filmen oft mit einem tristen Ausstands-Gelage beginnt, bei dem Witze über die heran­bre­chende Phase im Rentner-Beige gemacht werden oder eine Taschenuhr gereicht wird. Als ob die Zeit jetzt noch eine Rolle spielen würde. Alexander Riedel ist zu Gast (So 22.01. 17:00)(ausführ­liche Bespre­chung).

Dann viel­leicht lieber ganz aussteigen, frei­willig. Wie Zoe Lucas, die seit Jahr­zehnten schon in der Einsam­keit von Sable Island lebt. Jacquelyn Mills' Geogra­phies of Solitude (Kanada 2021) beob­achtet sie dabei, wie sie ihre Zeit damit verbringt, als eine Art Wieder­gän­gerin von Agnès Vardas »Sammlerin« den wilden Strand nach Fund­s­tü­cken und Arte­fakten zu durch­forsten. Sie sammelt nicht die Preziosen, die schönen Muscheln oder glän­zenden Steine, sie sammelt auf, was die ferne Zivi­li­sa­tion mit den Wellen zu ihr herü­ber­spült. Gerissene Netze, Plas­tik­ob­jekte, den ganzen Müll. Daraus macht Zoe Lucas Land Art, Instal­la­tionen und Skulp­turen, die wieder neue Schönheit erhalten, als Mahnmale für unser Konsum-Leben. Das ist natürlich auch Arbeit! Zu Gast ist Markus Guddat von Green­peace München (Do 19.01. 19:00).

Der Pay Gap ist in aller Munde, aber weiß jemand auch, was die Glass Ceiling ist? Das ist die Decke, an die Frauen immer wieder stoßen, wenn sie im Beruf aufsteigen wollen: die obere Etage ist sichtbar, und doch tut es empfind­lich weh, wenn der Kopf sich daran stößt. Die Finnin Mari Soppela hat sich in It’s Raining Women (2022) dieses Phänomens ange­nommen und guckt mal amüsiert, mal desil­lu­sio­niert auf Akti­vis­tinnen, die mehr wollen vom Leben als nur ein paar Krümel von der Sahne­torte. Zu Gast ist Sabine Kellig von der Münchner Gleicht­stel­lungs­stelle (Fr 20.01. 18:00).

Es gibt eine neue Software, die Meetings einfach cancelt: Shopify hat fast 10 000 Einträge einfach aus den Kalendern der Mitar­bei­tenden heraus­gelöscht. »Die sollen sich wieder konzen­trieren können«, kommen­tiert die »Süddeut­sche Zeitung« lakonisch.
Der Finne John Webster fände die Idee vermut­lich prima. In The Happy Worker geht er den Ursachen von Burn-Out nach, dies aller­dings mit einer gehörigen Portion Ironie: Meetings waren einmal eine Empfeh­lung des »Simple Sabotage Field Manual«, also ein wirksames Mittel, um Abläufe zu sabo­tieren (und die Teil­neh­menden psycho­lo­gisch zu erodieren). Zu Gast ist der Arbeits­psy­cho­loge Matthias Lohmer (Fr 20.01. 21:00).

Eine Win-Win-Situation ist ja, wenn angeblich alle was davon haben. Dazu gehört auch, Arbeit als Game zu tarnen. Friedrich Rackwitz, HFF-Absolvent, ist der Gami­fi­ca­tion unserer Arbeits­welt in seinem Abschluss­film Win Win (2022) nach­ge­gangen. Service­tech­niker werden spie­le­risch zu Höchst­per­for­mances ange­trieben, eine Taxi-App hat ein perfides Punk­te­system ersonnen, damit die Fahre­rinnen und Fahrer mehr Touren drehen. Das Schlimmste daran: Wir alle arbeiten schon an der Gami­fi­zie­rung unseres Lebens. Apropos: Heute schon alle Schritte gemacht? Zu Gast ist der Filme­ma­cher (Sa 21.01. 18:00).

Spie­le­risch nimmt es auf jeden Fall Marten Persiel, der mit This Ain’t Cali­fornia vor Jahren für einen mittleren Skandal gesorgt hat, weil er nicht gleich mit der Sprache raus­rü­cken wollte, dass es sich dabei um ein Mocku­men­tary handelt. Jetzt legt er mit Ever­ything Will Change ein weiteres Doku­men­tar­film­mär­chen vor. Im Jahr 2054 gehen drei junge Leute auf eine Safari durch eine leere Land­schaft, um heraus­zu­finden, was mit den einst exis­tie­renden Lebewesen und Pflanzen passiert ist. Eine dysto­pi­sche Vision, die nicht erst seit dem Arten­schutz­ab­kommen von Montreal hoch aktuell ist. 200 Staaten einigten sich im Dezember darauf, je 30 Prozent ihrer Landes- und Meeres­fläche unter Schutz zu stellen. In diesen Schutz­ge­bieten sollen vorhan­dene Lebens­räume bewahrt und geschä­digte wieder­her­ge­stellt werden. Ob’s was hilft? Auf jeden Fall reisen die Prot­ago­nisten von Marten Persiel zurück ins Jahr 2020 und versuchen noch einmal, die Schrauben anders zu stellen. Mit einem Video-Live-Talk mit Marten Persiel (Sa 21.01. 21:00).

FilmWel­tWirt­schaft
Und danach?

19.–22.01.2023, Film­mu­seum München