Einfach mal alles hinter sich lassen |
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Die imaginäre Wildnis in uns: Everything Will Change | ||
(Foto: Filmmuseum München / Marten Persiel, Everything Will Change) |
Von Dunja Bialas
Und was kommt danach? Es gibt ja viele Gründe, der Arbeit den Rücken zu kehren. Die Rente. Der Ausstieg aus der kapitalistischen Gesellschaft. Die Ungerechtigkeit in der Bezahlung. Der Burn-Out. Oder wir sind einfach viel zu motiviert und verheddern uns in der Selbstoptimierung, ob wir sie wollen oder vielleicht auch andere.
FilmWeltWirtschaft, so heißt eine konzentrierte Filmreihe mit Filmen und Gesprächen, die seit ein paar Jahren immer den Jahresauftakt im Münchner Filmmuseum macht. Kuratorin der Reihe ist Claudia Engelhardt, stellvertretende Leiterin des Filmmuseums, und sie macht sich in ihrem Programm stets auf die Suche nach aktuellen Fragestellungen und Trends in der Arbeits-Ökonomie, die bisweilen auch zu unserem Nachteil geraten.
Dieses Jahr geht es unter der Frage »Und danach?« grob gesagt um den Ausstieg. Die Filme des Programms befassen sich auf die eine oder andere Weise alle mit dem »Danach«. Programmatisch ist da natürlich Alexander Riedels Dokumentarfilm Nach der Arbeit (2022), in dem fünf Geschichten aus dem wahren Leben erzählt werden. Es geht um den Übergang aus dem Arbeitsleben in die Rente, eine Schwellenüberschreitung, die in Spielfilmen oft mit einem tristen Ausstands-Gelage beginnt, bei dem Witze über die heranbrechende Phase im Rentner-Beige gemacht werden oder eine Taschenuhr gereicht wird. Als ob die Zeit jetzt noch eine Rolle spielen würde. Alexander Riedel ist zu Gast (So 22.01. 17:00)(ausführliche Besprechung).
Dann vielleicht lieber ganz aussteigen, freiwillig. Wie Zoe Lucas, die seit Jahrzehnten schon in der Einsamkeit von Sable Island lebt. Jacquelyn Mills' Geographies of Solitude (Kanada 2021) beobachtet sie dabei, wie sie ihre Zeit damit verbringt, als eine Art Wiedergängerin von Agnès Vardas »Sammlerin« den wilden Strand nach Fundstücken und Artefakten zu durchforsten. Sie sammelt nicht die Preziosen, die schönen Muscheln oder glänzenden Steine, sie sammelt auf, was die ferne Zivilisation mit den Wellen zu ihr herüberspült. Gerissene Netze, Plastikobjekte, den ganzen Müll. Daraus macht Zoe Lucas Land Art, Installationen und Skulpturen, die wieder neue Schönheit erhalten, als Mahnmale für unser Konsum-Leben. Das ist natürlich auch Arbeit! Zu Gast ist Markus Guddat von Greenpeace München (Do 19.01. 19:00).
Der Pay Gap ist in aller Munde, aber weiß jemand auch, was die Glass Ceiling ist? Das ist die Decke, an die Frauen immer wieder stoßen, wenn sie im Beruf aufsteigen wollen: die obere Etage ist sichtbar, und doch tut es empfindlich weh, wenn der Kopf sich daran stößt. Die Finnin Mari Soppela hat sich in It’s Raining Women (2022) dieses Phänomens angenommen und guckt mal amüsiert, mal desillusioniert auf Aktivistinnen, die mehr wollen vom Leben als nur ein paar Krümel von der Sahnetorte. Zu Gast ist Sabine Kellig von der Münchner Gleichtstellungsstelle (Fr 20.01. 18:00).
Es gibt eine neue Software, die Meetings einfach cancelt: Shopify hat fast 10 000 Einträge einfach aus den Kalendern der Mitarbeitenden herausgelöscht. »Die sollen sich wieder konzentrieren können«, kommentiert die »Süddeutsche Zeitung« lakonisch.
Der Finne John Webster fände die Idee vermutlich prima. In The Happy Worker geht er den Ursachen von Burn-Out nach, dies allerdings mit einer gehörigen Portion Ironie: Meetings waren einmal eine Empfehlung des »Simple Sabotage Field Manual«, also ein wirksames Mittel, um Abläufe zu sabotieren (und die Teilnehmenden psychologisch zu erodieren). Zu Gast ist der Arbeitspsychologe Matthias Lohmer (Fr 20.01. 21:00).
Eine Win-Win-Situation ist ja, wenn angeblich alle was davon haben. Dazu gehört auch, Arbeit als Game zu tarnen. Friedrich Rackwitz, HFF-Absolvent, ist der Gamification unserer Arbeitswelt in seinem Abschlussfilm Win Win (2022) nachgegangen. Servicetechniker werden spielerisch zu Höchstperformances angetrieben, eine Taxi-App hat ein perfides Punktesystem ersonnen, damit die Fahrerinnen und Fahrer mehr Touren drehen. Das Schlimmste daran: Wir alle arbeiten schon an der Gamifizierung unseres Lebens. Apropos: Heute schon alle Schritte gemacht? Zu Gast ist der Filmemacher (Sa 21.01. 18:00).
Spielerisch nimmt es auf jeden Fall Marten Persiel, der mit This Ain’t California vor Jahren für einen mittleren Skandal gesorgt hat, weil er nicht gleich mit der Sprache rausrücken wollte, dass es sich dabei um ein Mockumentary handelt. Jetzt legt er mit Everything Will Change ein weiteres Dokumentarfilmmärchen vor. Im Jahr 2054 gehen drei junge Leute auf eine Safari durch eine leere Landschaft, um herauszufinden, was mit den einst existierenden Lebewesen und Pflanzen passiert ist. Eine dystopische Vision, die nicht erst seit dem Artenschutzabkommen von Montreal hoch aktuell ist. 200 Staaten einigten sich im Dezember darauf, je 30 Prozent ihrer Landes- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen. In diesen Schutzgebieten sollen vorhandene Lebensräume bewahrt und geschädigte wiederhergestellt werden. Ob’s was hilft? Auf jeden Fall reisen die Protagonisten von Marten Persiel zurück ins Jahr 2020 und versuchen noch einmal, die Schrauben anders zu stellen. Mit einem Video-Live-Talk mit Marten Persiel (Sa 21.01. 21:00).
FilmWeltWirtschaft
Und danach?
19.–22.01.2023, Filmmuseum München