Nach der Arbeit

Deutschland 2021 · 113 min.
Regie: Alexander Riedel
Produktion: Bettina Timm
Drehbuch: ,
Kamera: Tim Kuhn, Alexander Riedel, Tobias Tempel, Julian Krubasik, Moritz Tessendorf u.a.
Schnitt: Alexander Riedel, Ursula Ambach, Ulrike Tortora
Filmszene »Nach der Arbeit«
Stahlarbeiter Hartmut hält sich am letzten Automatenkaffee fest
(Foto: Pelle Film)

Übergangsriten des Ruhestands

In Nach der Arbeit spannt Alexander Riedel einen Reigen rüstiger Rentner auf, gibt dabei auch Einblick in die Schwere des Übergangs

Der Fami­li­enrat tagt. Die Fisch­zucht soll an die Kinder übergeben werden, und die haben eigene, seltsame Vorstel­lungen, wie der Betrieb zu führen sei. »Karl, der Fischer«, wie ihn Regisseur Alexander Riedel liebevoll aus dem Off einführt, fürchtet, dass sein Lebens­werk in Gefahr ist. Seine Frau, die mit ihm tagtä­g­lich Dutzende, gar Hunderte von Fischen mit großem Köcher aus dem Teich hinter dem Wohn- und Arbeits­haus gehoben hat, versteht das Verlangen der Kinder­ge­nera­tion nach Urlaub nicht. Gut, die Arbeit können sie dritteln, das macht dann für jeden zwei Drittel Freizeit. Nur, dass die Kinder noch anderen Tätig­keiten nachgehen. Ihr Leben ganz der Fisch­zucht zu opfern, wie das noch die Eltern taten, das können sie sich nur schwer vorstellen.

Die Geschichte vom Fischer und seiner Frau ist eine von fünf Geschichten aus dem wahren Leben, die Doku­men­tar­filmer Alexander Riedel in Nach der Arbeit erzählt. Es geht um den Übergang aus dem Arbeits­leben in die Rente, eine Schwel­lenü­ber­schrei­tung, die in Erzäh­lungen oft mit dem tristen Ausstands-Gelage endet, bei dem wahlweise Frucht­spießchen gereicht werden, wie im Film für Lehrerin Marion, Sekt oder Torte kredenzt werden und Witze über die heran­bre­chende Phase im Rentner-Beige gemacht werden. Seltener sind über­schwäng­liche Besäuf­nisse und große Freude. In Spiel­filmen gibt es zum Ausstand meist eine Uhr, zuhause erwartet einen Einsam­keit und das Wegfallen von Routinen: Das sind Topoi im Genre der »Ruhe­stands­filme«, die meist dem späteren Aufleben der Prot­ago­nisten (neue Liebe, neue Sinn­stif­tung) oder dem Untergang voran­gehen.

Bei Riedel bleiben depressiv stimmende Szenarien aus. Alle von ihm Portrai­tierten haben schon Pläne für das Leben nach der Arbeit gefasst und sind durch eine ausrei­chende Rente abge­si­chert. »Eine Schuh­ver­käu­ferin, die direkt nach dem Rentenü­ber­tritt als 450-Euro-Kraft weiter­ar­beitet, lässt sich filmisch schlecht erzählen, das ist ein Satz, und die Geschichte ist vorbei«, sagt er im Gespräch mit »artechock«. Trotzdem macht Nach der Arbeit spürbar, dass selbst für die Abge­si­cherten »in Rente gehen« ein schwie­riger Prozess ist, der mit ambi­va­lenten Gefühlen verbunden ist.

Für seinen Film hat er starke Prot­ago­nist*innen gefunden, die jede und jeder für sich ein kleines Universum eröffnen: Da ist die Schau­spie­lerin, die im Alter keine Rollen mehr bekommt. Da ist der türkische Busfahrer, der sein ganzes Leben lang in Deutsch­land gear­beitet hat und jetzt zurück in die Heimat geht. Da ist die Lehrerin, die noch einmal das Leben umarmen will und ihren Förster-Gatten allein in seinem Wald zurück­lässt. Da ist der Stahl­ar­beiter, der sich für die nächste Genera­tion einsetzt. Und da ist schließ­lich noch das Fischer-Ehepaar.

Diese fünf Schick­sale sind zugleich indi­vi­duell und doch reprä­sen­tativ für den jewei­ligen Berufs­stand. Die Probleme bei der Übergabe des Fami­li­en­be­triebs an die jüngere Genera­tion etwa, wie im Beispiel der Fischer, die als Selbstän­dige endlich in den »wohl­ver­dienten Ruhestand« treten wollen, zeigen das leidige Thema, von dem viele Fami­li­en­be­triebe wissen, sei es in der Agrar­wirt­schaft, im Handwerk oder gar in der Schau­stel­lerei, also zum Beispiel im Kino­be­trieb. Die Alten können nicht loslassen und wirklich an die Kinder übergeben, können sich auch nicht damit anfreunden, dass sie von nun an zusehen sollen. Die Jungen können es nicht ertragen, dass ihnen die Alten ins Heft diktieren, und am Ende steht alles auf tönernen Füßen und droht zu zerbre­chen: der Betrieb, die Familie, das private und profes­sio­nelle Lebens­werk.

Aufgeräumter ist die Stimmung bei Busfahrer Alim, mit »Mario-Adorf-Blick« (Riedel). Sein halbes Leben lang hat er einen Linienbus durch die Straßen von München gelenkt, bei Film­be­ginn ist Neuper­lach seine Strecke. Im Ruhestand wird er in das Dorf seiner Familie in der Türkei zurück­kehren, wo ein Haus auf ihn wartet, das er sich von seinem Busfah­rer­ge­halt gebaut hat. Er hofft auch, eine Frau zu finden, endlich, denn bislang hatte er kein Glück in der Liebe. »Gast­ar­bei­ter­ge­fühle« hatte er eigent­lich immer, das hier ist nicht seine Heimat.

Nach der Arbeit lässt so auch erahnen, wie die Arbeit auch nur ein schaler, trauriger Kompro­miss im Lebens­ent­wurf sein könnte. Diese Inter­pre­ta­tion aber drängt der Film nicht auf, überlässt es vielmehr dem Zuschauer, seine eigenen Schlüsse aus dem Erzählten zu ziehen. Denn so eindeutig ist das natürlich nicht, die Sache mit der Arbeit und dem Leben. Busfahrer Alim macht trotz seiner Schmal­spur-Existenz in Deutsch­land einen rundum zufrie­denen und in sich ruhenden Eindruck.

Schau­spie­lerin Jutta nimmt Riedel gleich mal das Regie-Zepter aus der Hand und macht aus dem Doku­mentar- einen Spielfilm. »Also, es klingelt, und ich gehe ganz schnell zur Tür. So etwa.« Bei ihr zuhause sieht es ein wenig so aus, als würde sie im Hotel wohnen, und noch immer treibt sie die Sehnsucht nach der Kamera und den Rollen um, und sei es nur der Auftritt in einer Fern­seh­serie. Mit ihrer glamourösen Attitude kann sie aber nicht über­tün­chen, dass ernst­hafte gesund­heit­liche Probleme ihr ehemals aufre­gendes Leben gefährden.

In ruhig kadrierten Aufnahmen zeigt Riedel seine »Filmstars« in ihrer Alltags­um­ge­bung, wechselt dabei episo­disch zwischen den einzelnen Geschichten hin und her und schreitet dabei die drei Jahre seiner Lang­zeit­be­ob­ach­tung voran. Ausgangs­punkt und roter Faden des Films, und das ist für Alexander Riedel ein Novum, ist ein persön­li­cher Zugang in die Thematik. Sein Vater war schon sechzig, als er auf die Welt kam, und dennoch hat er ihn immer als Arbei­tenden erlebt, erzählt Ich-Sprecher Riedel aus dem Off. Auch wie eine Banklehre ihn zum Film brachte und unter­schied­liche Jobs ihn in seiner Themen­wahl beein­flussten, verrät er. Die Arbeit stand als Thema dabei eigent­lich immer im Zentrum, genauer gesagt, der Übergang im Themen­feld der Arbeit. »Von Über­gängen zu erzählen, hat mich immer inter­es­siert. Die Heraus­for­de­rung ist in den Leben­sü­ber­gängen am stärksten. Das Ende der Arbeit bedeutet auch einen Neubeginn, einen Sprung ins Leben. An der Schwelle zu verweilen, ist mein großes Thema.« Das beglei­tende Beob­achten der Tran­si­tion zieht sich durch viele seiner Filme. In Morgen das Leben (2010) kehren Aussteiger*innen ihrem Job den Rücken, um als Quer­ein­steiger*innen neue Energie zu finden, in Nacht­schicht (2003) zeigt er den Übergang von der Drucker­schwärze zur auslie­fer­baren »Süddeut­schen Zeitung« im seltsamen Zwischen­reich der Nacht­ar­beit.

Man könnte bei Riedel auch von Schau­spiel­füh­rung sprechen, auch wenn seine Darsteller natürlich »echte« Figuren in eigener Sache sind. Alle zeichnet eine große Kame­ra­prä­senz aus, die sich dem guten Gespür beim Casting verdankt. In Draußen bleiben (2007) hatte Riedel seine Stärke bewiesen, »Laien­dar­stel­lern« das Urver­trauen für die Kamera zu geben und im Schnitt ein stimmiges Universum wie im Spielfilm zu kreieren.

Nur, dass anders als im Spielfilm das echte Leben nicht nur nach der Arbeit, sondern natürlich auch nach dem Film weiter­geht.