40. Filmfest München 2023
»So vielfältig wie nie.« |
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»Das Filmfest ist ein Boutique-Festival.« | ||
(Foto: Cartoon: Niko B. Urger) |
Von Dunja Bialas
»Selbstbewusst und unerschrocken«, so findet es zumindest das Festival, präsentiert sich das Team des Filmfests rund um die ganz in Kobaltblau gekleidete Chefin Diana Iljine vor wenigen Tagen der Presse. Es wird die letzte Ausgabe der scheidenden Geschäftsführerin sein; wie schon Mitte Mai angekündigt, wird den Posten für die nächsten zwei Ausgaben der derzeitige künstlerische Leiter Christoph Gröner übernehmen. Als Zwischennutzung seiner Person sozusagen, was gut passt für eine Stadt, die sich gerade im Provisorium einrichtet. Stichwort: Zwischennutzung des leergeräumten Gasteig als »Fat Cat«, für den wiederum die Zwischennutzungsimmobilie HP8 bezogen wurde.
Anders aber als in den beiden schwierigen Corona-Jahren (und auch letztes Jahr gab es noch eine beachtliche Ansteckungswelle) hat sich das Filmfest dieses Jahr von seinen alternativen Spielorten Sugar Mountain und Bahnwärter Thiel verabschiedet und kehrt in die Kinos zurück. Freilichtkino gibt es noch beim professionellen Open Air »Kino Mond und Sterne« zu sehen, wo gut Licht und Ton garantiert sind, anders als bei den scheppernden und von den Schaufenstern angeleuchteten Vorführungen zwischen den Boutiquen der exklusiven Fünf-Höfe-Shopping-Mall vor zwei Jahren.
Nichtdestotrotz: Das Filmfest versteht sich als Boutique-Festival. Dies zumindest findet Gröner. Was das ist? Ein Festival, das ausgewählte Filme bereit hält, schöne Stücke sozusagen, so seine Definition, und ein Festival, das Filme »kontextualisiert«. Also ihnen einen Rahmen gebe, mit Werkschauen oder Ausstellungen. Vielleicht meint er einen Concept-Store? Auf keinen Fall eine Restrampe oder einen Discounter! Gröner geht es hier um die Weltpremieren. Sechs Stück hätten sie im internationalen Programm, neben den Filmen in den deutsche Sektionen. Nach dem Erfolg im letzten Jahr haben sie zahlreiche Weltpremieren angeboten bekommen, erzählt Gröner, sich aber für nur wenige handverlesene (internationale) Filme entschieden. Das kommt dann in die Boutique. Ein Boutique-Festival aber, so wissen es die Musikfestivals, wo der Begriff geläufig ist, sind »festivals on a small and intimate scale«. Und das hat der designierte Interims-Chef Gröner wohl kaum gemeint, auch wenn es bei der Beergarden-Convention (»the Munich way the industry works«) wieder gemütlich werden soll.
Überraschend intim und on a small scale mutet aber – teilweise zumindest – die Auswahl in der Sektion Neues Deutsches Kino an. So findet man mit Das Kombinat den alten Bekannten Moritz Springer aus Starnberg im Programm, mit einem Dokumentarfilm, in dem er über neun Jahre lang das unter den Münchnern äußerst beliebte Mitmach-Kartoffelkombinat begleitet hat. 2015 lief beim Filmfest schon sein Film Projekt A, der mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Auch einen Münchner HFF-Abschlussfilm findet man unter den Weltpremieren, den sehr spannend klingenden Boyz des Starter-Filmpreisträgers Sylvain Cruiziat. Er zeigt den Abschied von einem mehr oder minder unbeschwerten Leben in München und erzählt von der Empfindsamkeit, wie sie in der jüngeren Generation auch unter den Männern entstanden ist: das ist gefühlvolle Richard-Linklater-Boyhood und Beispiel für die narrative Kraft, die ein Dokumentarfilm zu entfalten weiß.
Auch Anna Roller ist eine HFF-Bekannte und Starterfilmpreisträgerin, die junges Erzählkino beherrscht. Ihr neuer Film Dead Girls Dancing wird in geteilter Weltpremiere mit Tribeca gezeigt, so die erfreuliche Randnotiz im Programmheft. Denn was nicht passieren sollte: Dass das Filmfest München die regionalen Filmschaffenden an sich bindet und ihnen – und das lehrt wiederum der Blick in die Münchner Musik- und Tanzszene – den Weg in die sprichwörtliche weite große Welt verstellt.
Besonders freuen sollte man sich auf Die Tagebücher von Adam und Eva von Franz Müller, Mitherausgeber der Filmzeitschrift »Revolver«. Zwar ist er ebenfalls ein alter Bekannter des Filmfests, aber eben auch ein sehr guter Bekannter, den man gerne wiedersieht – ihn und seine Filme. Müller darf als Moralist der Liebe gelten (u.a. Die Liebe der Kinder, Worst Case Scenario, Happy Hour) und geht in seinem neuen Film dem Phänomen des »Sich aneinander Gewöhnens« in Beziehungen nach. Oder: Wie aus Fremden Freunde und Geliebte werden. Zu erwarten ist höchst feinsinnige und kluge Unterhaltung.
Den Filmfest-Jubel über die Weltpremieren der internationalen Filme kann man leider nur nachvollziehen, wenn man auf der Pressekonferenz mitgeschrieben hat. Im Programmheft sucht man vergeblich nach der Ausweisung der Weltpremieren. Ausnahmen sind Uki der Taiwanesischen Multimedia-Künstlerin Shu Lea Cheang (kontextualisiert durch eine Hommage) und Sweet Sue des Briten und Mike-Leigh-Sohns (das ist der Kontext) Leo Leigh.
Auch ist im gedruckten Heft natürlich kein Platz für Biographien, die lassen sich aber auf der Website nachlesen. Im Heft, das zur schnellen Orientierung dient, finden sich aber Hinweise auf Filme aus Cannes – die vor wenigen Wochen in Windeseile noch schnell »geshoppt« wurden, um im Boutique-Bild zu bleiben. Die Namen lesen sich wie eine Ballung anspruchsvoller Luxus-Marken: Da ist der neue Bellocchio (Rapito), der neue Hirokazu (Monster), der neue Kaurismäki (Fallen Leaves), der neue Escalante (Perdidos en la noche). Der neue Jessica Hausner Club Zero, der ebenfalls in Cannes uraufgeführt wurde, wird in der Boutique mit einer Retrospektive kontextualisiert. Was aber schon vor Cannes beschlossene Sache war.
Unbekanntere Filmschaffende und gar Debütfilmer*innen aus Cannes sind ebenfalls vertreten und dürfen trotz aller Cannes-Weltpremieren immer noch als echte Geheimtipps gelten. Rarmata-Toulaye Sy aus Senegal zeigt mit Banel e Adama eine phantastische Emanzipationsgeschichte (hier unsere Besprechung). Crowrã der Portugiesen João Salaviza und Renée Nader ist ein kollektiver Film, auf 16mm mit dem bedrohten Volk der Krahô im brasilianischen Dschungel gedreht, und Los Colonos des Chilenen Felipe Gálvez ist ein seltener Fall eines »Männerfilms«, wie ein Bekannter abfällig befand – den fast schon klassischen Western mit atemberaubender, auf 35mm fotografierter Landschaft, mit kurzen Gewalteinbrüchen, kann man aber wirklich sehr gut ansehen (hier unsere Besprechung) – und er wurde mit dem Preis der internationalen Filmkritik bedacht.
Das Filmfest zeigt sich laut Gröner dieses Jahr »so vielfältig wie nie«. Und in der Tat ziehen Nebenreihen wie die Hommage an die queere Multimediakünstlerin Shu Lea Cheang und die Reihe »Uranians« die Aufmerksamkeit auf sich. In letzterer präsentiert die in der Szene bekannte New Yorker Multimediakünstlerin A.L. Steiner ein Film- und Videoprogramm, das queere und »weiblich gelesene« Sexualität zeigt. Unter anderem mit den gefeierten Filmen von Bruce LaBruce (Hustler Wife) und Paul B. Preciado (Orlando, meine poltische Biografie). Schade aber eigentlich, dass es mit dem Feminismus anscheinend vorbei ist. Hoffentlich hat das Panel mit Steiner, Shu und LaBruce genug Sprengkraft. Mit dem queeren Diversity-Schwerpunkt aber ist das Filmfest natürlich auch Zeitgeist.
Auch die CI (Corporate Identity) schlägt neu auf. Vorbei ist die Zeit der mondänen Sonnenbrillen, für die die Glamour-Festivalchefin Iljine immer stand, vorbei die Zeit der phantasievollen Trailer mit Magic Mushrooms. Key Visual ist jetzt ein vom Klimawandel heimgesuchtes, von deutlichen Brandblasen gezeichnetes, sonnenverbranntes, weiblich-asiatisch lesbares Gesicht. Der Trailer beschränkt sich auf betörende Claims: »am Puls der Zeit – summer in the city – best films / movies / guests in town / on screen – fresh ideas for you – cinema lovers most welcome«, ja, das schmeißt sich schon ganz schön ran. Und während man noch darauf wartet, dass er richtig losgeht, stellt man fest: Das war schon der Trailer.
Dann lieber auf den Filmfest-Beginn warten. Festzustellen ist, dass sich im Team wie schon letztes Jahr Gelassenheit breit macht, die sich sicherlich auch wieder in den Garten des America-Hauses, dem neuen Festivalzentrum samt BeerCon, übertragen wird. Die Anspannung hat wohl seit dem Corona-Trauma nachgelassen, auch der Druck, internationale A-Stars nach München bringen zu müssen, scheint seit dem Zerplatzen der Söder-Millionen-Seifenblase vorbei. Zumindest »wordet« man nicht mehr in dieser Richtung herum. Statt dessen will man feiern: nämlich ein Filmfest. Mit alten und neuen Freunden und Bekannten. Entspannt. Boutique hin oder her.