22.06.2023
40. Filmfest München 2023

40 verweht...

The Persian Version
Hat den Arthouse-Mainstream-Lackmustest bestanden: The Persian Version
(Foto: 40. Filmfest München)

Hauptsache Queerness, oder was? Besser Nonchalance. Jedenfalls aber diesmal kein Cannes an der Isar – ein paar quere Gedanken zum Auftakt des 40. Filmfest

Von Rüdiger Suchsland

»Push closer, my lovers, and take the best I possess,
Yield closer and closer, and give me the best you possess.
This is unfi­nished business with me*\How is it with you?
I was chilled with the cold types, cylinder, wet paper between us.
...
Happiness, knowledge, not in another place, but this
place*\not for another hour, but this hour,
Man in the first you see or touch*\always in your
friend, brother, nighest neighbor*\Woman in your mother, lover, wife,«

The popular tastes and occu­pa­tions taking prece­dence in poems or any where,
You workwomen and workmen of These States having
your own divine and strong life,
Looking the President always sternly in the face,
unbending, noncha­lant

– Walt Whitman

Morgen Abend wird eröffnet: The Persian Version – das verspricht, eine kluge Eröff­nungs­film­wahl zu werden. Klingt iranisch, scheint damit politisch erstmal ein »vernünf­tiges« Zeichen zu sein, gegen das absolut niemand ernsthaft etwas sagen kann, stammt auch noch von einer Frau, und lief in Sundance, droht also nicht mit Kunstan­stren­gung, sondern ist hip und hat den Arthouse-Main­stream-Lack­mus­test bestanden. Und ist alles in allem so ameri­ka­nisch, wie es ein Film über New Yorker Einwan­derer der ersten Gene­ra­tion aus Persien eben sein kann.

Regis­seurin Maryam Keshar­varz lässt in diese »Culture-Clash-Komödie und Fami­li­en­drama« (so das Filmfest) angeblich persön­liche Erfah­rungen einfließen: Die rebel­li­sche New Yorkerin Leila will modern sein, aber auch nicht vor der ach so mächtigen Familie versagen. Alle bekannten Migran­ten­kli­schees, von denen ja mindes­tens die Hälfte stimmt, einmal im dritten Aufguss fürs Premie­ren­pu­blikum, von denen auch mindes­tens die Hälfte sich auf dem Filmfest danach nicht mehr blicken lässt.
In Sequenzen, die die »vierte Wand«, also die Trennung zum Publikum durch­bre­chen, erzählt uns Leila im »Fleabag«-Stil von ihrer Vergan­gen­heit, in der sie die ameri­ka­ni­sche Kultur mit ihren Reisen in den Iran vermischt hat, und davon, dass sie der iranisch-ameri­ka­ni­sche Martin Scorsese werden möchte. Ansonsten soge­nannte Frauen(film)probleme wie ein pein­li­cher Ex und zeit­geis­tige Haupt­figur-Charak­ter­ei­gen­schaften wie Leilas lesbische Orien­tie­rung.

»Völlig uner­wartet«, so das Filmfest-Internet, war die Mutter »auch einmal eine junge Frau mit eigenen Träumen und Traumata«.

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Pffff – ja das Filmfest-Internet... Was da alles steht!

Besser gar nicht erst lesen.

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Der Blick ins Programm lässt hoffen, der Blick in die Programm­prä­sen­ta­tionen eher weniger. Viel zeit­geis­tiges Gerede findet sich da, viel zu viel WG-Talk, viel zu wenig Eigensinn. Ein Film ist ja nicht dadurch besser oder auch nur sehens­werter, dass er »hege­mo­niale Insze­nie­rungen« »hinter­fragt« und »zur selbst­be­stimmten Gegen­dar­stel­lung« aufruft. Was soll das alles überhaupt sein?

Was soll Kino letzt­end­lich? Es soll gut unter­halten. Spaß machen. Nicht zu kompli­ziert. Und es soll Kunst sein, das heißt möglichst kompli­ziert irri­tieren, heraus­for­dern, provo­zieren – es soll einen also über­ra­schen. Es ist nun aber gar nichts Über­ra­schendes am »Hinter­fragen« und Aufrufen zur Selbst­be­stim­mung, das haben schon Dutzende von Studenten- und Volks­hoch­schul­ge­ne­ra­tionen vor 2023 durch­ex­er­ziert.

Zum Zeitgeist gehört auch die große Betonung, die zumindest in dem Programm auf »queere« Themen, auf Sexua­lität und Geschlech­ter­fragen gelegt wird, die offenbar unbedingt auf der Leinwand (de-)konstru­iert werden müssen. Als ob unsere Welt nicht noch ein paar andere Sorgen hätte.

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Der schönste Titel lautet: The Feeling That The Time For Doing Something Has Passed. Ich kenne den Film nicht, aber das Gefühl, und darum will ich ihn mir ansehen, auch wenn es um BDSM geht, was mich nicht die Bohne inter­es­siert, und sonst glaub ich sehr Mumb­le­core-haft ist...

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Einiges wird anders beim Filmfest München – und das ist schon mal eine gute Nachricht. Das Film­pro­gramm wird abge­speckt, statt über 200 Filme gibt es nur noch 147. Gut!

Immer noch haben die Wett­be­werbe genannten Reihen so kuriose wie für Außen­ste­hende voll­kommen undurch­schau­bare Namen wie CineMas­ters, CineVi­sion und CineRe­bels. Letztere könnte auch »irgendwas mit Sex« heißen, die CineMas­ters »Freude der Freunde« und CineVi­sion »Haupt­sache weit weg«, jeden­falls lassen sie nicht nur mich ratlos zurück.
Eine gute Idee dagegen: Die Retro­spek­tive ist der Öster­rei­cherin Jessica Hausner (Lovely Rita, Hotel, Lourdes) gewidmet. Zu sehen ist auch ihr neuer Film Club Zero, der in Cannes die Gemüter spaltete.

Zwölf Jahre lang hat Diana Iljine das Filmfest München geleitet. Jetzt geht sie. Im FAZ-Interview erinnert sie zum Abschied an Bunde­sprä­si­dent Richard von Weiz­sä­cker: »Kultur ist kein Nice-to-have, sondern ein Must-have: Nahrung.«

Der Frage­steller erinnert an Markus Söders Kampf­an­sage an die Berlinale: »Berlin ist schön, München ist schöner«. München sollte A-Festival werden. Iljine nennt das »eine alte Kamelle«, verrät dann aber, dass es nicht an Söder lag, sondern an den Gesell­schaf­tern, die sich nicht auf eine Vision einigen konnten. »Das ist komplexer, als es scheint.« Und weiter: »Wir wollten nie ein A-Festival werden«- Warum eigent­lich nicht?

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Ein Cannes an der Isar ist das Filmfest dieses Jahr nicht, dafür kommen diesmal über­ra­schend wenig und jeden­falls zu wenige High­lights von der Croisette zum Filmfest. Eher Werke aus der zweiten Reihe, den Nebensek­tionen. Bei den sehens­werten Latinos Crowwr, Los Colonos, Eureka und Los Reyes del Mundo können die Leser unsere Cannes-Texte und Podcasts dazu über­prüfen.
Aus dem Wett­be­werb gibt es immerhin Monster von Hirokazu Kore-eda und Kidnapped von Marco Belloc­chio – beides äußerst sehens­wert!
Zu Fallen Leaves fällt mir dagegen nichts mehr ein, außer: »Wie betulich geht’s eigent­lich noch! Wenige Filme finde ich öder als die von Aki Kauris­mäki. Aber andere lieben sie. Wie sonst nur bei Wenders (der uns im Gegensatz zu Cannes glück­li­cher­weise erspart blieb) verraten Kauris­mäkis Filme etwas über die Befind­lich­keit ihrer Betrachter, die diese hier hemmungslos ausleben können.«

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In der ernst­haf­testen Wett­be­werbs­reihe »Neues Deutsches Kino« ist man besonders gespannt auf Black Box von Aslı Özge, der man eigent­lich eine inter­na­tio­nale Welt­pre­miere zugetraut hätte. Ihr Film erzählt von Klaus­tro­phobie und Paranoia.
Dazu neue Arbeiten von Henrika Kull, Franz Müller, Rainer Kaufmann und Lars Kraume. Und vor allem unbe­kannte Hand­schriften. Aber auch hier wieder lese ich von vielen Mode­to­pics und viel privater Nabel­schau: »Diver­si­täts­de­batten zwischen Empower­ment und Tokenism ... hinter der Fassade der männ­li­chen Jugend ... ein intimer und sensibler Austausch über nicht vorhan­denen Sex und die Suche nach Liebe und Aner­ken­nung... Alltags­ras­sismus in Deutsch­land«. Ja doch!

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Seit Jahren hat das deutsche Fernsehen eine eigene Reihe.

Immer besonders neugierig sind wir auf die Filme vom Münchner Alexander Adolph (der auch Grimme-Preis­träger ist). Der ist diesmal mit gleich zwei Filmen beim Filmfest. In Die nettesten Menschen der Welt geht es um die 19-jährige Lilli, die wegen einer schweren Allergie ihre Wohnung nicht verlassen darf. Als ihr Vater anruft, um ihr mitzu­teilen, dass sie sofort fliehen müsse, weil ihr jemand nach dem Leben trachte, geht es so richtig los...
Nochmal Adolph dann in Flun­ky­ball über den sieb­zehn­jäh­rigen Franz, der ein schüch­terner Einzel­gänger ist, dann aber ein Traumgirl nach Hause bringt: Zoe. Eines Tages ist sie verschwunden, und die Suche nach ihr fördert Dinge zutage, die viel­leicht niemand wissen wollte.
Keine Münchner Fern­seh­reihe ohne Veronica Ferres. Entführt – 14 Tage Überleben heißt die passen­der­weise auf RTL vorge­se­hene Serie, die Ferres produ­ziert hat, und bei der der einstige Kino­re­gis­seur Marc Rothemund Regie führte.
Spannend und sehens­wert dürfte David Dietls Serie Gute Freunde sein, über den Aufstieg des FC Bayern zur Fußball­welt­macht Mitte der Sieb­zi­ger­jahre. Die Frage, um die es geht: Was macht der Reichtum mit Gerd Müller, Sepp Maier, Franz Becken­bauer, Paul Breitner und Uli Hoeneß.
Der größte Knaller aber ist ohne Frage Oliver Masucci als Alfred Herr­hausen – die ARD-Serie Herr­hausen – Herr des Geldes von Regis­seurin Pia Striet­mann porträ­tiert den schil­lernden Banker, auf seinem Weg vom Napola-Zögling zum RAF-Märtyrer.

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Mehr Lust am Uner­war­teten und viel mehr Noncha­lance wünscht man den Filmen, auch den post­pan­de­mi­schen deutschen wie dem Filmfest wie dem neuen Chef Christoph Gröner.

Naja. Wird schon werden.