40. Filmfest München 2023
40 verweht... |
||
Hat den Arthouse-Mainstream-Lackmustest bestanden: The Persian Version | ||
(Foto: 40. Filmfest München) |
»Push closer, my lovers, and take the best I possess,
Yield closer and closer, and give me the best you possess.
This is unfinished business with me*\How is it with you?
I was chilled with the cold types, cylinder, wet paper between us.
...
Happiness, knowledge, not in another place, but this
place*\not for another hour, but this hour,
Man in the first you see or touch*\always in your
friend, brother, nighest neighbor*\Woman in your mother, lover, wife,«The popular tastes and occupations taking precedence in poems or any where,
You workwomen and workmen of These States having
your own divine and strong life,
Looking the President always sternly in the face,
unbending, nonchalant
– Walt Whitman
Morgen Abend wird eröffnet: The Persian Version – das verspricht, eine kluge Eröffnungsfilmwahl zu werden. Klingt iranisch, scheint damit politisch erstmal ein »vernünftiges« Zeichen zu sein, gegen das absolut niemand ernsthaft etwas sagen kann, stammt auch noch von einer Frau, und lief in Sundance, droht also nicht mit Kunstanstrengung, sondern ist hip und hat den Arthouse-Mainstream-Lackmustest bestanden. Und ist alles in allem so amerikanisch, wie es ein Film über New Yorker Einwanderer der ersten Generation aus Persien eben sein kann.
Regisseurin Maryam Kesharvarz lässt in diese »Culture-Clash-Komödie und Familiendrama« (so das Filmfest) angeblich persönliche Erfahrungen einfließen: Die rebellische New Yorkerin Leila will modern sein, aber auch nicht vor der ach so mächtigen Familie versagen. Alle bekannten Migrantenklischees, von denen ja mindestens die Hälfte stimmt, einmal im dritten Aufguss fürs Premierenpublikum, von denen auch mindestens die Hälfte sich auf dem Filmfest danach nicht mehr blicken
lässt.
In Sequenzen, die die »vierte Wand«, also die Trennung zum Publikum durchbrechen, erzählt uns Leila im »Fleabag«-Stil von ihrer Vergangenheit, in der sie die amerikanische Kultur mit ihren Reisen in den Iran vermischt hat, und davon, dass sie der iranisch-amerikanische Martin Scorsese werden möchte. Ansonsten sogenannte Frauen(film)probleme wie ein peinlicher Ex und zeitgeistige Hauptfigur-Charaktereigenschaften wie Leilas lesbische Orientierung.
»Völlig unerwartet«, so das Filmfest-Internet, war die Mutter »auch einmal eine junge Frau mit eigenen Träumen und Traumata«.
+ + +
Pffff – ja das Filmfest-Internet... Was da alles steht!
Besser gar nicht erst lesen.
+ + +
Der Blick ins Programm lässt hoffen, der Blick in die Programmpräsentationen eher weniger. Viel zeitgeistiges Gerede findet sich da, viel zu viel WG-Talk, viel zu wenig Eigensinn. Ein Film ist ja nicht dadurch besser oder auch nur sehenswerter, dass er »hegemoniale Inszenierungen« »hinterfragt« und »zur selbstbestimmten Gegendarstellung« aufruft. Was soll das alles überhaupt sein?
Was soll Kino letztendlich? Es soll gut unterhalten. Spaß machen. Nicht zu kompliziert. Und es soll Kunst sein, das heißt möglichst kompliziert irritieren, herausfordern, provozieren – es soll einen also überraschen. Es ist nun aber gar nichts Überraschendes am »Hinterfragen« und Aufrufen zur Selbstbestimmung, das haben schon Dutzende von Studenten- und Volkshochschulgenerationen vor 2023 durchexerziert.
Zum Zeitgeist gehört auch die große Betonung, die zumindest in dem Programm auf »queere« Themen, auf Sexualität und Geschlechterfragen gelegt wird, die offenbar unbedingt auf der Leinwand (de-)konstruiert werden müssen. Als ob unsere Welt nicht noch ein paar andere Sorgen hätte.
+ + +
Der schönste Titel lautet: The Feeling That The Time For Doing Something Has Passed. Ich kenne den Film nicht, aber das Gefühl, und darum will ich ihn mir ansehen, auch wenn es um BDSM geht, was mich nicht die Bohne interessiert, und sonst glaub ich sehr Mumblecore-haft ist...
+ + +
Einiges wird anders beim Filmfest München – und das ist schon mal eine gute Nachricht. Das Filmprogramm wird abgespeckt, statt über 200 Filme gibt es nur noch 147. Gut!
Immer noch haben die Wettbewerbe genannten Reihen so kuriose wie für Außenstehende vollkommen undurchschaubare Namen wie CineMasters, CineVision und CineRebels. Letztere könnte auch »irgendwas mit Sex« heißen, die CineMasters »Freude der Freunde« und CineVision »Hauptsache weit weg«, jedenfalls lassen sie nicht nur mich ratlos zurück.
Eine gute Idee dagegen: Die Retrospektive ist der Österreicherin Jessica Hausner (Lovely Rita, Hotel, Lourdes) gewidmet. Zu sehen ist auch ihr neuer Film Club Zero, der in Cannes die Gemüter spaltete.
Zwölf Jahre lang hat Diana Iljine das Filmfest München geleitet. Jetzt geht sie. Im FAZ-Interview erinnert sie zum Abschied an Bundespräsident Richard von Weizsäcker: »Kultur ist kein Nice-to-have, sondern ein Must-have: Nahrung.«
Der Fragesteller erinnert an Markus Söders Kampfansage an die Berlinale: »Berlin ist schön, München ist schöner«. München sollte A-Festival werden. Iljine nennt das »eine alte Kamelle«, verrät dann aber, dass es nicht an Söder lag, sondern an den Gesellschaftern, die sich nicht auf eine Vision einigen konnten. »Das ist komplexer, als es scheint.« Und weiter: »Wir wollten nie ein A-Festival werden«- Warum eigentlich nicht?
+ + +
Ein Cannes an der Isar ist das Filmfest dieses Jahr nicht, dafür kommen diesmal überraschend wenig und jedenfalls zu wenige Highlights von der Croisette zum Filmfest. Eher Werke aus der zweiten Reihe, den Nebensektionen. Bei den sehenswerten Latinos Crowwr, Los Colonos, Eureka und Los Reyes del Mundo können die Leser unsere Cannes-Texte und Podcasts dazu überprüfen.
Aus dem Wettbewerb
gibt es immerhin Monster von Hirokazu Kore-eda und Kidnapped von Marco Bellocchio – beides äußerst sehenswert!
Zu Fallen Leaves fällt mir dagegen nichts mehr ein, außer: »Wie betulich geht’s eigentlich noch! Wenige Filme finde ich öder als die von Aki Kaurismäki. Aber andere lieben sie. Wie sonst nur bei Wenders (der uns im Gegensatz zu Cannes glücklicherweise erspart blieb) verraten Kaurismäkis Filme
etwas über die Befindlichkeit ihrer Betrachter, die diese hier hemmungslos ausleben können.«
+ + +
In der ernsthaftesten Wettbewerbsreihe »Neues Deutsches Kino« ist man besonders gespannt auf Black Box von Aslı Özge, der man eigentlich eine internationale Weltpremiere zugetraut hätte. Ihr Film erzählt von Klaustrophobie und Paranoia.
Dazu neue Arbeiten von Henrika Kull, Franz Müller, Rainer Kaufmann und Lars Kraume. Und vor allem unbekannte Handschriften. Aber auch hier wieder lese ich von vielen Modetopics und viel privater Nabelschau:
»Diversitätsdebatten zwischen Empowerment und Tokenism ... hinter der Fassade der männlichen Jugend ... ein intimer und sensibler Austausch über nicht vorhandenen Sex und die Suche nach Liebe und Anerkennung... Alltagsrassismus in Deutschland«. Ja doch!
+ + +
Seit Jahren hat das deutsche Fernsehen eine eigene Reihe.
Immer besonders neugierig sind wir auf die Filme vom Münchner Alexander Adolph (der auch Grimme-Preisträger ist). Der ist diesmal mit gleich zwei Filmen beim Filmfest. In Die nettesten Menschen der Welt geht es um die 19-jährige Lilli, die wegen einer schweren Allergie ihre Wohnung nicht verlassen darf. Als ihr Vater anruft, um ihr mitzuteilen, dass sie sofort fliehen müsse, weil ihr jemand nach dem Leben trachte, geht es so richtig los...
Nochmal Adolph dann in
Flunkyball über den siebzehnjährigen Franz, der ein schüchterner Einzelgänger ist, dann aber ein Traumgirl nach Hause bringt: Zoe. Eines Tages ist sie verschwunden, und die Suche nach ihr fördert Dinge zutage, die vielleicht niemand wissen wollte.
Keine Münchner Fernsehreihe ohne Veronica Ferres. Entführt – 14 Tage Überleben heißt die passenderweise auf RTL vorgesehene Serie, die Ferres produziert hat, und bei der der
einstige Kinoregisseur Marc Rothemund Regie führte.
Spannend und sehenswert dürfte David Dietls Serie Gute Freunde sein, über den Aufstieg des FC Bayern zur Fußballweltmacht Mitte der Siebzigerjahre. Die Frage, um die es geht: Was macht der Reichtum mit Gerd Müller, Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Uli Hoeneß.
Der größte Knaller aber ist ohne Frage Oliver Masucci als Alfred Herrhausen – die ARD-Serie Herrhausen – Herr des Geldes von Regisseurin Pia Strietmann porträtiert den schillernden Banker, auf seinem Weg vom Napola-Zögling zum RAF-Märtyrer.
+ + +
Mehr Lust am Unerwarteten und viel mehr Nonchalance wünscht man den Filmen, auch den postpandemischen deutschen wie dem Filmfest wie dem neuen Chef Christoph Gröner.
Naja. Wird schon werden.