Gondeln tragen niemals Trauer |
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Zu Unrecht ignoriert: Michael Manns Ferrari | ||
(Foto: 80. Filmfestspiele Venedig) |
Die 80. Internationalen Filmfestspiele Venedig sind zwar bereits am Samstagabend mit der Preisverleihung zu Ende gegangen. Auf artechock gehen sie aber noch eine Weile weiter. Denn wie in den guten alten Zeiten der Printmedien werden wir hier diese und nächste Woche noch versuchen, in Texten und Podcasts ein bisschen analytischer zusammenzufassen, was Ende August, Anfang September an elf Tagen am Lido geschah, was wir gesehen haben, und was uns so passiert ist.
Denn so schön und befriedigend die Spontan-Berichterstattung in Form auch ist – manchmal funktioniert das aus diesen und jenen Gründen nicht so gut und fast immer bleiben alle möglichen Dinge auf der Strecke. Deswegen gab es diesmal die gewohnte Tagebuch- und Podcastberichterstattung nur eingeschränkt und auch für den Autor nicht wirklich befriedigend. Wir bitten unsere treuen Leser und die neugierigen Kollegen (süd-)deutscher Printredaktionen und in der Berliner Diaspora dafür um Verzeihung. Aber wir werden es wieder gut machen – hier und beim nächsten Festival.
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Die besten Filme in Venedig haben wie gewohnt bei diesem Festival keinen Preis bekommen. Entweder weil sie gar nicht erst nominiert oder überhaupt im Wettbewerb aufgeführt waren, oder weil sie offenbar der Jury zu intellektuell und zu bedeutungslos waren, zu traditionell und zu wenig hip. Sie heißen Ferrari, Agro Drift, Die Theorie von Allem und La bête.
Den Goldenen Löwen für den besten Film gewann Poor Things von Yorgos Lanthimos, den Großen Preis der Jury Ryusuke Hamaguchi für Evil Does Not Exist, die Beste Regie Matteo Garrone für Io capitano, den Preis für die beste Schauspielerin: Cailee Spaeny für Priscilla von Sofia Coppola.
Das waren alles keine Überraschungen, sondern erwartete Sieger.
Preise können Karrieren begründen, Namen bekannt machen. Im Fall des 80. Jubiläums Filmfestivals von Venedig dürften der Goldene Löwe und andere Preise dies nicht bewirken. Denn sie gingen an Filmemacher, die bereits bekannt sind und längst eine Karriere haben.
Der Goldene Löwe ging an den in Großbritannien lebenden Griechen Yorgos Lanthimos für seine Romanverfilmung Poor Things. Hierbei handelt es sich um eine eigenwillig erzählte, postmodern zugespitzte »Frankenstein«-Geschichte.
Den zweiten Preis bekam der Japaner Ryusuke Hamaguchi für Evil Does Not Exist. In seinem ruhigen, beiläufigen Stil erzählt Hamaguchi vom Konflikt zwischen Dorfbewohnern und einer Tourismusfirma, die staatlich unterstützt wird. Es geht um das ökologische Gleichgewicht einer zurückgebliebenen Hochebene, um Folgen des Tourismus für die Lebensweise der Bewohner, um Natur und Ökologie!
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Ansonsten gingen die interessantesten Filme leer aus – wie Bertrand Bonellos La bête, aber auch der Beitrag des Deutschen Timm Kröger. Der außergewöhnliche, achtminütige Applaus schien eine klare Sprache zu sprechen, und sogar eine sonst realistische Freundin wettete auf eine Auszeichnung. Doch dies war nicht die erste deutsche Preishoffnung, die im Zwielicht über der Lagune spurlos verdunstete.
Stattdessen gewannen inhaltistische Problemillustrationsstoffe und Filme wie Green Border von der Polin Agniezka Holland. Sie entfaltet in ihrem Polit-Melo ein grelles Panorama der Flüchtlingssituation an der polnischen EU-Außengrenze: Sympathische und grundgute Syrer wollen nach Europa, böse polnische Soldaten und weißrussische Schergen knüppeln auf sie ein. Die Schwarzweißmalerei der Polin hat Elemente von Propagandakino, sie hat aber
auch Wirkung und ist eine somit aufwühlende wie moralisch triftige Anklage der Doppelmoral der EU und ihrer Heimat.
Sechs Monate, nachdem man syrische Kriegsflüchtlinge mit Prügel und Schüssen über die Grenze zurücktrieb, öffnete man alle Grenzzäune für die Flüchtlinge aus der Ukraine.
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Was für eine schräge, diffuse, im Konkreten schändliche politische, genauer gesagt: unpolitische Agenda die Jury hatte, zeigt sich nicht so sehr an den beiden diffusen Flüchtlingsfilmen und der cheesy Selbst-Positionierung, die in diesen Auszeichnungen liegt.
Sondern an dem Drehbuch-Preis für Pablo Larraín und seinen Netflix-Film. Alle Lateinamerikaner, die ich kenne, hassen diesen Film, in Chile ist er Thema einer öffentlichen Debatte und hat zu öffentlichen Protesten
gegen Larraín geführt – denn die de-facto-Reinwaschung des Fascho-Diktators Pinochet ist zusätzlich geschmacklos, weil sie just zum 50. Jubiläum von dessen Staatsstreich am 11.9.1973 kommt.
Hier geben großkopferte Regisseure anderen großkopferten Regisseuren einen Preis. Larraín stammt aus einer Familie, die Minister in Pinochets Regierung gestellt hat und hat immer schon überaus fragwürdige Thesen in seinen Filmen zur chilenischen Diktatur entfaltet. Die »NO«-Kampagne
für die Wiedereinführung der Demokratie hätte nur aufgrund besseren Politmarketings und Unterstützung der Amerikaner funktioniert. Zur Erinnerung: Die Unterstützung der Amerikaner gab es vor allem 1973 für den Staatsstreich gegen die demokratisch gewählte Regierung.
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Die Jury, in der unter anderem der US-Regisseur Damien Chazelle, die Neuseeländerin Jane Campion, die Französin Mia Hansen-Love saßen, traf auch keine Richtungs-Entscheidung für das Kino.
Ihre Kriterien blieben auch über die Preisverleihung hinaus unklar: Falls die geografische Herkunft ein Kriterium für die Auszeichnungen war, so waren die Preise immerhin sehr divers: die Zone Japan/Asien fand ebenso Berücksichtigung wie Süd- und Mittelamerika. Aus Osteuropa kommt Green Border.
Tatsächlich ging die Jury aber wohl vor allem auf Nummer Sicher: Kein einziger unbekannter Name, sondern sämtlich Altmeister des europäischen Autorenkinos standen auf der Preisträgerliste.
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Nur die Amerikaner wurden ausgeblendet – bis auf Cailee Spaeny, die Hauptdarstellerin in Sofia Coppolas Priscilla, die die »Coppa Volpi« als beste Darstellerin erhielt – für die Figur der Elvis-Presley-Gattin und ein Preis, der endlich einmal ruhigen Ausdruck und ein eher passives Spiel gegenüber dem aufdringlichen Chargieren belohnte, das bei dergleichen Preisen oft gewinnt.
Zu Coppolas Film haben wir das Nötige hier schon gesagt.
Von ihr, vom herrlich-verrückten Lanthimos-Film Poor Thing und auch vom zu Unrecht ignorierten Michael-Mann-Epos Ferrari dürfte man dann aber wieder bei der Oscarverleihung hören. Die diesjährige Oscar-Saison wurde am Lido von Venedig wieder eingeleitet. In einem überzeugenden Festivaljahr waren in diesem Jahr auffallend viele US-amerikanische Produktionen vertreten – schon immer ist Venedig ein besonders gutes Barometer für Hollywood.
Der Rest der Preise vom Wochenende dürften in sechs Monaten schon wieder vergessen sein. Sie spiegeln nicht den Wettbewerb, auch nicht den Stand des Weltkinos, sondern jeweils nur eine von dessen Seiten.