Eins und zwei ist drei |
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Edward Yang 1986 am Set von Terrorizers | ||
(Foto: Axel Timo Purr / TFAM) |
Von Axel Timo Purr
Für die meisten Kinogeher dürfte der Name Edward Yang heutzutage kaum mehr als eine ferne Erinnerung erzeugen. Wenn überhaupt, dann ist es vielleicht sein letzter Film Yi Yi – A One and a Two, für den er in Cannes 2000 den Regiepreis erhielt oder seine Taipei Story, weil in ihm ein anderer, heute noch aktiver Pionier der neuen Welle taiwanesischen Kinos im Jahr 1985 eine Hauptrolle verkörperte – Hou Hsiao-hsien, der 2015 für seinen Film The Assassin den Regiepreis in Cannes gewann. Doch nach einem drei Jahre langen, aufreibenden kuratorischen Prozess, wird Edward Yang zumindest in Taiwan wieder in Erinnerung gerufen und für sein Schaffen gewürdigt
Das mag nur im ersten Augenblick nicht überzeugend genug klingen, um sich auf den langen Weg nach Taipei zu machen, auch wenn Taipei und Taiwan an sich schon die Reise wert sind, um endlich einmal die westliche Perspektive auf diese demokratische Entität links liegen zu lassen und sich selbst ein Bild zu machen, welche Kräfte in dieser Region um ihre Identität und Macht kämpfen.
Die im Taipei Fine Arts Museum (TFAM) noch bis zum 22. Oktober 2023 gezeigte Ausstellung über Edward Yang (und eine im Taiwan Film and Audiovisual Institute (TFAI) in Taipei begleitende Retrospektive seiner Filme) ist dafür ein fast schon idealer Einstieg. Nicht nur weil Yang in seinen Filmen eine Menge über taiwanische Realität und Identität und das Leben an sich erzählt hat, sondern weil die von TFAM-Direktor Wang Jun-Jieh und Professor Sing Song-Yong von der Taipei National University of the Arts kuratierte Ausstellung einer der ganz seltenen Glücksfälle gegenwärtiger Ausstellungsarchitektur darstellt, für die man rein gar nichts mitbringen muss. Kein Interesse an Film oder jedwede nerdig-neurotische Cinephilie und auch kein Vorwissen über die taiwanesische Filmgeschichte oder leidige Landeskunde.
Nein. Wirklich nichts von alledem ist also nötig, um in „A One and A Two: Edward Yang Retrospective“ einzutauchen, eine aus sieben Sektionen bestehende audiovisuelle Ausstellung, die zwar chronologisch über das Leben Yangs spielerisch hinwegbalanciert, sich aber vor allem thematisch an den zentralen Themen von Yangs kreativem Schaffen orientiert und versucht, die faszinierende Ästhetik und das Denken von Yang zu ergründen.
Damit erzählt die Ausstellung nicht nur eine ungewöhnliche, multiplexe Lebenslinie, sondern macht vor allem deutlich, was Filmkunst ist und wie Film entsteht. Dazu haben die Kuratoren nicht nur eine beeindruckende Sammlung an Storyboards, Filmkameras, aber auch ganz profanen Alltagsgegenständen aus Yangs Umfeld zusammengetragen, sondern beeindrucken vor allem mit klug gewählten Filmausschnitten, die über in dunklen Räumen schwebenden Projektionsflächen miteinander korrespondieren und dabei nicht nur die Entwicklung von Yangs visuellem Stil – sein bedächtiges Tempo, die langen Einstellungen, eine statische Kamera, wenige Nahaufnahmen, leere Räume und Stadtlandschaften – deutlich wird, sondern auch seine narrative Entfaltung, die sich mit jedem Film mehr der Veränderungen der taiwanesischen Gesellschaft auf die Mittelschicht annimmt und den Konflikt zwischen Moderne und Tradition, Wirtschaft und Kunst und wie Gier Kunst korrumpieren kann, so poetisch wie gnadenlos analytisch seziert. Konflikte, die an Aktualität nicht nur im gegenwärtigen Taiwan kaum verloren haben. Dazu gehört auch die Entwicklung der Städte, des urbanen Raums und sein Einfluss auf die basalsten menschlichen Gefühle, dem Yang vor allem in A Confucian Confusion, Taipei Story, Mahjong and Terrorizers Raum gibt.
Yang vermittelt diese Transformationen über einen visuellen Stil und dichte, universelle Beziehungsgeschichten, die allein schon in ihren Ausschnitten einen derartig suggestiven Sog entfalten, dass man sich kaum vorstellen mag, was passiert wäre, wenn Yang nach seinen Jahren in den USA und einer für Taiwanesen damals durchaus üblichen Karriere als Software-Architekt in den frühen 1970er Jahren in Seattle nicht auf Werner Herzogs Aguirre, der Zorn Gottes gestoßen wäre, der seine jugendliche Leidenschaft für Film neu entflammte und ihn nach seiner Rückkehr nach Taiwan im Jahr 1980 mehr und mehr zu einem der wichtigsten Protagonisten der New Wave of Taiwanese Cinema werden ließ.
Die Anregung durch Herzog, die auch eine persönliche Beziehung nach sich zog, wird in der Ausstellung durch eine großartige Installation verdeutlicht, in der senkrecht als Triptychon Ausschnitte aus Yangs frühen Filmen The day on the Beach (1983), Taipei Story (1985) und Terrorizers (1986) gezeigt werden und in einer waagerechten Projektionsfläche vor dem Triptychon über einer repetitiven Wellen- und Meeraufnahme die Stimme Edwards Yangs eingespielt wird, die aus Werner Herzogs Tagebuch Walking on Ice aus dem Jahr 1974 vorliest, das Herzog während einer Wanderung von München nach Paris durch Schnee und Eis geführt hatte, um mit dieser Selbstkasteiung das Leben der schwerkranken Filmarchivarin, Filmhistorikerin und Filmkritikerin Lotte H. Eisner zu retten. Herzog gelang dies mit solcher Bravour, dass Eisner ihn acht Jahre später darum bat, ihr Leben von diesem Zauber auch wieder zu (er-)lösen. Was Herzog dann auch tat und Eisner acht Tage darauf verstarb.
Sieht man diese Ausstellung, wünscht man sich fast schon verzweifelt, dass Herzog auch auf Yang diesen Zauber habe anwenden mögen. Denn Yang starb bereits 2007 mit 59 Jahren in Beverly Hills an Krebs. Und auch davon erzählt diese Ausstellung: von den letzten Jahren im Schatten der Krankheit, Yangs Alltag mit seinem Kind und seiner Frau und den großen filmischen Vorbildern, denen neben Herzog ein ganzer Kanon an europäischen Filmemachern angehörte. Und sie erzählt vor allem davon, was Yang noch plante, etwa einen filmischen Exkurs in die Anime-Kunst, die sich bereits seit Jahren durch sein Interesse an Anime und Comics andeutete und in Comic-artigen, selbst gezeichneten Story-Boards eindrücklich manifestierte.
Was für ein Verlust! Aber was für ein Geschenk, diesen großen Filmemacher endlich wiederentdecken zu dürfen.