Ziemlich beste Filme |
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Les pires gewann einen Preis in Cannes und ist exklusiv im Theatiner zu sehen | ||
(Foto: Französische Filmwoche) |
Von Dunja Bialas
Die französische Kinowelt ist alarmiert. Im September veröffentlichte der Rechnungshof die Ergebnisse der Zehn-Jahres-Bilanz der CNC, der zentralen Organisation für Film in Frankreich, die dem französischen Kulturminsterium unterstellt ist. Dank staatlicher Subventionen von 850 Millionen Euro jährlich habe es der CNC zwar erfolgreich geschafft, die Pandemie sowie Netflix & Co. zu überdauern, so der Bericht, jedoch lasse der Umsatz an der Kinokasse zu wünschen übrig. Jetzt werden zum wiederholten Male Reformen im CNC angemahnt, um die Anzahl (seit 2011 gab es eine Steigerung um 20 Prozent) und den immer härter umkämpften Erfolg der geförderten Filme in den Griff zu bekommen.
In Frankreich gilt seit jeher für die nationale Filmproduktion das Credo der »kulturellen Ausnahme«, wodurch deren Rentabilität in der Gesamtheit der Filmwirtschaft kein Kriterium sein soll – auch im Hinblick auf dominante US-Produktionen, kalkulierte Blockbuster und globale Franchise-Releases, die den Markt fluten. Noch im Mai hatte Justine Triet anlässlich der Goldenen Palme für Anatomie d’une chute jedoch davor gewarnt, die Nachwuchsförderung auf dem »Altar der Rentabilität« zu opfern. Seit 1986 gibt es unter dem Stichwort »Art et essai« außerdem einen Kriterienkatalog besonders förderwürdiger Kinosäle, die u.a. Produktionen von »unbestrittener« Qualität zeigen – auch wenn das große Publikum fern bleibt. Jetzt sieht der Rechnungshof die Arthouse-Kinos als »Opfer ihres eigenen Erfolges«, weil sie unter den vielen Titeln und der großen Programm-Diversität unterzugehen drohen.
Der Rechnungshof stellte klar, dass es ihm unter dem Strich nicht darum gehe, die französische Jahresproduktion zurückzufahren. Da jedoch nur zwei Prozent der französischen Filmproduktionen rentabel seien, bedeute dies, dass nahezu alle geförderten Filme ihr Publikum nicht erreichen. So habe im Jahr 2019 ein Drittel der französischen Filme weniger als 20.000 Zuschauer gehabt. Erklärtes – und eigentliches – Ziel sei es jedoch, die staatlichen Mittel für die Sichtbarkeit der französischen Produktionen aufzuwenden. Statt von Rentabilität spricht der Rechnungshof daher lieber von »efficacité«, Effizienz der aufgewendeten Mittel.
In München beginnt nun, eine Woche nach der größeren Berliner Ausgabe, die Französische Filmwoche, veranstaltet vom Institut Français in Zusammenarbeit mit UniFrance, beides kulturelle Außenstellen Frankreichs, beide zuständig für die Sichtbarkeit französischer Filme. Darunter ist auch ein Werk der Macher von Ziemlich beste Freunde (Intouchables) – der damals, 2011, übrigens vom heutigen CNC-Leiter Dominique Boutonnant produziert wurde. Der neue Film des Erfolgsduos Olivier Nakache und Eric Toledano heißt Une année difficile, internationaler Titel: Black Friday for Future. Die Grundsatzfrage lautet hier: Den Planeten retten – oder sich selbst? Überspitzt gesagt geht es darum, wie man am besten eine Klimaaktivistin aufreißt und Geld für sich generiert. Der inkorrekte, mit Vorurteilen jonglierende Humor ist ein bewährtes Konzept der sehr erfolgreichen französischen Komödien.
(Sa 25.11. 20:30 Uhr, Theatiner)
Une année difficile läuft in der Filmwoche als eine von zahlreichen Vorpremieren. Auch Auf dem Weg (Sur les chemins noirs) ist schon im Kino angekündigt. Regisseur Denis Imbert inszeniert keinen
geringeren als Jean Dujardin auf dem Weg, naja, zu sich selbst. Weg von den exzessiven Partynächten und den heißen Frauen, weg vom Alkohol und dem Leichtsinn. Er will Buße tun, weil er es in der Vergangenheit zu wild getrieben hat und gerade noch mal davongekommen ist. Irgendwo zwischen Ich bin dann mal weg, One for the Road und Dialog mit meinem Gärtner angesiedelt, trifft Imberts Film auf jeden Fall den Zeitgeist.
(Münchner Eröffnungsfilm, Do 23.11. 20:30 Uhr, Theatiner, Denis Imbert ist zu Gast.)
Da die Retrospektive zu Noémie Lvovsky mit sieben Filmen leider nur in Berlin zu sehen ist, hat das Theatiner einen eigenen Retro-Film dem offiziellen Programm hinzugefügt. In Jacques Derays La piscine von 1968 ist – an der Seite des Leinwandtraumpaares Romy Schneider und Alain Delon – Jane Birkin in ihrer ersten Rolle in Frankreich zu sehen. Die Schauspielerin und Sängerin ist im Juli verstorben, der Film läuft als Hommage an die Ikone der Nouvelle Vague. Mit einem Drehbuch von Jean-Claude Carrière ist La piscine ein Klassiker des psychologischen Thrillers: Hier zieht sich das Kammerspiel am Pool zu einem immer enger werdenden Beziehungs-Dreieck zusammen, während die junge Jane fast unschuldig in ihren ultrakurzen British-Pop-Miniröcken unter der sengenden Sonne alle Sinne verwirrt. (Di 28.11. 18:00 Uhr, Theatiner)
Wer lieber die Filme sieht, in die das Publikum zum Verdruss des französischen Rechnungshofes nicht in Scharen rennt, dem seien die »exklusiven Filme« des Programms empfohlen. Les pires (Die Schlimmsten) von Lise Akoka und Roman Gueret und wurde in Cannes in der Reihe »Un certain
regard« mit dem Grand Prix ausgezeichnet und ist im Rahmen der Filmwoche nur im Münchner Theatiner zu sehen. Das Debüt des Regie-Duos gehört zum Banlieue-Genre und verfolgt ein Film-im-Film-Thema. Ein Casting-Team sucht in Boulogne-Sur-Mer in Nordfrankreich vier Teenager und wählt ausgerechnet »die Schlimmsten« von allen aus. Bevor alle Eskalationsstufen gezündet werden, greift das soziale Projekt. Mit Laiendarstellern, einfühlsamer Inszenierung und Argot-Sprache ist diese Art von
Kino immer noch ein wichtiges Instrument sozialer Verständigung, auch wenn – oder gerade weil? – es sich vor allem an ein bürgerliches Publikum richtet.
(Mi 29.11. 18:00 Uhr, Theatiner)
Léonor Serraille hatte mit Bonjour Paris (Jeune femme) in Cannes die Caméra d’Or gewonnen. Ein kleiner Bruder (Un petit
frère) lief letztes Jahr im Wettbewerb von Cannes, aber auch für diesen Film gibt es keinen Kinostart in Deutschland. Im Zentrum steht die von der Elfenbeinküste stammende Rose, eine Putzfrau in Paris, die für ihre beiden Söhne ein besseres Leben erhofft. Am Ende der Langzeitstudie, die die Söhne beim Aufwachsen in Frankreich begleitet, zeigt sich die schmerzhafte Kehrseite einer gelungenen Integration.
(Fr 24.11. 18:00 Uhr, Theatiner)
Ob jetzt aber die letztgenannten Titel, weil sie keinen Verleih in Deutschland finden, wohl ziemlich die besten, vom Publikum übersehenen Filme Frankreichs sind? Im Hinblick auf die Dämonisierung der Arthouse-Filme »ohne Publikum« durch den französischen Rechnungshof bleibt nur zu sagen: Das hoffen wir doch sehr!
Die 23. Französische Filmwoche zu Gast im Theatiner
23.-29.11.2023
(Das Münchner Programm mit Ticket-Reservierung)