74. Berlinale 2024
Würde die Berlinale Adolf Hitler einladen? |
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Das Plakat zur Berlinale 2024 | ||
(Plakat: Internationale Filmfestspiele Berlin / Claudia Schramke, Berlin) |
Die Berlinale hat einfach keine glückliche Hand. Sie lädt AfD-Politiker ein und wundert sich, dass das viele Leute stört. Das ist mindestens naiv.
Insofern kann man zwar mit den Akteuren im Potsdamer-Platz-Bunker Mitleid haben und stöhnen: Der Berlinale bleibt auch nichts erspart. Allerdings ist das größte und einstweilen noch wichtigste deutsche Filmfestival auch selber schuld.
»Der Druck wächst minütlich« meinte am Sonntag ein gut informierter Beobachter der deutschen Filmlandschaft.
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Schon wieder ein offener Brief – diesmal gegen die Berlinale. Und schon wieder emotionale, empörte Töne, für die man im Kern Verständnis haben kann, die aber in ihrer durchdrehenden Rhetorik und ihren inhaltlichen Exzessen das Anliegen selbst stark beschädigen.
Der Brief kursierte seit Freitag eine Weile im Netz und wer gut sucht, kann ihn noch finden; seine Spuren sowieso. Denn das Netz vergisst nie und bereits an diesem Samstag, als der Brief noch online war, berichteten
längst alle relevanten internationalen Branchendienste darüber.
Zuerst Deadline, wo auch die Namen von rund 200 Unterzeichnern veröffentlicht wurden, dann auch Variety und der Hollywood Reporter.
Worum geht es? Die Internationalen Filmfestspiele Berlin haben bestätigt, dass sie zwei gewählte Mitglieder der rechtsextremen AfD, die AfD-Politiker Kristin Brinker und Ronald Gläser, beide Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses, zur Eröffnungsfeier der 74. Berlinale eingeladen haben. Trotzdem, so die Berlinale, stehe man weiterhin »für grundlegende demokratische Werte und gegen Rechtsextremismus«.
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Der ganze Vorgang ist in Zeiten, in denen viel von Übergriffen die Rede ist, natürlich ein Übergriff, ein Übergriff auf der politisch-symbolischen Ebene. Und ein Schlag ins Gesicht all jener, die mit weitaus weniger institutioneller Stützung und Hilfe als die Berlinale sie hat und mit weitaus weniger finanziellem Polster und politischem Backup heute tagtäglich gegen Rechtsextremismus demonstrieren.
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In einer an »The Hollywood Reporter« gesendeten Erklärung behauptet die Berlinale, dass das Festival-Protokoll darin bestehe, demokratisch gewählte Politiker einzuladen. Alle eingeladenen AfD-Abgeordneten wurden bei den letzten Wahlen entweder in den Bundestag oder das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. »Entsprechend sind sie auch in politischen Kulturgremien und anderen Gremien vertreten. Das ist eine Tatsache, und wir müssen sie als solche akzeptieren«, sagte das Festival.
Diese Behauptung ist de facto eine Kapitulationserklärung von Demokraten, die zwei Dinge beweist: Den fehlenden Instinkt der Berlinale und die Gefahr der Selbstlähmung von Demokratien, wenn demokratische Verfahren zum Fetisch und Selbstzweck werden.
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Genau diese Behauptung der Berlinale muss man bestreiten. Ein Protokoll ist kein Dogma, es lässt sich ändern.
Sehr wohl stellt sich umgekehrt die Frage, was denn eigentlich erst passieren muss, damit die Berlinale ihr Protokoll ändert? Was wäre, würde Adolf Hitler heute noch leben? Ein »demokratisch gewählter Politiker« oder? Das waren doch ganz andere Umstände und Zeiten, könnte man erwidern. Stimmt – aber was tut die Berlinale, damit diese Zeiten und Umstände nicht wiederkommen?
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Der offene Brief, der am Freitagabend veröffentlicht wurde, wurde von vielen Leuten unterzeichnet. Etwa die Hälfte von ihnen sind Deutsche, andere kommen vor allem aus den USA, Großbritannien und anderen Teilen Europas.
In dem Brief heißt es, die Einladung an AfD-Politiker sei »unvereinbar« mit dem »Code of Conduct« der Berlinale, »ein Ort der 'Empathie, des Bewusstseins und des Verständnisses' zu sein«.
Zugleich ist der Offene Brief aber auch zum Teil selbst sehr schrill formuliert, und ebenso wie der Bericht auf »Deadline« ein Beispiel dafür, wie Konsens-Anliegen und Positionen der demokratischen Mehrheitsgesellschaft von der extremen Linken und in diesem Fall manchen erklärten Feinden der deutschen Kulturszene und ihrer Institutionen erwartungsgemäß instrumentalisiert werden. »Deadline« framed das Ganze in sehr einseitiger Weise, und spricht zum Beispiel fehlerhaft von »einem staatlich finanzierten Festival«, obwohl die Berlinale 60 Prozent ihres Etats selbst erwirtschaften muss.
Fragwürdig sind auch bestimmte Formulierungen des Offenen Briefs, etwa jene:
»Die Einladungen ... sind ein weiteres Beispiel für das feindselige und heuchlerische Umfeld, mit dem Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland konfrontiert sind.« »Wir weigern uns, zu normalisieren oder rechten Politikern die Teilnahme an unseren Räumen zu erlauben.«
Im Ernst? Und wer ist das »wir«, dem die Räume gehören?
Die Unterzeichner sind zugegeben meist eher Leute aus der dritten und vierten Reihe, wenn man mal von zwei drei Namen absieht, die unter ziemlich vielen offenen Briefen der letzten Monate zu finden sind – etwa Candice Breitz, die längst nicht über alle Zweifel erhabene, südafrikanische Künstlerin und BDS-Unterstützerin.
Aber auch deutsche Kuratoren und Festivalleiter finden sich auf der Liste.
Das alles entschuldigt nicht das törichte Verhalten des Festivals, relativiert allerdings die Kritik an ihm.
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Was könnte die Berlinale denn tun? Eigentlich ist es gar nicht so schwer.
Hier könnte ein maßvoll und konsensuell, nicht spalterisch formulierter offener Brief Wunder tun: Man könnte hier alle anderen demokratischen Parteien auffordern, auf ihren Sitz bei der Berlinale-Eröffnung öffentlich zu verzichten und ihre Einladung zurückzugeben.
Das würde die Berlinale von dem angeblichen Zugzwang befreien, alle »demokratisch gewählten« Parteien einladen zu müssen. De facto muss sie nämlich gar nicht die Mitglieder des Parlaments einladen, genauso wenig
wie die Mitglieder des Verfassungsgerichts. Sie hat es nur bisher getan. Einladen muss sie allenfalls die Mitglieder der jeweiligen Regierung, an der die AfD ja nicht beteiligt ist. Also nur die erste Gewalt. Juristisch gesprochen, weil sich die Berlinale ja auf eine juristische Position zurückzieht.
Vielleicht kommen die demokratischen Politiker ja auch von selber drauf.
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Oder die Berlinale traut sich noch, selbstständig zu handeln. Andere Institutionen machen es vor und entscheiden selbst, wen sie einladen. Das Prozedere, das die Berlinale beschreibt, gehört der Vergangenheit an, und ist unzeitgemäß. Tatsächlich hat man bei der Berlinale nicht daran gedacht, umzudenken.