15.02.2024
74. Berlinale 2024

Geht doch, Berlinale!

The Zone of Interest
Lektionen in Finsternis: The Zone of Interest
(Foto: Leonine)

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – denn es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Noch ein vorläufig letztes Mal zur Einladungspolitik der Berlinale

Von Rüdiger Suchsland

»Der Erfolg bietet sich meist denen, die kühn handeln, nicht denen, die alles wägen und nichts wagen wollen.«
Herodot (um 485 – um 425 v. Chr.), grie­chi­scher Geschichts­schreiber

Es geht also doch! Die Berlinale hat all jene Lügen gestraft, die nach Bekannt­gabe der Einladung für AfD-Vertreter zur Eröff­nungs­ver­an­stal­tung und zur Preis­ver­lei­hung und dem Hinweis auf Protokoll und Etikette und andere Höflich­keits­ri­tuale vergan­gener Zeiten behauptet hatten, sie könne das gar nicht tun, was sie dann getan hat, und deswegen dürfte man es von ihr auch nicht verlangen. Die Berlinale hat es aber von sich selber verlangt und dafür gebührt ihr Lob.

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»In den vergan­genen Tagen gab es in der Kultur­branche, in den redak­tio­nellen und sozialen Medien sowie im Team der Berlinale eine intensive Diskus­sion über die Einla­dungen von AfD-Poli­ti­kern zur Eröffnung der Berlinale. Heute hat die Berlinale-Leitung entschieden, die zuvor einge­la­denen fünf AfD-Politiker auszu­laden.«

»Durch den aktuellen Diskurs wurde noch einmal ganz deutlich, wie sehr das Enga­ge­ment für eine freie, tolerante Gesell­schaft und gegen Rechts­extre­mismus zur DNA der Berlinale gehört. Die Berlinale engagiert sich seit Jahr­zehnten für demo­kra­ti­sche Grund­werte und gegen jede Form von Rechts­extre­mismus. ... In Zeiten, in denen rechts­extreme Personen in die Parla­mente einziehen, will die Berlinale mit der heutigen Ausladung der AfD eine klare Position beziehen. Die Diskus­sion zum Umgang mit Poli­ti­kern der AfD betrifft auch viele andere Orga­ni­sa­tionen und Festivals. Diese Debatte muss gesamt­ge­sell­schaft­lich und gemeinsam mit allen demo­kra­ti­schen Parteien geführt werden.« So die Pres­se­mit­tei­lung.

»'Gerade auch ange­sichts der Enthül­lungen, die es in den vergan­genen Wochen zu explizit anti­de­mo­kra­ti­schen Posi­tionen und einzelnen Poli­ti­kern der AfD gab, ist es für uns – als Berlinale und als Team – wichtig, unmiss­ver­s­tänd­lich Stellung zu beziehen für eine offene Demo­kratie. Wir haben daher heute alle zuvor einge­la­denen AfD-Politiker schrift­lich ausge­laden und sie darüber infor­miert, dass sie auf der Berlinale nicht will­kommen sind,' sagt das Leitungsduo der Berlinale, Mariëtte Rissen­beek und Carlo Chatrian.«

Gut, dass sie noch drauf gekommen sind.

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Die Branche, wir alle haben gepennt. Jahrelang still geduldet wurden Rechts­extre­misten bei der Eröffnung der Berlinale. An ihre Einla­dungen kamen sie durch ein festes Kontin­gent für Politiker. »Protokoll«. Diese frag­wür­dige Praxis wurde bisher nicht in Frage gestellt. Erst ein offener Brief stellte das Vorgehen zur Debatte. Gegen die Mehrheit der Pres­se­ver­treter, die lauter gute Gründe nannten, warum es unde­mo­kra­tisch und »nicht machbar« sei, die AfD nicht einzu­laden. Dabei ist es sogar machbar und nicht unde­mo­kra­tisch, dass sie seit Jahren keinen Sitz im Bundes­tags­prä­si­dium bekommen, obwohl die Etikette das zuvor auch vorge­sehen hatte.

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Verweise auf das »Dilemma der Einla­dungs­po­litik bei solchen Feier­lich­keiten«, wie man sie gele­gent­lich hören konnte, sind damit obsolet. So wichtig es sein mag, die Berlinale zu schützen (Vor wem eigent­lich? Vor sich selbst?), stellt sich doch die Frage, wann denn für die, die so argu­men­tieren, der Punkt erreicht ist, an dem es Wich­ti­geres gibt? Gibt es diesen Punkt überhaupt? – oder reden wir nicht doch eines Tages darüber, dass man sich mit der AfD halt arran­gieren muss?

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Das »Netzwerk Film und Demo­kratie«, das sich vor ein paar Jahren geformt hat, um ein Netzwerk gegen Rechts zu sein, das bislang vor allem ein Raum für Austausch und Infor­ma­tion ist, nicht aber eine Gruppe, die ins Handeln kommt, und dem sehr viele, sehr unter­schied­liche Film-Akteure angehören, die sich schwer auf etwas Subtan­ti­elles einigen können, dieses Netzwerk hat sich gerade noch recht­zeitig eine Stunde vor der Bekannt­gabe der Berlinale-Entschei­dung letzten Donnerstag mit einer lauwarmen »Stel­lung­nahme« zu Wort gemeldet. Aber immerhin. Ob diese Haltung überzeugt, mit über drei Absätze reichenden allge­meinen Lektionen zur AfD, die ernst­ge­nommen eine schärfere Stel­lung­nahme erzwingen würden, das mögen die Leser selbst entscheiden – ich bin da mehr bei der Deutsch­land­funk-Mode­ra­torin Anja Reinhardt, die dreimal hinter­ein­ander mehr oder weniger fassungslos fragt: »Wen fordern Sie jetzt konkret auf?«, »Warum gibt es nicht konkrete Forde­rungen?«, »Warum nicht auch konkrete Forde­rungen?«

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Tatsäch­lich aber geht es erst in zweiter Linie um die Reak­tionen der Branche. Was allen Erklärungen leider fehlte, war die öffent­lich bekundete Soli­da­rität mit jenen Berlinale-Mitar­bei­tern, die die Einla­dungen kriti­sierten, oder Bran­chen­teil­neh­mern, die sich deutlich gegen Rechts posi­tio­nieren.

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Am Abend der Berlin-Premiere von The Zone of Interest vor einer Woche wurde bei der anschließenden Diskus­sion auf das Schweigen hinge­wiesen, in dem sich viele von Faschisten unmit­telbar bedrohte Menschen, zum Beispiel Juden, heute in Deutsch­land allein­ge­lassen fühlen. Mir scheint, dass eine bestimmte Form, das Wort zu ergreifen, nur eine andere Form genau dieses Schwei­gens ist.

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»Der Himmel hilft niemals denen, die nicht handeln wollen.«
Sophokles (um 497 – 405 v. Chr.)